Widerstand gegen "Sport" rührt an die Grundfesten des Staates
Um es gleich zu verraten: AOK heißt in Leipzig "Anti-Olympisches Komitee". Und ein solches darf offenbar nicht sein: Im offiziell in Lausanne eingereichten Konzept der Stadt Leipzig für ihre Olympia-Bewerbung ist zu lesen, es gebe derzeit keine politisch motivierte Opposition gegen diese Bewerbung. Nur eine kleine lokale Gruppe habe sich gegen die Bewerbung ausgesprochen. Auch wenn die Stadt Leipzig und die Bewerbungskomitee Leipzig 20I2 GmbH versuchen, die "kleine Gruppe" als Enfant terrible im herbeigeredeten "one family"-Kollektiv zu bagatellisieren, reagieren sie doch geradezu paranoid gegenüber einer Handvoll Olympia-GegnerInnen und deren Aktivitäten.
Das Anti-Olympische Komitee Leipzig, dessen Kritik sich generell an Olympischen Spielen und deren Widerspiegelung der gesell- schaftlichen Verhältnisse festmacht, wird in zunehmendem Maße überwacht und kriminalisiert. So intervenierte die Stadtverwaltung Leipzig bei Veranstaltungsorten, die ihre Räumen dem AOK für Veranstaltungen überließen. Beispielsweise wurde eine in der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst für den 30. März anberaumte Veranstaltung kurzfristig abgesagt. Eine Benefiz-Veranstaltung für das AOK, die für den 9. April vorgesehen war, wurde mit der Begründung des generellen Veranstaltungsverbots am Karfreitag vom Ordnungsamt verboten, während 100 andere Veranstaltungen am gleichen Tag problemlos durchgeführt werden konnten und somit von einer politisch motivierten Entscheidung ausgegangen werden muß.
Dem IOC-Präsidenten Jacques Rogge wurden am 19. April 2004 in Leipzig die eventuell zukünftigen Olympiastätten vorgeführt - das AOK hatte zu Protesten aufgerufen. Die Polizei versuchte diese um jeden Preis zu unterbinden. So reagierte sie mit unverhältnismäßig langem Festhalten von Personen, die mit Transparenten protestierten und mit willkürlichen Personalienfeststellungen unbeteiligter PassantInnen. Doch trotz strengster Geheimhaltung des Terminplans durch die Stadt Leipzig und einem massiven Aufgebot an Sicherheitskräften gelang es Olympia-GegnerInnen, ihren Protest zu artikulieren und zu zeigen. Der Pressesprecher des AOK, Udo Franke, sagt dazu: "Es ist - gerade vor dem Hintergrund der Image-Kampagne >>Leipziger Freiheit<< ein Skandal, wie in Leipzig mit repressiven Maßnahmen versucht wird, kritische Veranstaltungen zum Thema Olympia und Proteste von Olympia-GegnerInnen zu verhindern."
Wenn die Stadt am 18. Mai 2004 bei der Vorauswahl in Lausanne in die engere Auswahl kommt, ist damit zu rechnen, daß repressive Maßnahmen einerseits durch den aktuellen Stand der technischen Möglichkeiten und andererseits durch den quantitativen Ausbau verstärkt würden. Denn mit diesem Status müßte sich Leipzig auf die große Entscheidung am 6. Juli 2005 in Singapur vorbereiten. Leipzig hätte im "bid book" nicht nur theoretisch zu beschreiben, wie sicherheitsrelevante Vorkehrungen umgesetzt werden, sondern diese teilweise bereits zu realisieren. Einen Vorgeschmack bietet ein Blick auf die diesjährige Austragungsstadt Athen, in der unter anderem 1.600 Kameras installiert werden, die in ihrer Mehrzahl auch
nach den Spielen bleiben sollen.
Daß die Olympia-GegnerInnen an einem Tabu rühren, zeigt sich auch an weiteren Aggressionen, die sie auf sich zogen. Bei einer Pro-Olympia-Demonstration unter dem Motto "Wir wollen die Spiele", die im Rahmen der traditionell friedlichen Montagsdemonstartionen am 17. November 2003 stattfand, kam es zu tätlichen Angriffen auf GegendemonstrantInnen.
Doch nicht nur die Olympia-GegnerInnen, die ihre Kritik öffentlich wahrnehmbar zum Ausdruck bringen, sind zunehmender Repression ausgesetzt. Es ist absehbar, daß alle, die nicht ins Olympia-gemäße Image passen, aus dem Stadtbild verschwinden müssen. Für die Sprayer-Szene, deren einzige legale Wand - die "Wall of Fame" - bereits am 20. Oktober 2003 geschlossen wurde, heißt dies, nur noch illegal aktiv sein zu können. Auch Stadtstreicher und "Penner" werden, wie die Erfahrungen mit den Olympia-Inszenierungen andern Orts gezeigt haben, wohl vertrieben werden.
Daß es sich weder um eine kleine noch um eine ausschließlich auf Leipzig beschränkte Gruppe handelt, soll eine Demonstration am 15. Mai in Leipzig beweisen, zu der unter dem Motto "Fatal Error - The Game is over" bundesweit aufgerufen wird.
Weitere Infos: http://www.nein-zu-olympia.de
Christian Semmler