11.04.2004

Zwangsweiser Atomausstieg
in Großbritannien?

Ein 7,6 Milliarden Euro teures Rettungspaket der britischen Regierung für den in Schwierigkeiten geratenen Atom-Konzern BE ('British Energy') wird gegenwärtig von der EU-Bürokratie blockiert. Ausgerechnet dem europäischen Musterknaben neoliberaler Wirtschaftspolitik, Tony Blair, wird von EU-Vertretern "ungesetzliche Staatshilfe" vorgeworfen.

Mehr als zehn Jahre lang schien die Auseinandersetzung um die Atomenergie in Europa in einer Hängepartie, einem ewigen Patt, festgefahren zu sein. Unter dem nicht-nachhaltigen Eindruck der Reaktor-Katastrophe in Harrisburg (1979) hatte beispielsweise Österreich, nach der für nahezu die Hälfte der EuropäerInnen offenbar nicht sehr einprägsamen Reaktor-Katastrophe in Tschernobyl (1986) beispielsweise Italien einen Atomausstieg realisiert. Die SchwedInnen hingegen hatten einmal per Volksabstimmung 1980 den Atomausstieg beschlossen und - da ohne Konsequenzen - vom schwedischen Reichtag 1997 per Abstimmung bestätigen lassen. Doch 'Vattenfall', der schwedische Energie-Konzern, der sich durch Fusionierungen inzwischen zu einem der vier den deutschen Strommarkt beherrschenden Konzerne entwickelte, hat sich bisher als mächtiger erwiesen. Deutschland scheint diesem Beispiel zu folgen.

Doch offenbar kommt unerwartet Bewegung in die Fronten und dies ausgerechnet als Spätfolge neoliberaler Wirtschaftspolitik, die in Großbritannien von Margaret Thatcher (britische Premierministerin 1979 - 1990) fanatisch durchgesetzt und unter Tony Blair auf die Spitze getrieben wurde. So wurde auch die Energiewirtschaft weitergehend privatisiert als in anderen europäischen Staaten: Während die Atomenergie beispielsweise in Deutschland unter "Rot-Grün" weiterhin mit jährlich über 7 Milliarden Euro subventioniert wird, muß sich der britische Konzern und AKW-Betreiber BE ('British Energy') mit der Konkurrenz zunehmend kostengünstigerer Gaskraftwerke herumschlagen. Andererseits wiederum mußte BE mehr als marktüblich an das halbstaatliche BNFL (British Nuclear Fuels Ltd.) für die Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente bezahlen. Zur Kompensation übernahm BNFL die Verpflichtung zur "Endlagerung", ohne diese in Rechnung zu stellen.

Jeder "Rechnungs"-Betrag - wie beispielsweise die "Rückstellungen" der deutschen AKW-Betreiber - ist angesichts der astronomischen Zeiten, die ein Endlager gesichert werden müßte, eine Luftbuchung. Zudem ist weltweit bisher nirgendwo ein "Endlager" genehmigt und jede auch nur halbwegs realistische Einberechnung der Kosten für die zukünftige Bewachung des radioaktiven Mülls, ließe den Preis für Atomstrom auf eine Höhe fern jeglicher Konkurrenzfähigkeit emporschnellen.

Doch mit dieser britischen Null-Buchung, die EU-Gesetzen widerspricht, scheint Tony Blair nicht durchzukommen. Drei Monate vor der endgültigen Entscheidung der EU über diesen Fall wurde nun ein Bericht veröffentlicht, der vorläufige Befunde der EU über eine "ungesetzliche Staatshilfe" bestätigt und die Unvereinbarkeit der 7,6-Milliarden-Stütze mit EU-Recht bejaht.

Mit der Veröffentlichung dieses Berichts ist Greenpeace ein Coup gelungen. Denn diese von Greenpeace in Auftrag gegebene Expertise ist nicht nur zum exakt richtigen Zeitpunkt veröffentlicht worden, sondern praktisch unangreifbar. Der von Greenpeace präsentierte Autor, Professor Gordon MacKerron, ist Vorsitzender des britischen Regierungskomitees für Atommüllfragen. Und das Hauptargument ist mangelnde Wirtschaftlichkeit und sind nicht etwa atomrechtliche Fragen oder die Einschätzung der Gefährlichkeit von Atom-Energie. So kann nun gerade das, was der Atomenergie zum Aufstieg verhalf, massive staatliche Subventionen, ihren Untergang beschleunigen. Zumindest das Abschalten von acht britischen Atomkraftwerken, die von BE betrieben werden, sowie der BNFL-Plutoniumfabrik Sellafield ist in greifbare Nähe gerückt.

 

Klaus Schramm

 

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