In jüngster Zeit trafen in der Redaktion immer mehr Fragen ein, die sich um die Reaktor-Katastrophe in Japan drehen. Wir haben daraus 16 Fragen ausgewählt, die wir hier behandeln. Sie sind in vier Themenbereiche eingeteilt:
- Fragen zum AKW Fukushima Daiichi
- Fragen zu den Folgen für Deutschland
- Fragen zum Risiko der Atomenergie
- Fragen zu einem Atomausstieg in Deutschland
Fragen zum AKW Fukushima Daiichi
1. Ist eine Kernschmelze noch zu verhindern?
Eine Kernschmelze ist mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits eingetreten. Alle vorliegenden Informationen deuten stark darauf hin, daß bereits in den ersten 24 Stunden nach dem Ausfall der Notkühlung, also bereits am Samstag, 12. März, in zumindest einem der unmittelbar betroffenen Reaktoren 1 bis 3 des AKW Fukushima Daiichi eine partielle Kernschmelze stattgefunden hat. Ob allerdings in den Reaktoren nur ein Teil oder das gesamte Inventar an radioaktiven Brennelementen geschmolzen ist, kann bei der gegenwärtigen de-facto-Nachrichten-Sperre und den widersprüchlichen Aussagen von offiziellen japanischen Stellen nicht beurteilt werden.
2. Wird es in Fukushima zum Super-GAU kommen?
Der Super-GAU ist dort bereits eingetreten. Nach einer Veröffentlichung der Internationalen Atomenergie-Agentur IAEA vom 23. März wurden noch in einer Entfernung von 200 Kilometer vom zerstörten AKW Fukushima Daiichi erhöhte Gamma-Dosis-Raten und Beta-Gamma-Kontaminationen gemessen. Die Meß-Daten in Sievert / Stunde liegen um das Doppelte bis 70-fache über der generellen Hintergrundstrahlung, die Werte in Becquerel pro Quadratmeter liegen in derselben Größenordnung wie bei der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl. Laut IAEA ist nicht auszuschließen, daß solche hohen Werte auch in größeren Entfernungen auftreten. Bislang war die IAEA, deren Aufgabe in der weltweiten Propagierung und Sicherung der "friedlichen" Nutzung der Atomenergie besteht, eher durch die Verharmlosung der Lage in Fukushima aufgefallen.
Die vorliegenden Zahlen belegen, daß die Unfälle im AKW Fukushima Daiichi längst die Dimension eines GAU überschritten haben, denn dabei handelt es sich definitionsgemäß um den "größten anzunehmenden Unfall", für den die Sicherheitssysteme eines Atomkraftwerks ausgelegt sind. Ein Super-GAU liegt allein bereits deshalb vor, weil sämtliche Notkühlsysteme ausgefallen sind und weitaus mehr Radioaktivität in die Umgebung der Anlage ausgetreten ist, als im sogenannten Normalbetrieb abgegeben werden darf.
3. Welchen Zweck haben die Kühlversuche mit Meerwasser?
Alle vorhandenen Systeme und Notsysteme zur Kühlung der Reaktoren sind ausgefallen. Die Brennstäbe im Reaktordruckbehälter geben auch nach der Abschaltung weiterhin permanent Wärme ab. Kann diese Wärme nicht abgeführt werden, kommt es zu einer Überhitzung der Brennstäbe. In der Folge kann es zu einer Wasserstoff-Explosion kommen, die den Reaktordruckbehälter sprengt. Dabei wird das gesamte radioaktive Inventar freigesetzt, das allein beim kleinsten der drei Reaktoren im AKW Fukushima Daiichi dem von über 400 Hiroshima-Bomben entspricht.
Bei den Versuchen, die Reaktoren mit Meerwasser zu kühlen, handelt es sich um eine improvisierte Notlösung, die wenig erfolgversprechend ist. Bisher ist vermutlich noch rund 90 Prozent des radioaktiven Inventars in den Reaktordruckbehältern verblieben. Mit viel Glück kann der schlimmste Fall bei einem Kühlen, was über Wochen hin fortgesetzt werden muß, noch verhindert werden.
4. Welche Folgen können schlimmstenfalls eintreten?
Es sind zwei mögliche Unfall-Szenarien denkbar: Im Fall A kann es infolge von Überhitzung im Reaktordruckbehälter zu einer Wasserstoff-Explosion kommen, die diesen zerstört. Allein im kleinsten der drei direkt betroffenen Reaktoren des AKW entspricht das radioaktive Inventar mehr als dem 400-fachen der Hiroshima-Bombe, in den beiden Reaktoren 2 und 3 jeweils mehr als dem 700-fachen. Wird dieses radioaktive Material freigesetzt, kann es je nach Windverhältnissen dazu kommen, daß Gebiete von mehreren Quadratkilometern um das AKW für Jahrzehnte in Todeszonen wie um das AKW Tschernobyl verwandelt werden. Auch der Großraum Tokio mit seinen 35 Millionen EinwohnerInnen kann davon betroffen werden.
Sollte es gelingen, immer wieder genügend Druck aus dem Reaktordruckbehälter abzulassen und zugleich eine Wasserstoff-Explosion zu vermeiden, droht ein weiteres Katastrophen-Szenario, Fall B: Die sich auf über 2000 Grad Celsius und mehr erhitzende Masse kann sich durch die Wirkung der Gravitation nach unten durch den Boden des Reaktordruckbehälters fressen. Wenn sie dabei im Erdreich an wasserführende Schichten gelangt, kann es wiederum zu Explosionen und infolge dessen zur Freisetzung von Radioaktivität in die Atmosphäre kommen – mit ähnlichen Auswirkungen wie in Fall A.
5. Ist es ratsam, Japan verlassen?
Es ist schwer abzuschätzen wie hoch das akute und wie hoch das langfristige Risiko im Süden Japans – also etliche Kilometer südlich von Tokio sind. Möglicherweise bleiben die Folgen – wie nach der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl in manchen Teilen Westeuropas – auf einige Krebstote pro 100.000 EinwohnerInnen beschränkt. Jungen Menschen, die noch Kinder bekommen wollen, ist zumindest zu raten, die Zone von 80 bis 200 Kilometer um das AKW zu meiden. Wenn es erst zu einer massiven Freisetzung von Radioaktivität kommt, ist mit Panik und einer viele Tote verursachenden Massenflucht aus Tokio zu rechnen. Japan in einer solchen Situation noch rechtzeitig mit dem Flugzeug zu verlassen, wird allenfalls wenigen Superreichen möglich sein.
6. Was ist an langfristigen Folgen in Japan zu erwarten?
Mit viel Glück kann die Katastrophe in ihren Auswirkungen in der Größenordnung des Rektor-Unfalls von Harrisburg (1979) bleiben. Dort erhöhte sich laut einer unabhängigen Studie die Häufigkeit von Leukämie in der Hauptwindrichtung des AKW um das acht- bis zehnfache. Die Lungenkrebserkrankungen stiegen in der betroffenen Region um 30 Prozent. Im Schlimmsten Fall können wegen der dichteren Besiedelung Japans im Vergleich mit der Region um Tschernobyl die menschlichen und wirtschaftlichen Schäden höher als nach dieser Reaktor-Katastrophe sein. Damals starben nach unabhängigen Schätzungen allein in den ersten 15 Jahren – also bis 2001 - insgesamt etwa 70.000 Menschen an den Folgen der Tschernobyl-Katastrophe. Der wirtschaftliche Schaden für die damalige Sowjetunion belief sich laut Michail Gorbatschow auf rund 250 Milliarden Euro. Andere Schätzungen gehen von einem Vielfachen dieses Betrages aus.
Fragen zu den Folgen für Deutschland
7. Wird Radioaktivität aus Fukushima nach Deutschland gelangen?
Nach offiziellen Angaben wurde erstmals am Mittwoch, 23. März, radioaktives Jod aus Japan in Deutschland festgestellt. Die Dosis sei "absolut unbedenklich", teilte eine Sprecherin des sogenannten Bundesumweltministeriums in Berlin mit. "Es konnten geringste Spuren, ein fünftausendstel Becquerel Jod pro Kubikmeter Luft, nachgewiesen werden," sagte die Sprecherin. "Die daraus resultierende Dosis ist mehr als eine Millionen Mal niedriger als die Dosis, die ein Mensch durch die natürliche Strahlung erhält."
Wenig später hieß es (Meldungen von Donnerstag und Freitag), daß erst am Samstag, 26. März, "erstmals seit der Reaktorkatastrophe in Japan ein nuklearer Fallout über Deutschland möglich" sei. Sicher ist lediglich, daß sich ein radioaktiver Fallout – wie bei den oberirdischen Atombombentests in den 1960er Jahren innerhalb von Wochen um den gesamten Globus mit mehr oder weniger hoher Intensität ausbreiten wird.
Hierzu ist festzuhalten, daß seit einigen Jahren unter WissenschaftlerInnen, die mit diesem Thema befaßt sind, Konsens herrscht: Es gibt keine Dosis-Schranke, keinen Schwellen-Wert, unterhalb dessen radioaktive Strahlung ungefährlich sei.
Wer das Pech hat, einige Millionstel Gramm Plutonium, das bei der Katastrophe in Japan freigesetzt wurde, einzuatmen, wird unweigerlich Lungenkrebs bekommen. Auch die bereits vorhandene sogenannte Hintergrundstrahlung, die zum Teil durch die Atombomben-Tests der 1960er Jahre verursacht wurde, zum Teil auch auf Radon zurückzuführen ist, das aus der Erdkruste stammt und die rund 0,1 µSv/h beträgt, trägt zu einer gewissen Zahl von Krebserkrankungen bei. Ähnlich wie bei der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 wird die über weite Landstriche ziehende radioaktive Wolke nicht vorauszuberechnen sein und der Fallout – beispielsweise verursacht durch Regen – wird lokal sehr unterschiedlich ausfallen. Ob eine – oder mehrere – radioaktive Wolken aus Japan Deutschland insgesamt stärker oder schwächer belasten werden als jene im Jahr 1986, ist jetzt noch nicht abzuschätzen. Die größere Entfernung zu Japan spricht für eine geringere Belastung. Wenn es jedoch noch zu einer Freisetzung des gesamten radioaktiven Inventars aus drei Fukushima-Reaktoren kommen sollte, kann dies auch für Deutschland gravierendere Folgen haben. Das gesamte radioaktive Inventar, das in den Brennelementen der drei havarierten Reaktoren steckt, entspricht ungefähr dem von 2000 Hiroshima-Bomben. Nicht zu verwechseln: Es geht hierbei um die Radioaktivität, nicht um einen Vergleich der Sprengkraft.
8. Ist die Einnahme von Jod-Tabletten überhaupt sinnvoll?
Sowohl in Japan und insbesondere in Deutschland muß vor der Einnahme von Jod-Tabletten gewarnt werden. Es handelt sich dabei eher um eine Beruhigungspille als um eine echte Vorsorge-Maßnahme. Jod-Tabletten scheinen vorwiegend dazu zu dienen, die Menschen in der betroffenen Region von einer Massenflucht abzuhalten. Besonders deutlich wird die Problematik der Jod-Tabletten, wenn die möglichen Nebenwirkungen für Personen über 45 Jahren betrachtet werden. MedizinerInnen weisen darauf hin, daß das Risiko bei der Einnahme von Jod-Tabletten bei über 45-Jährigen größer sei als das Risiko von Schilddrüsenkrebs bei einer Reaktor-Katastrophe. Da bekannt ist, daß das Krebsrisiko bei einer Katastrophe wie Tschernobyl sich nicht allein auf Schilddrüsenkrebs beschränkte, wird jede und jeder, der noch bei Verstand ist, alles daran setzen aus der Gefahrenzone zu fliehen, statt zu Hause zu sitzen und eine beliebige (Beruhigungs-)Tablette zu schlucken. Als Folge von Tschernobyl wurde bis zum Jahr 2000 bei Männern eine drastische Zunahme von Lungen-, Magen-, Haut- und Prostatakrebs registriert. Bei Frauen hat sich die Zahl der Brustkrebserkrankungen innerhalb von 10 Jahren verdoppelt. Eine US-amerikanische Langzeitstudie ergab, daß die Zahl der Babys mit Spina bifida (offenem Rücken) in den ukrainischen Provinzen Wolyn und Rowno um das 20fache gestiegen war.
9. Wie kann ich feststellen, ob meine Nahrung radioaktiv kontaminiert ist?
Selbstverständlich ist es niemandem zu verwehren, sich einen Geigerzähler anzuschaffen. Doch die Mühe, sämtliche Nahrungsmittel und Getränke über Jahre hin zu vermessen, ist vermutlich kaum durchzuhalten. Eine relative Sicherheit geben – je weiter von Japan entfernt, desto zuverlässiger – die behördlichen Untersuchungen, die allerdings nur auf Stichproben beruhen. Nicht vergessen werden sollte allerdings beispielsweise das jahrelange Leugnen jeglicher radioaktiver Belastung nach der Tschernobyl-Katastrophe in Frankreich durch die dortigen Behörden. Hinzu kommt, daß etwa Alpha-Strahler wie Plutonium mit einer nur sehr geringen Reichweite der Strahlung nur schwer zu detektieren sind. Zu erinnern ist auch an die Einschätzung von Fachleuten, daß ein nicht unerheblicher Anteil der Krebstoten infolge von Rauchen auf die an Tabakblättern anhaftenden Plutonium-Atome aus dem Fallout der Atomwaffen-Tests zurückzuführen ist.
Fragen zum Risiko der Atomenergie
10. Das Erdbeben hatte eine Stärke von 8,8 auf der Richterskala. Das Epizentrum lag 80 Kilometer vor der Küste. Daraus ist zu folgern, daß seine Stärke am Standort des AKW Fukushima Daiichi weit geringer war, als das Erdbeben zuvor im neuseeländischen Christchurch mit einer Stärke von 6,3. Angeblich sind die japanischen AKW für Erdbeben der Stärke 8,2 ausgelegt. Was ist also von den Angaben der Betreiber zur Erdbebebnsicherheit zu halten?
Die Auslegung von AKW in Hinblick auf die bei Erdbeben auftretenden Beschleunigungen beruhen auf theoretischen Annahmen. Im Falle ziviler Gebäude konnten die Annahmen nach den Erfahrungen mit Erdbeben von mal zu mal verbessert werden. Dies hat jedoch wenig Relevanz für die Berechnung der Erdbebenfestigkeit etwa von sicherheitswichtigen Rohren des Kühlkreiskaufs oder der Bruchfestigkeit von Rohrstutzen am Reaktordruckbehälter. Und es hat offensichtlich wenig Relevanz für den Fall, daß die gesamte elektrische und auf Dieselgeneratoren basierende Notstromversorgung ausfällt. Nach den Erfahrungen von mehr als 30 Jahren mit der tatsächlichen Umsetzung von Sicherheitsvorschriften in AKW darf nicht davon ausgegangen werden, daß die nominellen Vorgaben bei der Anlagensicherheit auch realisiert werden. Dies wird nicht zuletzt durch den vielfach belegten Pfusch am Bau – unter anderem am Betonfundament – bei den 2006 beziehungsweise 2008 begonnenen Reaktorbauvorhaben in Olkiluoto und Flamanville bestätigt. Und am Ende ist entscheidend: Wird ein AKW für Erdbeben der Stärke 9 ausgelegt, heißt dies keinesfalls, daß ein Erdbeben der Stärke 9,5 vor Ort ausgeschlossen ist. Sicherheitsvorkehrungen werden bestenfalls bis zu dem Punkt getrieben, an dem die gesamte Anlage nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden kann. Selbst bei noch so hohem technischen Aufwand kann das Restrisiko niemals auf Null minimiert werden.
11. Läßt sich überhaupt die Sicherheit oder das Risiko von Atomkraftwerken beurteilen?
Eine der ersten Risiko-Studien war der 1957 veröffentlichte 'Brookhaven-Report' oder 'WASH-740'. Als Folge eines schweren Reaktorunfalls wurden 3.400 Tote, 43.000 Verletzte und ein Sachschaden von 7 Milliarden Dollar veranschlagt. Eine Berechnung der Wahrscheinlichkeit eines Unfalls enthielt er jedoch nicht.
Die erste Studie, die detaillierte Aussagen über die Wahrscheinlichkeit von Reaktorunfällen machte, war der 1975 erschienene 'WASH-1400', der unter der Bezeichnung "Rasmussen-Report" bekannt wurde. Danach würde der schlimmste Unfall eines 1000-MW-Reaktors zu 3.300 Soforttoten und 45.000 Fällen von Früherkrankungen, sowie zu einem Sachschaden von 14 Milliarden Dollar führen. Gesundheitliche Spätschäden eines solchen Unfalles werden mit 45.000 Krebstoten, 240.000 Fällen von Schilddrüsenkrebs und etwa 5.000 genetischen Schäden angegeben. Die Wahrscheinlichkeit für diesen Unfall wurde auf eins zu einer Milliarde Jahre pro Reaktor veranschlagt. Bei hundert Reaktoren würde dies bedeuten, daß ein solcher schwerer Unfall nur einmal in 10 Millionen Jahren vorkommt.
Das schien kein sonderlich großes Risiko zu sein. Doch kaum war die Studie erschienen, setzte massive Kritik von AtomkraftgegnerInnen und unabhängigen WissenschaftlerInnen ein. Es wurden eine Vielzahl systematischer Fehler nachgewiesen und generell wurde der Rasmussen-Report als interessegeleitete Verharmlosung kritisiert. So wurden etwa die Ereignisablauf- und Fehlerbaum-Analysen, die ursprünglich im Rahmen des US-amerikanischen Raumfahrtprogramms entwickelt worden waren, von der Raumfahrt-Industrie zwischenzeitlich wegen der Unzuverlässigkeit der darauf beruhenden Sicherheits-Analysen fallengelassen.
Die 1979 veröffentlichte 'Deutsche Risikostudie Kernkraftwerke (DRS)' beruhte dennoch weitgehend auf der "Rasmussen-Studie". Sie kommt zum Ergebnis, daß bei einer Kernschmelze mit Dampfexplosion, mit 14.500 Soforttoten und 104.000 Spätgeschädigten zu rechnen sei. Die Häufigkeit eines Kernschmelzunfalls wurde mit eins zu 10.000 Betriebsjahren ermittelt.
Bei 17 deutschen Reaktoren würde dies bedeuten, daß durchschnittlich mit einem Unfall in 588 Jahren zu rechnen wäre. Diese Zahl sagt jedoch nichts darüber aus, wann der Unfall eintreten wird, ob in 588 Jahren oder schon morgen. In neueren Risikostudien wurden bestimmte Unfallabläufe anders bewertet, wodurch sich die erwartete Kernschmelzhäufigkeit um den Faktor drei verringerte. Gleichzeitig wird jedoch von einer erhöhten Freisetzung von Radioaktivität ausgegangen, was den scheinbaren Sicherheitsgewinn wieder relativiert.
Die eigentlich entscheidende Frage wird bei all diesen Überlegungen und hypothetischen Berechnungen jedoch vermieden: Können wir überhaupt ein Schadensereignis in einer solchen Dimension wie bei einer Reaktor-Katastrophe noch als hinnehmbar angesehen?
Ist ein solches Ereignis etwa mit einer Bergwerks-Katastrophe oder einem Zugunglück mit einigen hundert Toten vergleichbar? Dies wird von den meisten BefürworterInnen der Atomenergie gerne miteinander verglichen. Die Argumentation lautet: Wenn wir als Preis von Zivilisation und Fortschritt solche Unglücke in Anbetracht der geringen Eintritts-Wahrscheinlichkeit akzeptieren, sei auch das Restrisiko bei Atomkraftwerken akzeptabel.
Doch es ist eine ethische Frage ganz anderer Qualität, ob es verantwortbar ist, das Leben hunderttausender Menschen und die Verwüstung ganzer Landstriche für Jahrzehnte aufs Spiel zu setzen. Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit noch so gering sein sollte. Denn die Wahrscheinlichkeitslehre sagt uns: Selbst ein Ereignis mit noch so geringer Wahrscheinlichkeit kann schon morgen eintreten.
12. Ist ein Unfall wie der im AKW Fukushima Daiichi auch in Deutschland möglich?
Selbstverständlich. Auch hier in Deutschland kann beispielsweise ein Erdbeben auftreten, das stärker ist als jenes, für das die Sicherheitsvorkehrungen des AKW ausgelegt sind oder sein müßten. Auch ohne Erdbeben ist der Notstromfall bereits mehrfach in deutschen AKW aufgetreten. In den vergangenen vier Jahrzehnten kam es in Deutschland zu einer Vielzahl von Unfällen in Atomkraftwerken, die als "Pannen" verharmlost wurden. Oft kamen erst Monate oder Jahre danach Informationen über die tatsächlichen Abläufe bei den Unfällen an die Öffentlichkeit. Mindestens fünf mal konnte ein Super-Gau in Deutschland nur knapp vermieden werden.
Im Internet sind entsprechende Verzeichnisse zu finden: beispielsweise unter:
Die Geschichte der Atom-Unfälle
Folge 7 der Info-Serie Atomenergie
Fragen zu einem Atomausstieg in Deutschland
13. Warum wurden in den vergangenen 10 Jahren seit der Ankündigung des Atom-Ausstiegs nur 2 von 19 Reaktoren in Deutschland stillgelegt?
Bei dem im Jahr 2000 von "Rot-Grün" verkündeten Atom-Ausstieg handelte es sich um eine Mogelpackung. Die Laufzeiten der Atomkraftwerke wurde nicht konkret festgelegt. Je nach Berechnungsgrundlage konnte aus dem "Konsensvertrag" eine Gesamtlaufzeit pro Reaktor von 32, 35 oder 37 Jahren herausgelesen werden. Unzweideutig wurde mit diesem Vertrag allerdings festgelegt, daß die bis zum Jahr 2000 in deutschen AKW produzierte Menge an radioaktivem Abfall hätte verdoppelt werden dürfen. Der bekannte Bestsellerautor und Atomenergie-Kritiker Holger Strohm schrieb in seinem 2001 veröffentlichten Buch 'Die stille Katastrophe': "Dabei waren Atomkraftwerke anfangs nur für 25 Jahre Betrieb ausgelegt. Seit über einem Jahrzehnt ist kein neues Atomkraftwerk mehr ans Netz gegangen. Das heißt, die Atomkraftwerke laufen länger als ursprünglich geplant, und das wird uns als Ausstieg verkauft. Wir werden arglistig getäuscht!"
14. Welche der erneuerbaren Energien liefert am meisten Strom?
Zur Zeit liefert die Windenergie den größten Anteil am Strom aus erneuerbaren Energien. Insgesamt liegt der Anteil der erneuerbaren Energien an der deutschen Stromversorgung bei 17 Prozent. Windenergie hat an der gesamten Stromproduktion der erneuerbaren Energien einen Anteil von rund 40 Prozent, Wasserkraft von rund 20 Prozent. Insbesondere der Ausbau von Kleinwasserkraftwerken wird in Deutschland besonders stark gebremst. Auch Photovoltaik, Biogas und andere Techniken der erneuerbaren Energiegewinnung leisten einen unverzichtbaren Anteil beim Aufbau einer nachhaltigen Energiewirtschaft.
Übrigens: Atomstrom trägt zur Stromproduktion in Deutschland mit weniger als 23 Prozent bei.
15. Was kann jeder Einzelne tun? Stromanbieter wechseln? Was sonst noch?
Das Wichtigste ist, selbst aktiv zu werden, sich in Bürgerinitiativen und Aktionsgruppen zu engagieren. Entscheidend wird sein, ob immer mehr Menschen den Glauben verlieren, daß Politik an SpezialistInnen, sogenannte PolitikerInnen delegiert werden kann.
Den Stromanbieter zu wechseln ist durchaus ein wichtiger Hebel. Auf lange Sicht kann so den "Großen Vier", E.on, RWE, Vattenfall und EnBW, die am Weiterbetrieb der AKW interessiert sind, ihre wirtschaftliche Machtbasis entzogen werden. Es wäre jedoch eine Illusion, zu hoffen, daß dies allein ausreicht und eine Mehrheit der Deutschen in wenigen Jahren diesen Schritt tun. Dabei beansprucht er nur wenige Minuten Zeit.
16. Woran erkennt man wirklich umweltfreundliche Stromanbieter?
1. Echte Ökostrom-Anbieter investieren einen nachprüfbaren Anteil ihrer Einnahmen in den Ausbau der erneuerbaren Energien. Sie tragen so zum Wachsen des Anteils der erneuerbaren Energien, an neuen Wasserkraftwerken, Windkraftwerken u.s.w. bei.
Andere hingegen tauschen etwa Atomstrom gegen Wasserkraftstrom aus Norwegen, was am gegenwärtigen Verhältnis von Atomstrom zu Ökostrom nichts ändert.
2. Echte Ökostrom-Anbieter sind keine Tochter-Unternehmen der "Großen Vier" und mit diesen auch nicht verflochten
3. Sie handeln auch nicht mit sogenannten RECS-Zertifikaten.
Empfehlenswert sind daher in erster Linie die Ökostromanbieter Energiewerke Schönau, Greenpeace energy und Naturstrom.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Gesellschaft für Strahlenschutz:
Super-GAU ist längst Realität (23.03.11)
Die Situation in den havarierten japanischen AKW
Stand: Sonntag 16 Uhr (13.03.11)
Notkühlfall in japanischem AKW
Situation in Reaktor Fukushima Daiichi I spitzt sich zu (11.03.11)
Nach jahrelangem Stillstand
Japanischer Schneller Brüter Monju im Probebetrieb (7.05.10)
Feuer in japanischem AKW
Ein Arbeiter verletzt (5.03.09)
Brand im weltgrößten AKW
Seit Juli wegen Erdbeben-Schäden
auf unabsehbare Zeit abgeschaltet (20.09.07)
Japanisches AKW durch Erdbeben schwerer beschädigt
als bisher bekannt
Über 50 Prozent mehr Radioaktivität ausgetreten (18.07.07)
Erdbeben verursachte Unfall in japanischem AKW
Radioaktives Wasser trat aus (16.07.07)
Schweres Erdbeben erinnert an
AKW-Stilllegung vor einem Jahr (26.03.07)
Japan: AKW Shika abgeschaltet
Gericht erkennt auf mangelhafte Erdebebensicherheit (25.03.06)
11 AKWs in Japan abgeschaltet
Zweiter japanischer Strom-Konzern muß Konsequenzen ziehen
(14.08.04)
Atom-Ausstieg ist möglich
in Japan 17 AKWs abgeschaltet (22.04.03)