1. Ist eine "Endlagerung" überhaupt möglich ?
Abgebrannte Brennstäbe aus AKWs und anderer radioaktiver Müll kann niemals "endgelagert"
werden. Die darin enthaltenen strahlenden Transurane machen diese Abfälle für
erdgeschichtliche Zeitspannen gefährlich. Plutonium beispielsweise hat eine Halbwertszeit
von über 25.000 Jahren. Das bedeutet konkret, daß von einem Kilogramm Plutonium
beispielsweise nach 100.000 Jahren immer noch rund 63 Gramm unvermindert tödliche
Strahlung aussenden. Ein einziges Milligramm dieses Stoffs in der Lunge ruft unweigerlich
Krebs hervor. Radioaktive Abfälle müßten also für Zeiträume sicher vor der Biosphäre
abgeschlossen werden können, die den Zeitraum der gesamten bisherigen Menschheitsgeschichte
übertreffen.
Die ältesten bekannten Keilschriften hinterließen die Sumerer vor 5.000 Jahren. In 8.000
bis 12.000 Jahren spätestens wird der heutige Sprachschatz komplett verloren sein. Niemand
wird mehr die Warnschilder vor atomaren "Endlagern" entziffern können. Als "Lösung" dieses
Problems wurde schon ernsthaft vorgeschlagen, eine spezielle Priesterkaste zu begründen,
um das Wissen um die Gefährlichkeit der "Endlager" zukünftigen Generationen zu übermitteln.
Seit dem Beginn der Nutzung der Atomenergie (leider nicht zuvor) wird weltweit nach einem
geeigneten "Endlager"-Standort gefahndet, doch nirgendwo ist bisher ein "Endlager" für
hochradioaktive, stark Wärme entwickelnde Abfälle in Betrieb. In
Deutschland werden seit über zwanzig Jahren ehemalige Salzbergwerke "erkundet". Nach wie
vor ist deren geologische Langzeitstabilität wissenschaftlich zumindest umstritten. In den
USA und Kanada wurden Salzstöcke bereits vor Jahren aus geologischen Gründen als mögliche
"Endlager" verworfen. Die US-Regierung propagiert inzwischen den Schelztuff des Yucca
Mountain als "ideales Wirtsgestein", ein Standort in der Nähe des Atomtestgelände von
Nevada. In Finnland und Schweden werden tiefliegende Granitformationen politisch
favorisiert, Standorte in der Nähe bestehender Atomkraftwerke. In Frankreich sind
wiederum Granitformationen aus dem Rennen
und allein ein Standort im lothringischen Tonschiefer, unter dem Örtchen Bure im
Departement Meuse,
mit ähnlich dünner Bevölkerung und in Grenzlage wie ehemals Gorleben an der Grenze zur DDR,
kommt noch in Frage. Ebenfalls an der Grenze (zu Deutschland) und in einem Gebiet, das
politisch
wenig Widerstand erwarten ließ, will die Schweizer Regierung den Ort Benken am Hochrhein
mit
einer Schicht Opalinuston im Untergrund zum optimalen "Endlager" erklären.
Keine der ins Spiel gebrachten geologische Formation ist wirklich sicher und über die
unabdingbar langen Zeiträume geologisch inaktiv. Aber das ist auch gar nicht das
eigentliche Kriterium. Die Gemeinsamkeiten aller diskutierten "Endlager"-Standorten sind
offensichtlich nicht geologischer, sondern politischer Natur.
2. Warum ist die fehlende "Entsorgung" nach wie vor eines der Hauptargumente gegen
Atomkraft?
Obwohl die "Entsorgung" des Atommülls laut § 9a Abs. 1 des
Atomgesetzes vor der Genehmigungserteilung und
während der gesamten Dauer des Betriebs nachgewiesen werden muß,
ist dies bisher unterlaufen worden. Da kein Endlager vorgewiesen werden kann, wurde
bisher die "Wiederaufarbeitung", die den Atommüll vervielfacht und das Hin- und
Hergeschiebe von einem Standort zum nächsten als "Entsorgung" anerkannt. Was Wolfgang
Roth am 21.10.02 in der
Süddeutschen Zeitung in seinem Artikel "Atom-Endlager / Standortsuche: Reise ins
Ungewisse" schrieb, darf immer wieder hervorgehoben werden: "Das stützt die These der
Kernkaftgegner, die zivile Nutzung der Atomenergie gleiche einem Flugzeug, das schon
gestartet sei, bevor die Landebahn gebaut ist."
Da es sich bei einem "Endlager" aus den bekannten Gründen niemals um eine echte Lösung
des Problems, sondern nur um eine Not-Lösung wird handeln können, gilt in der
Anti-AKW-Bewegung schon immer der Grundkonsens: Über die Frage "Wohin mit dem Atommüll?"
wird erst diskutiert, wenn der Atomausstieg stattgefunden hat. Denn wenn es zu einer
bundesweiten, "konstruktiven" Diskussion unter Beteiligung der Anti-AKW-Bewegung käme,
wäre wohl unvermeidbar, daß die lokalen Anti-Atom-Initiativen gegeneinander ausgespielt
würden. Alsbald könnte es heißen: "Wenn die Bevölkerung in Gorleben sich nicht als
verantwortungsvoll erweist, müssen die armen Menschen im Schwarzwälder Menzenschwand, wo
die geologischen Voraussetzungen nicht so optimal sind, das Opfer im Sinne nationaler
Verantwortung auf sich nehmen..." (die nationale Verantwortung für die Profite der
Atomindustrie, wäre allerdings zu ergänzen).
3. divide et impera
Alle paar Jahre wird versucht, eine solche nationale Diskussion über "Endlager"-Stätten
anzuschieben - bisher ohne Erfolg. Gorleben als deutsches "Endlager" konnte bisher nur
soweit verhindert werden, weil AtomkraftgegnerInnen aus dem gesamten Bundesgebiet sich
mit dem wendländischen Widerstand solidarisiert haben. Die "rot-grüne" Bundesregierung
hatte es nun ganz originell mit einer Kommission, dem "AK End", versucht. ExpertInnen
wurden berufen, die - völlig "ergebnisoffen" - Kriterien für einen nationalen
Endlagerstandort ausarbeiten sollten. Damit solle der Endlagersuche eine "neue Qualität"
verliehen werden, hieß es.
Was wäre nun aber, so ist zu fragen, wenn diese Kommission zum Schluß gekommen wäre, daß
die erarbeiteten Kriterien - zumindest in Deutschland - an keinem Ort zu erfüllen sind.
Die Frage ist einfach zu beantworten. In einem Sitzungsprotokoll des "AK End" vom 10.05.01
ist zu lesen: "Der Arbeitskreis ist der Überzeugung, daß eine sichere Endlagerung in
Deutschland möglich ist. Ohne diese Überzeugung wäre die Arbeit des Arbeitskreises
sinnlos." Die Kriterien müssen also erfüllbar sein. Notfalls müssen eben die Kriterien
aufgeweicht werden, damit das mögliche Ergebnis "Kein Standort in Deutschland erfüllt
wissenschaftlich fundierte Kriterien an ein atomares Endlager" auszuschließen ist.
Soviel zum Anspruch "ergebnisoffen".
Im Juni dieses Jahres (2002) haben sich nun mehrere Umweltverbände, die sich zunächst auf
dieses Trittinsche Spielchen eingelassen hatten, aus dem "AK End" verabschiedet und
kündigten die Zusammenarbeit auf. Begründet wurde dies in einer gemeinsamen
Pressemitteilung mit der Genehmigung von Schacht Konrad als Endlager für schwach- und
mittelradioaktive Abfälle durch die niedersächsische Landesregierung. Trittin hätte diese
Genehmigung, wenn denn seine Politik ehrlich wäre, verhindern können. Den Umweltverbänden
dämmerte nun, daß "die Ankündigung der Bundesregierung unglaubwürdig (geworden sei), der
Endlagersuche eine neue Qualität zu verleihen."
"Wie schon im Fall Gorleben gelten auch bei der Auswahl von Schacht Konrad als Endlager
erneut nur politische und nicht fachliche Kriterien", bemerkte nun endlich auch die
Atomexpertin im BUND-Bundesvorstand Renate Backhaus. Schacht Konrad wurde nur ausgewählt,
weil sich das stillgelegte Eisenerzbergwerk zufällig anbot. Minimalvoraussetzung für
eine sachgerechte Standortauswahl wäre eine vergleichende Suche gewesen. Diese fand nie
statt. Die Genehmigung beruht auf nahezu 20 Jahre alten Sicherheitsnachweisen, die bereits
damals umstritten waren und durch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse völlig
obsolet geworden sind.
Bettina Dannheim, Energiereferentin von ROBIN WOOD, kritisierte das doppelte Spiel von
Trittin. Auf der einen Seite habe er immer wieder betont, dass er am Ein-Endlager-Konzept
festhalte, daß also sowohl schwach- und mittelradioaktive als auch hochradioaktive Abfälle
in ein einziges Endlager
kommen sollten, und Schacht Konrad nicht notwendig sei. Auf der anderen Seite hatte
die Bundesregierung den Energieversorgungsunternehmen aber schon mit dem so genannten
"Atomausstieg" zugesichert, Schacht Konrad zügig zu genehmigen.
4. Was bringt die Zukunft ?
Es ist nur zu hoffen, daß die Umweltverbände insgesamt aus dieser Geschichte die nötigen
Lehren ziehen. Trittin hatte ja ganz unverhohlen damit argumentiert, daß nun doch der
Atomausstieg vollzogen sei und also "unverkrampft" über die Endlagerung diskutiert werden
könne. Wir sollten einmal ein paar Jahre in die Zukunft denken: 2006 steht die nächste
Bundestagswahl an. Als einziges AKW wird Stade abgeschaltet sein; allein aus Gründen der
Rentabilität. Aber unverdrossen wird wird "Rot-Grün" versuchen, uns dies als Beweis für
den "Atomausstieg" zu verkaufen.
Vorausgesetzt einmal, es hat in den Jahren bis 2006 eine Diskussion über Endlagerstandorte
stattgefunden, wird es dann heißen: "Jetzt ist lange genug diskutiert, jetzt muß
entschieden werden." Auch eine Diskussion, die (für die AKW-GegnerInnen) öffentlich
aufgezeigt hat, daß es keinen geeigneten Standort gibt, wird als Legitimation für eine
Entscheidung mißbraucht werden können. Haben wir erst ein "Endlager" in Deutschland, ist
die Anti-Atom-Bewegung nicht nur eines unserer wichtigsten Argumente
beraubt, sondern auch einer der wichtigsten praktischen Widerstandsmöglichkeiten. Nur
wegen eines nicht vorhandenen Endlagers müssen
die WAAs und die Zwischenlager als "Entsorgungsnachweise" gegenüber den Gerichten
herhalten - aber das ist nur eine zeitlich befristete Zwischenlösung für die Atomindustrie
und mit
zunehmender Atommüllmenge wird ihre Lage immer prekärer. Und mit zunehmender
Finanzknappheit wird es für die Bundesregierung immer schwieriger, die für den
Weiterbetrieb der Atomkraftwerke notwendigen Transporte mit Millionen Euro teuren
Polizeieinsätzen zu finanzieren. Ob es also zu einer gesellschaftlich relevanten
öffentlichen Diskussion über "Endlager"-Standorte in Deutschland kommen wird, dürfte sich
als eine entscheidende Weichenstellung für die Zukunft erweisen.
Ute Daniels