Ist Trittin erpreßbar?
AKW-Experte Eberhard Grauf wurde von Atom-Minister Trittin aus der Reaktorsicherheitskommission entfernt. Trittin entschied dabei gegen das Votum seiner Fachleute, aber entsprach damit dem Willen des Energie-Konzerns EnBW.
Am 2. Juli 2004, zwei Tage nach einem Besuch des Vorstands- vorsitzenden der EnBW im AKW Neckarwestheim, wurde der Leiter eines der beiden Reaktorblöcke im AKW Neckarwestheim, Eberhard Grauf, gefeuert. Monatelang wurde von allen Seiten abgestritten, daß der Rauswurf Graufs etwas mit dem Thema Sicherheit zu tun gehabt habe. Auch Trittin bestätigte, "Fragen des sicheren Betriebs", hätten bei dem Eklat keine Rolle gespielt. Doch Ende November wurde der 'Stuttgarter Zeitung' das Gesprächs-Protokoll des Besuchs1, der zur Entlassung Graufs geführt hatte, zugespielt.
Mit der Veröffentlichung des brisanten Gesprächs-Protokolls wurde offenkundig, daß es sehr wohl und in erster Linie um Fragen der Reaktorsicherheit gegangen war. Grauf hatte umfassende und fundierte Kritik am neuen Sicherheits-Management vorgebracht. Mit diesem seien nicht die nötigen Konsequenzen aus dem Störfall vom Frühjahr 2004 gezogen worden, bei dem das AKW Philippsburg radioaktives Wasser an die Umwelt abgegeben hatte. Der damalige baden-württembergische "Umwelt"-Minister Ulrich Müller war an den Rand des Rücktritts geraten und wochenlang stand das AKW still.
Wörtlich kommentierte Grauf laut Protokoll, die neuen Richtlinien seien "ein Schritt vor, zwei Schritte zurück". Unterm Strich werde die Situation "eher schlechter als besser". Was die EnBW auf Druck der Politik eingeführt habe, bezeichnete Grauf als "Alibi- und Beruhigungsinstrumentarien". Das Protokoll vermerkt: "Im Anschluß an diese Darlegungen herrschte blankes Entsetzen."
Weiter wurde bekannt, daß dieses Protokoll auch Trittin vorgelegen hatte. Trittin schwieg jedoch monatelang zur Sache und zog es vor, in der Öffentlichkeit die Kampagne der EnBW zu unterstützen, mit der Grauf als Querulant hingestellt werden sollte. Offenbar sehen selbst Trittins Berater dies anders, denn diese sprachen sich für den Verbleib Graufs in der Reaktorsicherheitskommission aus.
Am 23. Dezember nun präsentierte Atom-Minister Trittin die Namensliste für die turnusmäßige Neubesetzung der Reaktorsicherheits- kommission. Ein Name steht nicht mehr darauf: Eberhard Grauf, international renommierter AKW-Experte und bis zum Sommer Reaktorchef in Neckarwestheim.
Ein Sprecher Trittins erklärte auf Anfrage, Grauf sei nicht mehr aktiv in einem AKW tätig - wie in anderen Fällen auch sei damit die Grundlage für seine Tätigkeit in der Kommission entfallen. Mit eben dieser Begründung hatte der Energie-Konzern EnBW Trittin bereits im August aufgefordert, Grauf abzulösen oder nicht wieder zu berufen. Er sei nach dem Rauswurf "nicht mehr tragbar" und künftig ohnehin "nicht mehr auf dem aktuellen Informationsstand", schrieb ein EnBW-Vorstand an Trittin.
Doch jetzt wird die Sache erst richtig spannend: Trittin wies noch im September diesen Auftrag von EnBW unbotmäßig zurück: "Mit seiner Fachkenntnis und Erfahrung sowie seiner offenen und unvoreingenommenen Argumentation" sei ihm der entlassene Reaktorchef "eine wichtige Stütze",
antwortete Trittin der EnBW.
Womit wurde nun der zwischenzeitliche Sinneswandel Trittin bewirkt? Der Rat seiner Fachleute kann es nicht gewesen sein: Sowohl die Abteilung Reaktorsicherheit im Ministerium als auch die Reaktorsicherheitskommission selbst hatten sich nach Informationen der 'Stuttgarter Zeitung' (gestrige Ausgabe, 24.12.04) massiv dafür eingesetzt, Grauf erneut zu berufen. Sie verwiesen auf dessen unbestrittene Kompetenz und warnten vor dem Eindruck, ein unbequemer Experte werde auf Druck des Konzerns entfernt. Vergangene Woche wurde Grauf bei einer Tagung in Bonn sogar noch ausdrücklich für seine Sachkenntnis gepriesen.
Laut Recherche der 'Stuttgarter Zeitung' ist offensichtlich, daß sich Trittin schon vor Wochen festgelegt hatte und den Argumenten seiner Fachleute nicht mehr zugänglich war. Ist Trittin erpreßbar?
Klaus Schramm
Anmerkung
1 Siehe hierzu auch unseren Artikel
AKW Neckarwestheim - "Blankes Entsetzen"
Stuttgarter Zeitung veröffentlichte geheime Gesprächs-Protokolle
(29.11.04)