Ende März 2003 meldeten die Nachrichtenagenturen einen neuen Höchststand der Opiumproduktion in
Afghanistan. Das Eingeständnis des Scheiterns kam von der Anti-Drogen- Abteilung der Regierung in Kabul
selbst, die nicht umhin konnte, zuzugeben, daß die afghanischen Bauern mehr Mohn als je zuvor angebaut
hatten. Vielfach wird darüber spekuliert, ob die USA und speziell der CIA in den Rauschgifthandel verwickelt
sind. Manche erinnern sich noch an die Iran-Contra-Affaire. Schlimm genug ist jedoch, daß die USA trotz
aller Beteuerungen, den Afghanistan-Krieg nur um humanitärer Ziele willen geführt zu haben, keinerlei Druck
der Weltöffentlichkeit ausgesetzt ist, um ihre Worte an ihren Taten zu messen. Das Interesse der
Weltöffentlichkeit hat sich anscheinend längst von Afghanistan abgewendet.
Trotz offiziellen Anbau-Verbots durch die Kabuler Marionetten-Regierung des Präsidenten und ehemaligen
Besitzers einer Restaurant-Kette in der USA, Hamid Karzai, hat sich die Opium-Produktion in Afghanistan
gegenüber der Zeit der Taliban-Herrschaft nach unabhängigen Schätzungen verdoppelt. Dem Volk auf dem
Land geht es deswegen aber weder besser noch schlechter. Bei aller Grausamkeit und religiöser Verblendung
hatte das Taliban-Regime immerhin den Mohn-Anbau recht erfolgreich unterdrückt. Karzai regiert praktisch
nur über Kabul und so hatte ein im April 2002 erneuertes Anbau-Verbot von Mohn keinerlei Folgen. Im
Gegenteil: Mohn werde nun auch in Gegenden angepflanzt, die vorher frei von Opiumproduzenten waren,
sagt der Leiter der Anti-Drogen-Abteilung, Mirwais Yassini.
Der Anbau von Mohn ist für die Bauern in Gebieten ohne intakte Bewässerungsanlagen oft die einzige
Überlebens- möglichkeit. Die Regierung hatte ihnen für die Vernichtung von Mohnfeldern eine Prämie von
rund 1.200 Euro pro Hektar geboten, wobei an einem Hektar Mohn aber bis zu 15.000 Euro allein mit
dem Ersterlös zu verdienen ist. Die richtig großen Gewinnspannen jedoch liegen auf dem Weg von der
Verarbeitung über den Schmuggel bis zum "Endverbrauch". Doch auch der Ersterlös bleibt nur zum
geringeren Teil bei den Bauern, sondern stärkt die lokalen Clan-Chefs, War-Lords und Miliz-Kommandeure,
die Afghanistan in winzige Herrschaftsgebiete aufgeteilt haben. Da ist es nur noch bittere Ironie, wenn
Yassini bekennt, daß die Regierung für dieses Jahr überhaupt kein Geld mehr für die Prämie habe.
Fast das gesamte Heroin, das in Westeuropa auf dem Markt ist, stammt aus Afghanistan. Das ist einer
der Wege, auf dem das Elend, daß die reichen Staaten dieser Welt anrichten, auf sie zurückschlägt. Doch
offenbar noch viel zu wenig. Die einzige realistische Möglichkeit, diese Situation ohne brachiale Gewalt
zu ändern, wäre, den Menschen vor Ort die Möglichkeit zu eröffnen, ihren Lebensunterhalt auf andere
Weise zu verdienen. Aufgrund der Kriege der letzten 20 Jahre ist die Infrastruktur in Afghanistan jedoch
fast völlig zerstört. Normale Landwirtschaft ist nicht mehr möglich, weil Bewässerungs- anlagen fehlen.
Die Menschen müßten die Möglichkeit bekommen, etwas anderes anzubauen als die unempfindlichen
und wenig Feuchtigkeit benötigenden Mohnpflanzen. Neben Bewässerung, wären Düngung, Saatgut und
Vermarktungsmöglichkeiten Grundvoraussetzung.
Doch daran haben die lokalen Clan-Chefs und War-Lords kein Interesse, deren Einkommen und Einfluß
auf diese Weise sinken würde. Die Karzai-Regierung mit ihrer rund 1400 Mann starken Militärtruppe ist
dagegen völlig ohne Einfluß. In Afghanistan sind nach wie vor tausendmal so viele, rund eine Million
Krieger bewaffnet. Und es gibt drei Einnahme-Quellen: Drogen, Waffen, Zölle. Theoretisch gibt es noch
die Quellen ausländischer Finanzhilfen und den Aufbau eines Steuersystems. Doch das eine ist nur
versprochen und das andere ist ohne militärische Macht nicht zu haben.
Auch die knapp 5000 Soldaten der internationalen Schutz-Truppe befinden sich lediglich in Kabul und der
unmittelbaren Umgebung. Die Drogenproduktion findet sich aber nicht in der Hauptstadt, sondern hauptsächlich
in den Provinzen im Süden und Westen Afghanistans. Und die 7000 US-amerikanischen Soldaten sind angeblich
allein damit beschäftigt, die Reste von Al Quaida und Taliban zu jagen. Dabei arbeitet das US-amerikanische
Militär häufig mit den lokalen War-Lords zusammen, die selbst an der Drogenproduktion beteiligt sind.
Waffenlager, die bei den Einsätzen entdeckt wurden, übergab das US-amerikanische Militär lokalen Despoten und
nicht der Marionetten-Regierung in Kabul.
Diese Zusammenarbeit wurde bereits auf der Petersberger Konferenz Ende November 2001 begründet als
unter dem Emblem der Vereinten Nationen unter handverlesenen afghanischen "Abgesandten" eine
Interimsregierung ausgekungelt wurde. Demokratie, Friede und Wohlstand wurden versprochen - und
internationale "großzügige" Finanzhilfen.
Ein großer Teil der Finanzhilfen ist momentan gesperrt, ein anderer erreichte nie die Adressaten. Immer größeren
Unmut lösen in Afghanistan internationale Hilfsorganisationen aus, deren Vertreter mit eingeflogenen teuren
Geländewagen durch die Gegend fahren, während es Millionen von Afghanen nach wie vor an ausreichender
Kleidung, Nahrung, sauberem Wasser und einem Dach über dem Kopf mangelt. Nicht zu reden von Elektrizität,
Schulen oder medizinischer Versorgung. Nach wie vor liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei 46 Jahren.
In einem Bericht der US-Menschenrechts-Organisation 'Human Rights Watch' ist zu lesen: ""Ismael Khan hat in
Herat quasi einen eigenen Ministaat errichtet, der wenig Verbindungen zu Kabul hat. In Herat herrscht noch
weitgehend die gleiche Situation wie vor dem Sturz der Taliban: Es ist eine geschlossene Gesellschaft, in der
es keine abweichende Meinung gibt, keine Kritik an der Regierung, keine unabhängigen Zeitungen, keine
Versammlungsfreiheit und keine Rechtssicherheit. Das ganze Jahr über hat es politisch motivierte Verhaftungen
und Gewalt gegeben. Neben den politischen Fällen wurden auch gewöhnliche Kriminelle tagelang festgehalten,
brutal geschlagen oder gefoltert, eingeschüchtert und erniedrigt." Die US-Administration hat Ismael Khan Ende
2001 und Anfang 2002 mit Militär- und Finanzhilfe unterstützt und mit Khans Einverständnis eine Operationsbasis
für ihre Spezialkräfte und andere Truppen in der Nähe von Herat aufgebaut. US-amerikanische Militär- und
Zivilberater geben sich bei Ismael Khan die Klinke in die Hand, unter ihnen US-Verteidigungsminister Donald
Rumsfeld, der den lokalen Despoten als "eine sympathische Person" beschrieb, "überlegt, gemessen und
selbstbewußt."
In Nordafghanistan brechen immer wieder Kämpfe zwischen Truppen Abdul Rashid Dostums und des rivalisierenden
War-Lords General Atta Mohammed aus. Der Usbeke Abdul Rashid Dostum und der Tadschike Atta Mohammed
arbeiteten 2001 eng mit dem US-amerikanischen Militär zusammen, um die Taliban aus Masar-i-Sharif und anderen
Städten im Norden zu vertreiben. Seitdem kämpfen sie brutal um die Vormachtstellung. Dutzende Kämpfer und
Tausende Zivilisten wurden getötet.
Ende Oktober 2002 kam der UN-Sondergesandte Zalmay Khalilzad nach Masar-i-Sharif, um die Kämpfe durch
eine Mischung aus Bestechung und Druck zu beenden. Typischer Weise traute sich kein Vertreter Karzais in
dieses Gebiet. Khalilzad, der als Statthalter der USA in Afghanistan fungiert, erklärte vor der Presse, es sei an
der Zeit, daß die regionalen Kommandeure sich darüber klar würden, ob sie in die Regierung eintreten wollten.
Angesichts der Tatsache, daß die US-Administration die Hilfszahlungen für Nordafghanistan bereits
suspendiert haben, ist Khalilzads Warnung als Drohung mit einer militärischen Intervention verstehen.
Derweil steht Karzai in Kabul an der Spitze einer Regierung, die von Rivalitäten zwischen den ethnischen
Gruppen völlig paralysiert ist. Als pseudo-demokratisches Deckmäntelchen war er durch eine Loya Jirga,
eine angeblich traditionelle Stammesversammlung im Juni 2002 legitimiert worden. Doch ohne eigene
Machtbasis in der Bevölkerung, ohne eigene Geld-Quelle oder Militärmacht, auf die er sich stützen könnte,
ist er vollkommen von der USA abhängig. Äußeres Zeichen davon ist, daß er sich nach gescheiterten Attentaten
offensichtlich nicht auf eine afghanische Leibwache verlassen konnte, so daß ihn body guards aus der USA
beschützen müssen.
Nach einer Rundreise von Regierungsinspektoren Karzais durch Afghanistan, mußte deren Chef, Abdullah Anwari,
gegenüber der Washington Post eingestehen: "Überall wo wir hinkamen, baten uns die Leute um Hilfe. Unser Ziel
war es, die Öffentlichkeit von tyrannischen und illegalen Übergriffen zu befreien, die Anarchie auszurotten und die
Zentralregierung zu stärken. Wenn wir das an einigen Orten erreicht haben, wäre das ein historischer Schritt."
Zur Lage der Frauen in Afghanistan schreibt die "grüne" Christa Nickels, die als Bundestagsabgeordnete noch
selbst für die Beteiligung am Afghanistan-Krieg gestimmt hatte, am 4.03.03 in der 'taz' unter der Überschrift
"Aus dem Blickfeld": "Nach dem 11. September 2001 wurde die brutale Unterdrückung der Frauen Afghanistans
genutzt, um den Krieg gegen das Talibanregime zu legitimieren. Damit wurde eine menschenrechtliche Problematik
instrumentalisiert." Weiter: "Afghanistan war gestern - seine Retalibanisierung interessiert die Antiterrorkoalition
nicht mehr. Den Preis dafür zahlen Frauen mit dem Verlust gerade erworbener Rechte." Dem ist nichts hinzuzufügen.
Harry Weber