17.07.2007

Beinahe-GAU oder Medien-GAU?

Betrachtungen zum Unfall im AKW Krümmel im Zerrbild der Mainstream-Medien

Am 28. Juni brannte ein Transformator auf dem Gelände des AKW Krümmel. Ab dem 3. Juli - nachdem nicht mehr geheim zu halten war, daß die Schnellabschaltung des Reaktors keineswegs planmäßig verlaufen war - wurde die Öffentlichkeit täglich von einer Fülle an Meldungen überschwemmt. In den Meldungen der Mainstream-Medien wurde in den seltensten Fällen überhaupt erwähnt, daß der Füllstand im Reaktordruckbehälter während der Schnellabschaltung um über zwei Meter abgesunken war. Erst recht blieb unerwähnt, daß es sich bei diesem Füllstandsabfall und dem zusätzlich eingetretenen Druckverlust von 65 auf 20 bar um eine äußerst gefährliche Situation gehandelt hatte. Auch Zeitungen wie die 'junge welt', die 'taz' oder die 'Süddeutsche Zeitung', die in der Öffentlichkeit als "atomenergie-kritisch" gelten, versagten auf der ganzen Linie.

Mit der großen Zahl an Veröffentlichen zu den AKWs Krümmel und Brunsbüttel wurde zudem das Ziel erreicht, daß die Öffentlichkeit vom zentralen Punkt auf nachrangige Themen wie fehlerhafte Dübel abgelenkt wurde. Selbstverständlich ist auch der Einbau falscher Dübel in einer sicherheitstechnisch hochsensiblen Anlage wie einem AKW ein Skandal. Doch im Vergleich zum Füllstandsabfall im Reaktordruckbehälter des AKW Krümmel am 28. Juni handelt es sich dabei um Petitessen.

Die Konzentration der Mainstream-Medien auf das Thema "Kommunikations-GAU" war ein weiteres Ablenkungsmanöver. "Kommunikations-GAU" heißt dabei im Grunde nichts anderes, als daß der Betreiber-Konzern Vattenfall wie alle anderen Betreiber von AKWs bei Unfällen allenfalls die Informationen herausgibt, die nicht mehr geheim zu halten sind. Ähnliches ist beim jüngsten AKW-Unfall in Japan zu beobachten und ebenso verhielt es sich beim Beinahe-GAU des ebenfalls vom Vattenfall-Konzern betriebenen AKW Forsmark am 25. Juli 2006 in Schweden. Auch dies ist unbestreitbar kritikwürdig. Fatal ist es jedoch, wenn sich die Kritik hierauf konzentriert und der Beinahe-GAU darüber aus dem Blickfeld gerät.

Das ZDF stellte heute ganz zurecht fest: "Die Atomindustrie versucht, das Sicherheits-Debakel als Kommunikationsproblem herunter zu spielen." Doch auch im ZDF wurde der Füllstandsabfall im Reaktordruckbehälter nur beiläufig erwähnt und dessen Bedeutung, die technischen Laien so nicht erfassen können, wurde bisher verschwiegen.

Allein auf den Seiten von 'zdf-online' war heute folgender Abschnitt zu lesen:

Krisensitzung nach Krümmel-Störfall

Am 9. Juli trafen sich Vertreter von der Atomaufsicht Kiel, vom Bundesumweltministerium, von Vattenfall sowie vom TÜV Nord/Germanischer Lloyd zu einer Krisensitzung. In einem internen Vermerk zu dieser Sitzung findet sich eine Passage, in der Vattenfall die Ereignisse folgendermaßen schildert: "In Folge der Reaktorschnellabschaltung kam es zu nicht vorgesehenen und beabsichtigten Druck- und Füllstandsveränderungen im Reaktordruckgefäß, die zwar hier nach derzeitigen Erkenntnissen zu keinen negativen Folgen geführt haben, die aber grundsätzlich Vorläufer von schweren Stör- oder Unfällen sein können. Bei dem Ereignis musste zur Beherrschung die dritte von drei Sicherheitsebenen zum Einsatz kommen."

Hieraus geht hervor: Im AKW Krümmel konnte die Situation am 28. Juni gerade eben noch mit knapper Not beherrschen werden. Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe hält deshalb die Diskussion über die Informationspolitik der Atomindustrie für eine Scheindebatte. Im Vordergrund müsse die Frage stehen: "Wie schwer war der Störfall, kann er sich wiederholen? Und mein Eindruck ist, er war gefährlicher als bisher bekannt ist."

Vattenfall hat sich inzwischen dazu bereit erklärt, alle Dokumente zum 28. Juni ins Internet zu stellen. Dort sind nun zwar pdf-Dateien mit insgesamt mehreren hundert Seiten zu finden. Der vom ZDF zitierte Satz "In Folge der Reaktorschnellabschaltung kam es zu nicht vorgesehenen und beabsichtigten Druck- und Füllstandsveränderungen im Reaktordruckgefäß, die zwar hier nach derzeitigen Erkenntnissen zu keinen negativen Folgen geführt haben, die aber grundsätzlich Vorläufer von schweren Stör- oder Unfällen sein können." ist aber nirgendwo zu finden.

Ohne genauere Informationen - die Vattenfall jedoch nach wie vor geheim hält - läßt sich der Verlauf des Beinahe-GAU am 28. Juni nur versuchsweise rekonstruieren:

Wie Vattenfall ausweislich der im Internet präsentierten Protokolle inzwischen eingesteht, kam es wegen einem Ausfall der Reaktorspeisepumpe 2 zum Ausfall der Kühlwasserzufuhr des Reaktordruckbehälters. In diesem befinden sich die Brennstäbe, mit denen die Kettenreaktion in Gang gesetzt wird. Diese können bei Überhitzung durchbrennen, was zur gefürchteten "Kernschmelze" führen kann.

Warum diese Pumpe ausgefallen ist und warum es trotz Funktion der anderen Pumpe zu einem Sinken des Füllstands ("Füllstandsabfall") kam, ist bislang "Betriebsgeheimnis". Denkbar ist, daß eines oder mehrere Abblasventile, die während der Schnellabschaltung automatisch geöffnet werden, nicht wieder schloß.

Der Füllstand des Reaktordruckbehälters sank zunächst um über zwei Meter auf ein Niveau unter 11,92 Meter. Obwohl regulär der "Durchdringungsabschluß der Frischdampfleitungen und der Start des Nachspeisesystems TM" zur Kühlung des Reaktordruckbehälters angesagt gewesen wäre, kam es anders. Von Hand wurden zwei Ventile geöffnet. Angeblich deshalb, weil der Reaktorfahrer einen Befehl falsch verstanden habe. Merkwürdigerweise sind die automatischen Aufzeichnungen, die per Computer ausgeführt werden, wegen einer "Panne" nicht vorhanden. Die Version, daß ein Befehl falsch verstanden worden sei, ist höchst unglaubwürdig. Reaktorfahrer und Schichtleiter - die zunächst auch gegenüber der Staatsanwaltschaft abgeschirmt wurden, weil diese sie vernehmen wollte - bilden ein gut ausgebildetes und eingespieltes Team, bei dem es keine Mißverständnisse geben darf. Es ist allenfalls denkbar, daß in der Schaltwarte beim Eindringen des Rauchs Panik geherrscht hat. Wie inzwischen bekannt wurde, haben sich dort nicht etwa wie normal lediglich fünf, sondern zwischen 15.02 Uhr und 15.30 Uhr insgesamt 37 Personen aufgehalten.

Exakt in diesem Zeitraum werden die beiden S/E-Ventilen von Hand für 4 Minuten geöffnet. Dies führt zum Druckabfall im Reaktordruckbehälter von 65 bar auf 20 bar. Der Füllstand sinkt weiter ab bis auf auf 11,60 Meter. Ein weiteres Einspeisesystem "TJ" wird automatisch gestartet. Dabei handelt es sich bereits um die zweite oder dritte von mehreren Sicherheitsbarrieren.

Die Kühlung des Reaktordruckbehälters durch das "Nachspeisesystem TM" funktioniert offenbar nicht und hinzu kommt, daß das "Einspeisesystem TJ" - aus welchen Gründen auch immer - auf "Mindestmengenbetrieb" geschaltet ist. Erst mit Hilfe der dritten Sicherheitsebene - oder vielleicht auch der vierten und somit dem allerletzten Notnagel - also durch das Steuerstabspülwassersystem RS und das Dichtungssperrwassersystem TE kann der Füllstand im Reaktordruckbehälter endlich wieder auf die nötige Mindesthöhe von 14,07 Meter angehoben werden.

Es hat sich also am 28. Juni 2007 im AKW Krümmel ebenso wie am 25. Juli 2006 im AKW Forsmark um einen Beinahe-GAU gehandelt. Zudem dürfte klar sein, daß es sich hier in Deutschland - anders als in Schweden - zugleich um einen Medien-GAU gehandelt hat. Deutlich wurde damit zugleich, wie wichtig Medien der Gegenöffentlichkeit sind.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      AKW Krümmel knapp an GAU vorbei
      Schnellabschaltung infolge des Brands gefährdete Reaktor (3.07.07)

      Brand im AKW Krümmel
      Reaktor heruntergefahren (28.06.07)

      Informationen zum "Atom-Ausstieg"

 

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