Georgia Shaver, die Direktorin des WFP (world food program der UNO) fordert von den reichen
Industrienationen, die alljährlich wiederkehrende Hungerkrise endlich als chronisch zu erkennen
und über die Nothilfe hinaus endlich von Grund auf Abhilfe zu schaffen. Mit 18 Monaten noch relativ
neu im Amt und in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba hautnah mit dem Elend konfrontiert,
hat sie sich offenbar noch nicht an den anscheinend unabwendbaren Kreislauf von Dürre und westlicher
Nahrungsmittelhilfe gewöhnen können.
Doch die angesprochenen Geberländer reagieren dieses Jahr selbst auf die Bitten der karitativen
Hilfsorganisationen nur zögerlich oder schlicht gar nicht mehr. Insgesamt 12,5 Millionen Menschen in
dem dürregeplagten nordafrikanischen Land stehen vor dem Hungertod. Doch Afrika ist out.
Für dieses Jahr hat das WFP die Geberländer um Hilfe im Wert von 90 Millionen US-Dollar gebeten.
Schätzungen zufolge sind 619.000 Tonnen Nahrungsmittelhilfe erforderlich - nicht mehr als 230.000
Tonnen aber sind bislang sicher. Bereits in den letzten Monaten habe Nahrungsmittelknappheit zu
schweren Fällen von Unterernährung bei den schwächsten Gruppen der
Bevölkerung geführt.
Einen Ausweg aus der alljährlichen Misere kann laut Georgia Shaver aber nur gefunden werden, wenn
endlich langfristig geplant und neue Ansätze entwickelt würden. Entscheidend sind dabei die Bereiche
Bildung und internationale Märkte. Nötig wären über ein kurzatmiges Krisenmanagement hinausgehende
Investitionen in die äthiopische Infrastruktur: in die Sanierung des maroden Straßennetzes, der maroden
Wasserversorgung, den Schutz der Wälder und die Sicherheit der Menschen.
"Es ist sehr viel Hilfe nötig, und der Bedarf wird weiter zunehmen", warnt die WFP-Direktorin. Leider aber
sei die Debatte darüber, wie effiziente Äthiopien-Hilfe aussehen könne, noch gar nicht in Gang gekommen.
Vielfach wird utopistisch gefordert, den armen Länder müsse endlich Zugang zu den internationalen Märkten
gewährt werden. Doch die sogenannte Globalisierung sperrt sie auf der einen Seite aus und nimmt zugleich
auf der anderen Seite ihre Märkte in Beschlag. Ein paar Beispiele:
Francois Traoré, Präsident des Verbandes der Baumwollproduzenten von Burkina Faso, und die Ethnologin,
Autorin und Mongolei-Expertin Amélie Schenk schilderten kürzlich auf Einladung von 'Germanwatch' und EED
(Evangelischem Entwicklungsdienst) in Berlin die negativen Auswirkungen der Agrarpolitik der Industrieländer
auf Kleinbauern. "Mit Hilfe ihrer Agrarsubventionen drängt die EU auf die Märkte von Drittländern und hält
gleichzeitig ihren eigenen Markt geschlossen in Bereichen, wo Entwicklungsländer qualitativ hochwertige
Produkte anzubieten haben", erklärte Rainer Engels (Germanwatch), Leiter der Kampagne "Unterbieten Verbieten!".
Hochsubventionierte Agrarprodukte werden zu Schleuderpreisen auf den Weltmarkt geworfen. Mit diesen
Dumpingpreisen bootet die EU Agrarproduzenten aus Entwicklungsländern aus. Dies gilt sowohl für deren
einheimische als auch für ausländische Absatzmärkte.
Francois Traoré erläuterte: "Eine Rekordernte drückte im vergangenen Jahr den Preis für Baumwolle auf 697 Euro
je Tonne , dem niedrigsten Niveau seit 30 Jahren (im Dezember 2000 lag der Preis bei 1.525 Euro je Tonne).
Jedoch sind die Baumwollbauern in den USA und den EU-Anbauländern von diesem Preisverfall nicht betroffen,
denn sie erhalten Milliarden an Subventionen, die es ihnen unabhängig von der Weltmarktsituation erlaubt, die
Produktion fortzusetzen oder auszubauen." Die USA subventionierten ihren Baumwollsektor jährlich mit knapp
vier Milliarden US-Dollar, die EU mit 700 Millionen Dollar.
Ein anderes Beispiel entwicklungspolitisch schädlichen Verhaltens schilderte Amélie Schenk: "Die Mongolei, eines
der ärmsten Länder der Welt, das fast ausschließlich auf die Produktion von Weide-Fleisch angewiesen ist, produziert
auf der Basis von Nomadenkulturen, hat unter dem Verlust der Absatzmärkte in Rußland stark zu leiden. Mongolisches
Fleisch wurde dort verdrängt von EU-Lieferungen. Das qualitativ hochwertige Fleisch der Yak-Rinder hätte auch in
Europa beste Absatzmöglichkeiten. Ein Marktzugang wird der Mongolei aber verwehrt!"
Brasilien und vier Sahelstaaten beschwerten sich im Frühjahr 2003 offiziell bei der WTO über die reichen, Baumwolle
subventionierenden Staaten. Voraussichtlich Anfang Juni entscheidet sich, ob daraus ein
WTO-Streitschlichtungsverfahren wird. "Der 'Baumwollfall' schreibt Weltgeschichte: Er ist die Nagelprobe des
Welthandelssystems, ob WTO Streitschlichtungsverfahren auch zugunsten von mehr Gerechtigkeit für die
Ärmsten wirken kann," so Rudi Buntzel-Cano vom EED.
Nun ja, dieser fromme Wunsch dürfte wohl ungefähr so realistisch sein wie der Versuch, Haie zu Planktonfressern
unzuerziehen (Obwohl: In der Natur gibt es tatsächlich eine Hai-Art, die sich nur von Plankton ernährt.) Ein Blick in
die Geschichtsbücher statt in Biologiebücher könnte hingegen eher zu einem Lösungsansatz verhelfen. Die USA
selbst war einmal zur Zeit der Loslösung vom britischen Weltreich ein "Entwicklungsland". Und die USA hatte nur
mit einem Mittel eine Chance die eigene Wirtschaft zu entwickeln. Mit demselben Mittel, das die reichen
"Geber"-Länder noch heute anwenden: dem Abschotten der eigenen Märkte. Es durften keine englischen Waren
mehr eingeführt werden. Nur so hatte beispielsweise die US-Stahlindustrie eine Chance. Im Kampf David gegen
Goliath siegt nun mal in der Regel Goliath - außer: David läßt sich nicht auf die direkte Konfrontation ein und
greift zu Tricks...
Bei aller "Neo-Liberalisierung" - darin sind die Industrienationen überhaupt nicht liberal: Die Milliardensubventionen der eigenen
Landwirtschaft haben heute dieselbe Wirkung haben wie einst die Schutzzölle. Und sie vervielfachen sich in Form von
Multimilliardengewinnen. Dagegen nehmen sich die lumpigen paar Millionen Hungerhilfe, die beispielsweise Äthiopien
akut benötigt, wie Peanuts aus. Und wenn sich die Industrienationen auch jedes Jahr länger anbetteln lassen, werden
diese Beträge gerne gegeben. Denn sie halten die armen zwei Drittel dieses Globus in ihrer Rolle gefangen. Das
einzige, was realistischer Weise diesen Ländern - auch gegen den Widerstand ihrer eigenen Eliten - bleibt, um sich
aus ihrer Rolle zu befreien, ist: Dem Vorbild USA zu folgen, die eigenen Märkte abzuschotten und eine weitestgehend
autarke Wirtschaft aufzubauen.
Adriana Ascoli