31.01.2005

Gewerkschaften unter 7 Millionen
Arbeitslose über 7 Millionen

Obwohl "Super"-Minister Clement mit seiner neuen Ehrlichkeits-Masche auch bis weit in linke Kreise gläubige Andacht angesichts der Zahl von 5 Millionen Arbeitslosen auslöst - tatsächlich liegt die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland bei über 7 Millionen. Hier noch einmal kurz rekapituliert, wie sich diese Zahl zusammensetzt, die wir bereits am 27.12.041 veröffentlichten:

Laut offizieller Statistik der 'Bundesagentur für Arbeit' für 2004 waren im Schnitt 4,38 Millionen Menschen ohne Job. Hinzu kommen rund 90.000 Personen in "Trainings"-Maßnahmen - Summe: 4,47 Millionen, weiter 400.000 Personen mit "erleichtertem Arbeitslosengeld" - Summe: 4,87 Millionen, 250.000 Arbeitslose in BfA-geförderter "Selbständigkeit" - Summe: 5,12 Millionen, weitere 2 Millionen aus Statistik-Tricks der Kohl-Ära - Summe: über 7 Millionen.

Zugleich verlieren die Gewerkschaften immer schneller an Mitgliedern2 und können - vom Desinteresse der Gewerkschaftsbonzen mit "roten" oder "grünen" Parteibüchern einmal abgesehen - bei immer schmalerer basis dem beschleunigten Sozialabbau immer weniger entgegen setzen.

Bei der Jahrespressekonferenz des Gewerkschaftsdachverbandes mußte der DGB erstmals eingestehen, daß 2004 rund 350.000 oder 4,8 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder ihren Organisationen den Rücken kehrten. Damit waren Ende 2004 nur noch knapp über sieben Millionen Lohnabhängige gewerkschaftlich organisiert - im Januar wurde diese Marke inzwischen mit Sicherheit durchbrochen.

Wie DGB-Chef Michael Sommer in Berlin kleinlaut mitteilte, sei sich der DGB-Bundesvorstand auf einer Klausurtagung, auf der es "sehr ernsthafte Diskussionen" gegeben habe, darüber klar geworden, daß "die Gewerkschaften am Scheideweg" stünden. In unfreiwilliger Komik erinnerte er mit seiner Wortwahl an Bundeskanzler und Sommer-Intimus Gerhard Schröder als er verkündete, er habe das Problem des Mitgliederschwunds zur "Chefsache" erklärt.

Auch weiter hatte DGB-Chef Sommer nichts als Phrasen und Durchhalteparolen zu bieten: die Mitgliederentwicklung müsse "der zentrale Ausgangspunkt für gewerkschaftliches Handeln" sein. Zugleich erklärte er diese Feststellung zu einer "neuen Qualität". Außer mysteriösen Andeutungen, daß "Zusammenarbeit und Kommunikation untereinander" verbessert werden müsse, wußte Sommer nichts zu sagen.

Wenn auch keine Perspektive erkennbar war, so bot Sommer doch immerhin einen Ansatz zur Analyse der Misere: Leider sei es heute nicht selbstverständlich, daß die Menschen in Zeiten der "sozialen Krise" bei den Gewerkschaften Schutz suchten. Insbesondere ältere Beschäftigte, Erwerbslose und Rentner hätten ihre Mitgliedschaft im vergangenen Jahr aufgekündigt. Zudem habe der DGB Probleme damit, junge Beschäftigte bei einem Wechsel ihres Arbeitsverhältnisses in der Gewerkschaft zu halten.

Daß es letztes Jahr heftige Kontroversen innerhalb der Gewerkschaften über ihre Position zur Agenda 2010 und zu Hartz IV und zur Notwendigkeit, endlich auf Konfrontationskurs zu "Rot-Grün" zu gehen, gegeben hatte, scheint der DGB-Chef weiterhin ignorieren zu wollen. Die wachsende Spannung innerhalb der Gewerkschaften zwischen seinesgleichen und der Gewerkschaftsbasis nimmt Sommer dennoch genau wahr; das zeigen nebulöse Äußerungen wie: "Beobachter nehmen die Gewerkschaften als Einheit wahr, und wir tun gut daran, diese Einheit auch darzustellen". Damit meint er exakt dasselbe wie sein Freund Schröder, der immer genau dann die Einheit der SPD anmahnt, wenn noch irgendwelche Parteimitglieder wagen, eine abweichende Meinung zu äußern.

Wenn DGB-Chef Sommer scheinbar treuherzig erklärt, es müsse die Frage erörtert werden, "ob wir gesellschaftspolitisch auf dem richtigen Weg sind oder an der einen oder anderen Stelle nicht auch Fehler gemacht haben", meint er selbstverständlich die innergewerkschaftlichen Kontroversen. Der Weg, den Sommer weist, führt zu weiterer Anpassung an den neoliberalen Kurs von "Rot-Grün". So plädiert er dafür, der DGB müsse ein Schwergewicht darauf legen, an der Entwicklung einer "neuen Finanzarchitektur für einen modernen Sozialstaat" mitwirken. Und wer nun immer noch nicht kapiert, daß damit der Weg in die völlige Zerschlagung des Sozialstaats gemeint ist, dem macht Sommer klar, daß der DGB sich "über Strukturen, Aufgaben und Ziele des Sozialstaats sowie seine Finanzierung durch Steuern und Abgaben grundlegend neu verständigen" müsse. Und, "daß die Gewerkschaften sich Reformen nicht verweigern, sondern diese mitgestalten" sollen. Das ist der Weg in den doppelten Ausverkauf von Sozialstaat und Gewerkschaften. Und dieser Kurs Sommers wird zu einem noch rapideren Mitgliederschwund führen.

 

Harry Weber

 

Anmerkungen

1 Siehe hierzu unseren Artikel

    Arbeitslosigkeit auf absolutem Rekordniveau
    Anstieg von 4,38 auf 4,47 Millionen
    Tatsächlich bei über 7 Millionen (27.12.04)

    Siehe auch folgende Grafik der IG Metall

Arbeitslosen-Statistik 1993 bis 2003

2 Siehe folgende Grafik zur Mitgliederentwicklung des DGB

DGB-Mitglieder 1992 bis 2004

neuronales Netzwerk