Die 'Süddeutsche Zeitung' deckte in ihrer gestern (Dienstag) erschienen Ausgabe auf, daß in einem Schreiben des Bundes- Forschungsministers vom 13. Mai 1983 massiv Druck auf Wissenschaftler ausgeübt wurde, um ein Gutachten zur Eignung des Gorlebener Salzstocks als Endlager für radioaktiven Müll in ihrem Sinne zu beeinflussen. Damit liegt erstmals ein schriftlicher Beweis für politische Manipulation bei der Endlagersuche in Deutschland vor.
Die Anti-AKW-Bewegung im Wendland hatte schon seit langem Indizien gesammelt, die belegen, daß die Auswahl Gorlebens als Endlager-Standort nicht von wissenschaftlichen, sondern politischen Erwägungen geprägt war. Im April dieses Jahres hatte Helmut Röthemeyer, der Anfang der 1980er Jahre an führender Position an der Formulierung der Gorleben-Gutachten beteiligt war, erstmals in einem Zeitungs-Interview zugegeben, daß er von der damaligen Bundesregierung unter dem "schwarzen" Kanzler Helmut Kohl massiv unter Druck gesetzt wurde. Am 5. Mai 1983 seien in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), deren Abteilungsleiter Helmut Röthemeyer war, überraschend Vertreter des Kanzleramts und des Forschungsministeriums eingetroffen. Sie hätten darauf gedrungen, wichtige Passagen des Gutachtens zu ändern: "Ich habe ansonsten nie wieder ein solches Gespräch geführt in meinem ganzen Leben."
Mit dem nun von der 'Süddeutschen Zeitung' präsentierten Schreiben des Forschungsministeriums unter Heinz Riesenhuber werden der PTB Änderungen an dem Gorleben-Gutachten an entscheidenden Stellen aufgezwungen. Dieses entscheidende Gorleben-Gutachten war Anfang Mai 1983 in der Endphase. Es sollte die bisherigen Ergebnisse zu Gorleben zusammentragen und letztlich klären, ob der Salzstock auch unter Tage erkundet werden solle. Für den zusammenfassenden Teil des Gutachtens habe das Ministerium laut 'Süddeutscher Zeitung' einen Textbaustein vorformuliert, wonach "berechtigte Hoffnung" bestehe, daß im Salzstock Gorleben "ein Endlager für alle Arten von radioaktiven Abfällen" eingerichtet werden könne. Zudem forderte das Ministerium, den "vermutlich hypothetischen Störfall des Wasser- und Laugenzutritts", der an mehreren Stellen die bei einem Treffen am 11. Mai 1983 diskutierte Zusammenfassung und Bewertung bestimme, etwas weiter vom Zentrum der Betrachtung wegzurücken. Dem entsprechend habe die Gefahr, daß radioaktive Substanzen ins Grundwasser gelangen könnten, im Gutachten keine besondere Rolle mehr gespielt.
Der Bericht solle mit einem Kapitel "wesentliche Ergebnisse der Standorterkundung" beginnen, heißt es im Schreiben des Bundes-Forschungsministeriums laut 'Süddeutscher Zeitung' weiter. Und dieser Abschnitt des Gutachtens solle sinngemäß mit der Feststellung schließen, daß die Eignung "des Salzstocks Gorleben für die Errichtung eines Endlagers substantiell untermauert" werde.
Nach Angaben Helmut Röthemeyers, dem Hauptverantwortlichen für die Formulierung des Gutachtens, wurde die Forderung nach Erkundung weiterer Standorte am 11. Mai 1983 nach der Besprechung mit Regierungsvertretern aus dem Gutachten gestrichen. Daß der Druck der Bundesregierung Wirkung zeigte, belegen auch zwei frühere Versionen des Gorleben-Gutachtens, über die die 'Frankfurter Rundschau' im August berichtet hatte.
Nach dem früheren Gespräch am 5. Mai 1983 in der PTB, bei dem Röthemeyer und Ministeriumsvertreter anwesend waren, seien Passagen der Expertise "schnell umgeschrieben" worden, berichtete die Zeitung. In der einen Tag später verschickten Neufassung sei das Projekt plötzlich positiv bewertet worden. "Es gab nichts Schriftliches, keine schriftliche Weisung, aber wir mussten das Gespräch als klare Weisung auffassen", sagte PTB-Abteilungsleiter Röthemeyer der 'Frankfurter Rundschau'.
Die Änderungswünsche im Auftrag der deutschen Atom-Mafia liegen nun erstmals auch schriftlich vor. Offenbar waren Kohl und Riesenhuber mit den bereits am 6. Mai vorgenommenen Änderungen am Gutachten immer noch nicht zufrieden, denn das nun von der 'Süddeutschen Zeitung' veröffentlichte Schreiben aus Riesenhubers Ministerium wurde am 13. Mai verschickt. Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt: 1983 startete die Erkundung des Salzstocks Gorleben, alternative Endlagerstandorte wurden nicht untersucht.
Bemerkenswert ist, daß weder der gegenwärtige Bundes-Atom-Minister Sigmar Gabriel noch seine VorgängerInnen im Amt wie etwa Jürgen Trittin oder Angela Merkel in ihrer jahrelangen Tätigkeit irgendwelche Hinweise auf Manipulationen entdeckt haben wollen. Erst nun - nach der Veröffentlichung durch die 'Süddeutschen Zeitung' - versucht sich Gabriel an die Spitze des Protests zu stellen und spricht von einem Skandal.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Sargnagel für Endlager Gorleben
Verträge laufen 2015 aus (22.08.09)
Illegaler Ausbau unter Gorleben
1,5 Milliarden Euro bereits für Ausbau als "Endlager" investiert
(28.05.09)
Siehe auch:
Der deutsche "Atom-Ausstieg"
Folge 2 der Info-Serie Atomenergie
Die Subventionierung der Atomenergie
Folge 3 der Info-Serie Atomenergie
Das ungelöste Problem der Endlagerung
Folge 12 der Info-Serie Atomenergie