3.01.2005

Agentur-Schluß
ganz nett

Fast überall in Deutschland waren die grünen Kräften (jene, die wenigstens in ihrem Outfit echt grün sind) wesentlich zahlreicher als die TeilnehmerInnen an den in rund 80 Städten unter dem vielversprechenden Logo "Agentur-Schluß" organisierten Protesten.

In Freiburg war in etlichen Mannschaftswagen mit bekanntem Göppinger Nummernschild eine Polizei-Armada zum vermeintlichen Schutz der Agentur für Arbeit(-slosigkeit) angekarrt worden. Süffisant trug eine Rednerin vor, was alles zum Schrecken der Agentur-MitarbeiterInnen in einem internen Papier der Agentur-Oberen gemutmaßt worden war. Und so war der Eingang im Foyer abgeriegelt, um nur nach Einzel-Prüfung den BesucherInnen Einlaß zu gewähren.

Bereits ab 9.30 Uhr hatten sich dutzende, gegen 11 Uhr hundert bis hundertzwanzig DemonstrantInnen vor der Agentur in der Lehenerstraße eingefunden. Nach einigen Redebeiträgen und Musik vom Band, versuchten die DemontrantInnen gemeinsam, eingelassen zu werden. Die KontrolleurInnen am Eingang wurden durch grüne HelferInnen verstärkt und es kam lediglich zu ein wenig Gedränge. Allerdings wurde einem der Redner - vermutlich von einem Agentur-Mitarbeiter - ein Schlag ins Gesicht verpaßt. Ansonsten blieb es gewaltfrei. Der Einsatzleiter versprach "mit Ehrenwort", den Schuldigen dingfest zu machen.

Zwischenzeitlich kam es tatsächlich zu einer Art Blockade: Zwar wurden vereinbarungsgemäß auskunftsuchende Erwerbslose, die nicht zu den Demonstrations-TeilnehmerInnen zählten, durchgelassen. Wegen der starken Polizeipräsenz im Innenraum war dann für diese zeitweilig dennoch kein Durchkommen. Andererseits waren einige Demonstrations-TeilnehmerInnen bereits zuvor ohne lügen zu müssen in die Agentur gelangt und berichteten im Anschluß von interessanten Gesprächen.

Auch außerhalb des Gebäudes ließen sich etliche "unbeteiligte" Erwerbslose - von Kaffee und Süßigkeiten verlockt - in Gespräche ein. Meinungsverschiedenheiten kamen dabei nur selten zum Vorschein - dafür recht häufig die allzu bekannte und weitverbreitete Resignation.

In Hamburg nahmen immerhin rund 300 Menschen am "Agentur-Schluß" teil. Nachdem sie sich zunächst vor dem Gebäude versammelt hatten, konnten sie ins Foyer gelangen, wo einige Redebeiträge gehalten wurden und gemeinsam gefrühstückt wurde.

In Mannheim hatten sich die DemonstrantInnen einige witzige Aktionen einfallen lassen und reinigten als "Ein-Euro-Jobber" die PC-Monitore in den Räumen der Agentur.

Zu einer Festnahme kam es in München - nähere Informationen liegen uns nicht vor. Insgesamt rund hundert DemonstrantInnen hatten sich mit Lautsprecherwagen und Info-Stand vor der Agentur versammelt. Allerdings sollen bei großer Fluktuation kaum mehr als 60 bis 70 DemonstrantInnen gleichzeitig vor Ort gewesen sein.

Auch in Münster beteiligten sich rund hundert Leute - vorwiegend aus dem FAU-Spektrum, aber auch DKP, attac und anderen - beim "Agentur-Schluß". Außer zwei "offiziellen" Redebeiträgen gab es auch Wortmeldungen am "offenen Mikrofon", Musik von einem Liedermacher und einen Info-Tisch.

200 DemonstrantInnen gelang es in Köln trotz Versuchen der Polizei, dies zu verhindern, in die Agentur zu gelangen. Den "Agentur-Schluß" begleitete eine Samba-Band. Der Direktor der Agentur zeigte sich kooperativ und tolerierte Frühstückstisch und Live-Musik. Beim Versuch der Diskussion mit MitarbeiterInnen der Agentur zur Mittagszeit in der Kantine, zeigten diese allerdings mehr Interesse am Essen.

In Berlin fanden Aktionen an verschiedenen Arbeits-Agenturen statt. Bei der Agentur im Wedding scheinen nur kurzzeitig einige Leute vorbeigeschaut zu haben, die dann wohl zu einer Demonstration zum Leopoldsplatz weiterzogen. Dort lockte eine Samba-Band. Entgegen den öffentlichen Auflagen zog die Demo zur Agentur "Mitte" in der Müllerstraße. Die Polizei versuchte dort das Demo-Verbot durchzusetzen und es kam zu Rangeleien. Einige DemonstrantInnen gelangten dennoch ins Gebäude und konnten ein Transparent aufhängen. Der Polizeieinsatz verursachte die mehrheitlich gar nicht beabsichtigte Blockade, Pfefferspray kam zum Einsatz und vier Leute wurden festgenommen.

Nach Polizeiangaben versammelten sich in Nürnberg rund 60 DemonstrantInnen vor der Agentur.

In Leipzig nahmen leider weniger als 100 Menschen am "Agentur-Schluß" teil. Diese konnten allerdings problemlos ins Foyer gelangen und dort Flugblätter verteilen. Die Mehrzahl der Teilnehmerinnen schloß sich dann später der Montags-Demo an.

Unter dem Motto "Sektfrühstück statt Armenküche" protestierten in Erfurt Erwerbslose mehrere Stunden vor der Agentur. Sekt und Lachsbrötchen sollen die Gespräche mit PassantInnen erleichtert haben.

In Dresden demonstrierten nach Polizeiangaben rund 30 Personen vor der Agentur.

Vor der Agentur Luckenwalde bei Potsdam versammelten sich laut Polizei 115 Personen.

Einen "Leichenschmaus" gönnten sich rund 70 TeilnehmerInnen an der Protest-Aktion in Wittenberg. Das Angebot einer selbstorganisierten Suppenküche fand lebhaften Zuspruch.

"Wir bringen den ganzen Müll" zurück lautete das Motto der Aktion "Agentur-Schluß" in Düsseldorf. Die demonstrantInnen stapelten Säcke - gekennzeichnet als immer neue Bürden für die Menschen - vor dem Eingang der Agentur.

Auch in Wuppertal sorgte ein massives Aufgebot an grünen "FreundInnen und HelferInnen" für die Blockade, die von den rund 150 DemonstrantInnen gar nicht beabsichtigt war. Die Agentur blieb für eineinhalb Stunden dicht. Ein echter Bagger, der den Sozialabbau illustrieren sollte, versetzte die Polizei in Panik. Die Fahrerin wurde festgenommen.

Mit "Hausverboten" wurden in Kiel einige der rund 150 DemonstrantInnen bedacht, die sich in die Agentur begeben hatten.

200 DemonstrantInnen fanden sich in Bremen zum "Agentur-Schluß" ein. Auch dort war massive Polizeipräsenz aufgeboten. Mit Absperrungen wurde das betreten der Agentur verhindert.

Kleinere Aktionen fanden im Rahmen der Aktion "Agentur-Schluß" in Wilhelmshaven statt. Merkwürdiger Weise war dort die Polizei nicht präsent, obwohl die Aktionen angekündigt waren. Die Agentur für Arbeitslosigkeit wurde "belagert". Die DemonstrantInnen hatten ein Transparent dabei, verteilten Flugblätter und Sekt. Rund zehn DemonstrantInnen konnten in der Agentur Sekt und Saft verteilen. Auch mit Zivil-PolizistInnen soll es keine Probleme gegeben haben.

Als in Lübeck DemonstrantInnen in der Agentur ein transparent entfalteten, wurden sie von der Polizei umgehend gezwungen, das Gebäude zu verlassen. Insgesamt etwa 50 TeilnehmerInnen nahmen in Lübeck teil.

Ebenfalls rund 200 Menschen beteiligten sich in Bielefeld am "Agentur-Schluß". Nach dem Betreten des Gebäudes wurden sie einzeln von der Polizei hinausbegleitet.

In Frankfurt gelang es, ein großes Transparent mit der Aufschrift "Agenturschluss" an der Fassade der Agentur aufzuhängen. Rund 200 TeilnehmerInnen gelangten zunächst in die Agentur in der Fischerfeldstraße, während sich die Polizei nach Aussagen von Beteiligten chaotisch verhielt. So verursachte auch in Frankfurt die Polizei eine Blockade.

Rund 50 Leute nahmen in Göttingen an der Aktion teil. In der Eingangshalle wurde eine Frühstückstafel mit Kaffee, Brötchen und Info-Material aufgebaut. Zeitgleich wurde der Eingang mit Kartons "dicht" gemacht. Ein schmaler Spalt ermöglichte es aber den BesucherInnen ins Gebäude zu gelangen, um ihre ALG-II-Angelegenheiten zu regeln - wie beispielsweise die verspätete Auszahlung. Dort konnte dann auch Dosenwerfen geübt werden. Die 1-Euro-Cheerleading-Truppe zog immer wieder durchs Amtshaus und verschonte auch nicht die Büros der SachbearbeiterInnen. Die Polizei war ohne Kenntnis der Fakten zur Agentur für Arbeit gefahren, obwohl in Göttingen das Amt für die Unsetzung von hartz IV zuständig ist.

Lediglich zum Verteilen von Flugblättern wurde die Aktion "Agentur-Schluß" in Hannover genutzt. Auch für "unabhängige Beratungstellen" für Erwerbslose wurde Werbung gemacht.

Von den Presseagenturen wurde vermeldet, die "Hartz-IV-Arbeitsmarktreform" sei trotz bundesweit angekündiger Proteste "ohne große Störungen" gestartet. Bei einer gemeinsamen Presse-Konferenz mit "Super"-Minister Clement in Nürnberg erklärte der Vorstands-Chef der Bundesagentur für Arbeitslosigkeit, Frank-Jürgen Weise: "Bundesweit haben sich 700 Demonstranten vor oder in Arbeitsagenturen als solche zu erkennen gegeben." Die Proteste seien "weitgehend friedlich" verlaufen.

Manche werden sich mehr davon versprochen haben - aber es war immer noch besser so, als daß die Umsetzung von Hartz IV ohne Proteste vonstatten gegangen wäre. Erst wenn immer mehr Menschen die Auswirkungen dieser verschärften Form von Sozialabbau zunehmend am eigenen Leibe verspüren und die Hoffnungen, die vielfach noch an die Versprechungen neuer Arbeitsplätze geknüpft werden, als Illusion erkennbar werden, ist allmählich mit mehr Widerstand und wachsender Beteiligung an den Montags-Demos zu rechnen. Und erst wenn dann auf der Basis einer breiten Mobilisierung politische Streiks und andere gewaltfreie Widerstandsformen möglich werden, wenn die Perspektive einer anderen, demokratischen und sozialen Gesellschaft erkennbar wird, besteht eine reale Chance, Hartz IV (und anderes) zu kippen.

 

Petra Willaredt, Frank Bayer, Klaus Schramm & Harry Weber

 

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