Krieg zwischen Somaliland und Puntland?
Weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit ist am Horn von Afrika ein
weiterer Konflikt eskaliert. Zwar
gibt es immer wieder Bemühungen für ein Ende des Bürgerkriegs im Süden, doch
bislang mit mäßigem Erfolg. Nun scheint der Krieg auch in den bislang stabilen
Norden gekommen zu sein. Zwischen Somaliland und Puntland sind nach den
Entwicklungen der letzten Wochen alle Messen gesungen. Ein Krieg scheint
unabwendbar. Und wer Afrika kennt, weiß: er wird viel Blut kosten, vor allem das der
Zivilbevölkerung.
Dabei muß man der Regierung in der somaliländischen Hauptstadt Hargeisa ein
ungewöhnliches Maß an Geduld bescheinigen. Schon seit Mitte Dezember halten sich
puntländische Milizverbände in den Grenzprovinzen Sool und Sanaag auf. Und dies
nicht zum ersten Mal; erhebt Puntland doch inzwischen traditionell gewordene
Gebietsansprüche. Hargeisa beließ es jedoch zunächst bei scharfen Protesten in
Richtung der puntländischen Hauptstadt Garowe, die aber nach Weihnachten immer
heftiger wurden. Nachdem vor einigen Tagen puntländische Besatzungstruppen
den Konvoi des somaliländischen Ministers für die Landbevölkerung, Fou'ad Adan
Ade, angriffen und einen Leibwächter erschossen, scheint die Geduld jedoch
erschöpft zu sein.
Als Reaktion darauf traten nun die somaliländische Regierung und Vertreter des
Parlaments vor die Öffentlichkeit. Man werde die unglaubliche Provokation nicht
unbeantwortet lassen und Garowes Truppen die angemessene Antwort zukommen
lassen, hieß es. Bereits zuvor hatte das Militär darauf hingewiesen, es wüßte,
wie man die Grenzen des Vaterlandes sichere. Fou'ad Adan Ade ließ unterdessen
Bilder von sich verbreiten, in denen er im ANC-Stil mit geballter Faust und
umgehängtem Patronengurt dargestellt wird.
Wenig stören dürfte dies Abdullahi Yussuf Amad, Präsident Puntlands und in den
somaliländischen Medien geringschätzend als Abdullahi von Puntland bezeichnet.
Der Politiker hatte seine Absetzung wegen Amtsmißbrauch durch den Ältestenrat im
November 2001 mit einem Putsch gegen seinen Nachfolger Jama Ali Jama
beantwortet. Amads Milizverbände besetzten dabei rasch die Hauptstadt, jedoch
zogen sich Unruhen und Zusammenstöße noch bis in das vergangene Jahr hin. Erst
jetzt scheint Amad seine Position gefestigt zu haben und nimmt dies zum Anlaß,
um seinen Gebietsansprüchen auf das Nachbarland Nachdruck zu verleihen. Die
Regierung Somalilands solle den Willen der Bewohner der Grenzregionen zur
Kenntnis nehmen, künftig zu Puntland gehören, heißt es in der Sprachregelung
Garowes.
Die Entwicklung ist tragisch, da sie einen der wenigen Orte von
Stabilität und halbwegs gerechter Verteilung in Afrika zerstören könnte. Dem
1991 von Somalia abgefallenen Somaliland gelang unter seinem Präsidenten Mohamed
Egal - der auch der erste gesamtsomalische Staatschef nach der Unabhängigkeit im
Jahre 1960 war - ein atemberaubender Aufstieg. Vom vernachlässigten Armenhaus
Somalias entwickelte sich die Republik zu einem Staat mit politischer
Stabilität. Somaliland hat ein Parteiensystem und ein arbeitendes Parlament.
Seine Politiker gelten als gebildet und kultiviert. Aus dem nichts wurde ein
Gesundheits- und Bildungssystem errichtet, daß sich sehen lassen kann. Hargeisa
gilt als vielleicht sicherste Stadt des Kontinents. Auch nach dem Tod Egals vor
knapp zwei Jahren verlief der Machtwechsel reibungslos und die Wahlen, trotz
zwischenzeitlichem Nichtanerkennes durch die Opposition, letztlich glatt.
Anders die Situation in den übrigen Gebieten des früheren Somalias. Zwar sind
die Zustände der frühen 90er Jahre, als Mord, Vergewaltigung und Brandschatzung
an der Tagesordnung waren, inzwischen Vergangenheit. Doch eine Zentralregierung
gibt es nach wie vor nicht, immer wieder kommt es zu Ausbrüchen teilweise
exzessiver Gewalt. Die Kämpfe um die Macht im Staat sind jedoch dem Bemühen der
rivalisierenden Gruppen gewichen, ihre Herrschaftsgebiete zu stabilisieren. So
existieren die Region um die Hauptstadt Mogadischu, das nördliche Puntland und
die unlängst gegründete Südwest-Republik faktisch unabhängig voneinander - wenn
sie auch alle verbal am Ziel eines wiedervereinigten Somalias festhalten. Im
Gegensatz zu Somaliland, das einen eigenen Weg gehen will.
Kritikwürdig ist auch das Verhalten der sogenannten Internationalen Gemeinschaft. In ihrem
Wahn, an der Unverletzlichkeit der Grenzen festzuhalten, ignoriert sie die
Existenz Somalilands entschlossen. Erst jüngst erklärte ein Vertreter der
arabischen Liga, das Land könne nur nach einer Volksabstimmung im ganzen
früheren Somalia anerkannt werden, die jedoch kaum zu realisieren ist. Die USA
drohten Somaliland zwischenzeitlich sogar mit einem Krieg, falls sie gegen den
Süden zu Felde ziehen werden. Zudem hat die fehlende Anerkennung drastische
wirtschaftliche Folgen. Die Tatsache, daß die faktische nationale
Fluggesellschaft "Daalo Airlines" im Nachbarstaat Dschibuti registriert ist, um
international operieren zu können, ist da noch harmlos. Somaliland sind
internationale Kredite weitgehend verschlossen. Dies wiegt um so schwerer, als
der Export von Rindern und Schafen - wichtigstes Ausfuhrgut des Landes - durch
eine Tierkrankheit im vergangenen Jahr drastisch reduziert werden mußte. Zudem
kann Somaliland Geschäfte fast ausschließlich mit Jemen, Eritrea und Saudi-Arabien
abwickeln. Immerhin wird Hargeisa inzwischen halboffiziell zur Kenntnis
genommen. Die Regierung unterhält Vertretungen bei wichtigen Organisationen und
in verschiedenen Ländern, darunter den USA. Allerdings benötigt selbst der
Außenminister bei internationalen Missionen Visa.
Die weiteren Entwicklungen abzuschätzen, ist aus der Entfernung fast unmöglich.
Die Stärke der Streitkräfte ist unbekannt, ebenso der Wille der
puntländischen Führung, einen längeren Krieg zu führen. Doch die Kriege Afrikas
zeichnen sich weniger durch Feldschlachten, als durch Überfälle und Gemetzel
aus. Stille und vergessene Blutorgien, wie man sie im Sudan, im Kongo und
anderswo beobachten kann.
Martin Müller-Mertens