15.12.2004

Harte wissenschaftliche Kontroverse
um Elbmarsch-Leukämie

Am 1. November hatten sechs von acht WissenschaftlerInnen der schleswig-holsteinischen Fachkommission, die zur Aufklärung der Ursachen gehäufter Leukämieerkrankungen bei Geesthacht und in der Elbmarsch eingesetzt worden war, ihren Rücktritt erklärt.1 Bereits zum 10. Dezember lag nun ein Bericht zweier Mitglieder der niedersächsischen Leukämiekommission vor, in dem die hohe Leukämierate zwar nicht bestritten, aber zu einem Teil statistischer Schwankung erklärt wird.

Unter Protest hatten der Vorsitzende, Professor Dr. Wassermann, und fünf weitere Kommissionsmitglieder ihr Amt niedergelegt, weil die schleswig-holsteinische Landesregierung über Jahre hinweg - zuletzt unter Ministerpräsidentin Heide Simonis - ihre Arbeit behindert und eine "Verschleierungspolitik" betrieben habe. In ihrem am 1. November vorgelegten Statement konnten die WissenschaftlerInnen einerseits für die gehäuften Leukämieerkrankungen insbesondere bei Kindern als Ursache das nahe gelegene AKW Krümmel weitgehend ausschließen. Andererseits lediglich als indiziengestützte These konnten sie aufzeigen, daß ein Unfall im Jahr 1986 in einem Versuchslabor auf dem zwischen Kernforschungsanlage GKSS (Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt GmbH) und AKW Krümmel gelegenen Gelände als ursächlich angesehen werden muß. Mangels Zugang zu angeblich erst nach dem Unfall verbrannten Dokumenten, kann diese These bislang weder bestätigt noch widerlegt werden. Viele der gesammelten Indizien deuten darauf hin, daß in jenem Atom-Labor militärische Experimente durchgeführt worden waren.

Auch das Deutschen Kinderkrebsregisters in Mainz sieht die weltweit einmalig hohe Leukämierate bei Kindern in der Nähe des AKW Krümmel und des GKSS-Kernforschungszentrums als Gegenstand einer heftigen wissenschaftlichen Kontroverse. Die Häufung in der Elbmarsch, die um das dreifache über dem Durchschnitt liegt, ist nach Analyse des Deutschen Kinderkrebsregisters statistisch weit herausragend.

Der Co-Vorsitzende der niedersächsischen Leukämiekommission, Erich Wiedemann, hatte nun jedoch erklärt, die unbestritten hohe Leukämierate könne auch mit einer statistischen Schwankung erklärt werden. Kindliche Leukämien träten grundsätzlich in lokalen Häufungen ("Clustern") auf, die weltweit anzutreffen seien. In dem am 10. Dezember vorgelegten "Abschlußbericht" wird darüber hinaus vermutet, eine "besondere Leukämieempfindlichkeit der betroffenen Wohnbevölkerung" könne als mögliche Ursache angesehen werden.

Prof. Dr. Inge Schmitz-Feuerhake als Vertreterin der zurückgetretenen Kommissionsmitglieder und Dr. Sebastian Pflugbeil von der 'Gesellschaft für Strahlenschutz' wiesen diese Vermutungen zurück. Weder für angeblich weltweit anzutreffende vergleichbare Häufungen, noch für die These einer "besondere Leukämieempfindlichkeit" gebe es die geringsten Hinweise. Beklagt wird darüber hinaus der Stil der Auseinandersetzung sowohl in der schleswig-holsteinischen als auch in der parallel eingesetzten niedersächsischen Leukämiekommission. Der "Abschlußbericht" der niedersächsischen Kommission sei von den beiden Vorsitzenden vorgelegt worden, "ohne die 26 weiteren Mitglieder der beiden Kommissionen" an diesem Bericht zu beteiligen. Kritik wird auch an der Seriosität des Berichts geübt. "Der Abschlußbericht erfüllt nicht die einfachsten Ansprüche, die an eine wissenschaftliche Arbeit zu stellen sind - in dem Text des Berichtes gibt es keine Quellenangaben." Die Schlußfolgerungen sind so keinesfalls nachvollziehbar.

Die Gruppe von WissenschaftlerInnen um Prof. Wassermann, Dr. Helga Dieckmann, Prof. Dr. Horst Kuni, Prof. Dr. Dr. h.c. Edmund Lengfelder, Prof. Dr. Inge Schmitz-Feuerhake und Prof. Dr. Roland Scholz, der sich Dr. Sebastian Pflugbeil und eine Ärtzin der Organisation IPPNW anschlossen, hatte in ihrer Stellungnahme zur Stützung ihrer These unter anderem Meßergebnisse vorgelegt, wonach in der Elbmarsch Plutonium und andere radioaktive Stoffe nachzuweisen waren, die in ihrer Konzentration und Zusammensetzung auf militärische Versuche hindeuten. Mit diesen Ergebnissen habe sich die Gegenseite nicht qualifiziert ausinandergesetzt.

 

Ute Daniels

 

Anmerkungen

1 Siehe hierzu auch unseren Artikel
      Rücktritte wegen skrupelloser Pro-Atom-Politik von Simonis
      (1.11.04)

 

neuronales Netzwerk