9.05.2003

Argentinien:
Andenwald verschwindet

Dramatische Umweltsituation in Patagonien

Bereits 74 Prozent der ursprünglichen Waldbedeckung Argentiniens sind verschwunden. Das Ökosystem Bergwald der patagonischen Anden verschlechtert sich dramatisch. Grund dafür sind absichtlich angelegte Waldbrände und die nachfolgende Aufforstung mit exotischen Baumarten, vor allem Kiefern, durch Holz- und Ölfirmen wie Foyel S.A., Repsol / YPF und Benetton, oft auch Überweidung mit nachfolgender Desertifikation, Bodenveränderung durch höheren Wasserverbrauch u.a. Trotz gesetzlicher Verbote geht dieser Prozeß weiter, der sich durch die Wirtschaftskrise noch mehr verschärft: Die Provinzregierungen bessern ihre leeren Kassen durch Veräußerung staatlicher Ländereien an ausländische Investoren auf.

Die Andenwälder Argentiniens, die sich von der Provinz Neuquén bis Feuerland erstrecken, zählen zu den touristischen Hauptattraktionen Patagoniens. Endemische Baumarten, die unseren Buchen verwandt sind: Lengas, Coihues, Nires (Araukanische Buchen), sowie Lärchen, Zypressen und andere Baumarten bilden einen 2000 km langen, nicht mehr als 70 km breiten grünen Streifen längs der Kordillere.

Die Landschaft ist gebirgig, mit Schneegipfeln, vergletscherten Tälern, zahllosen Seen und Wasserläufen. Aber an die Stelle dieser idealen, ursprünglichen Wälder treten nach und nach dürre Bäume, die stumm von verheerenden Bränden zeugen (98 Prozent sollen dem Bündnis der NGOs von Rio Negro und Chubut zufolge absichtlich angelegt worden sein), und Panoramas, wo Pflanzungen exotischer Kiefernarten immer mehr die Oberhand gewinnen.

"Der Verursacher dieser dramatischen Verschlechterung des Ökosystems ist ein räuberisches Wesen mit einer Anpassungsfähigkeit, die nur mit dem eines Virus vergleichbar ist: der moderne Mensch", bemerkt Lucas Chiappe, der Koordinator der Umweltschutzorganisation Proyecto Lemu von Epuyén, Provinz Chubut. Und seine Worte gewinnen größeres Gewicht, wenn man weiß, daß bereits 74 Prozent der ursprünglichen Waldbedeckung Argentiniens verschwunden sind.

Die intensive forstwirtschaftliche Nutzung Patagoniens begann Ende des 19. Jahrhunderts nach der militärischen Niederlage der Mapuche (Araukaner) und der Eingliederung ihres Territoriums in die Republik Argentinien. 1913 meldete der nordamerikanische Geologe Bailey Willis in einem von der argentinischen Regierung in Auftrag gegebenen Gutachten den Verlust eines großen Teils der Wälder, die sich zwischen den Tälern San Martín de los Andes und Esquel erstreckten, also eines Streifens von mehr als 300 km Länge. Dafür gab es zwei Ursachen: der Holzeinschlag für die Sägewerke der Region und die Brandrodung zur Ausweitung der Viehzucht.

Nach einem Gutachten der argentinischen Generaldirektion der Wälder und Parks (DGByP) der Provinz Chubut über die Desertifikation der Kordillerenzone, veröffentlicht im Bulletin des Forschungszentrums für Forstwirtschaft der patagonischen Anden vom April / Mai 1988, veröden jährlich 300 Hektar Fläche. Hauptursachen dafür seien "Überweidung zusammen mit Abholzung, sowie Waldbrände, ebenfalls mit nachfolgender Überweidung". Zu diesen historischen Praktiken gesellen sich absichtlich angelegte Waldbrände zwecks Holzgewinnung, denn nach solchen Katastrophen erhalten die Sägewerksbetreiber die Genehmigung, sich die dürren Bäume herauszuholen. Die Aufforstung mit exotischen Baumarten vervollständigt dieses Bild.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann in der Region die Aufforstung mit Insigne-, Ponderosa-, Murrayana- und Oregon-Kiefern. Die Pioniere ließen sich vom raschen Wachstum dieser Bäume, die sich in kurzer Zeit in Nutzholz verwandelten, verführen. Aber diese Arten verwandelten den Charakter ganzer Landstriche wegen ihres hohen Wasserverbrauchs, des verschiedenartigen Harzes und der Nadeln, die die Zusammensetzung des Bodens veränderten und die ursprüngliche Flora und Fauna vertrieben. So vertrockneten z.B. im mittleren Westen der Provinz Neuquén, im Gebiet von Aluminé, Zehntausende (?) von Araukarien, weil sich die Wasserläufe wegen der Kiefernanpflanzungen verändert hatten.

Gegenwärtig werden, obwohl es gesetzlich verboten ist, weiter Genehmigungen zur Ersetzung heimischer Wälder durch Anpflanzungen von Exoten erteilt. Der Gemeinschaft Cuenca del Limay (CCdL) gelang es gemeinsam mit anderen Umweltverbänden von Bariloche, ein Projekt der Firma Foyel S.A. zu bremsen, die ca. 4 400 ha Wald abholzen wollte, um sie durch Kiefern zu ersetzen. Der CCdL zufolge war dies ein "rundes" Geschäft: Foyel S.A. hätte das durch den Holzeinschlag von Nires, Maitenes und Zypressen gewonnene Holz verkauft und später vom Staat obendrein nicht rückzahlbare Beihilfen zur Wiederaufforstung dieser 4.400 Hektar mit exotischen Baumarten erhalten.

Seit den letzten Jahrzehnten investieren große Gesellschaften an verschiedenen Stellen des Landes in die Forstwirtschaft mit exotischen Baumarten. Unter ihnen heben sich besonders die italienische Firma Benetton in Chubut und die Ölgesellschaften Shell in den Provinzen Buenos Aires und Corrientes, (die argentinische) Perez Cómpanc in Misiones, Corrientes und Buenos Aires, sowie (die spanisch/argentinische) Repsol / YPF in der Provinz Neuquén heraus.

Diese Szenerie wird noch besorgniserregender durch die zunehmende Wahrscheinlichkeit, daß die verschiedenen regionalen Verwaltungen, getrieben durch die Wirtschaftskrise, versuchen könnten, durch die Veräußerung der Wälder ihre Schulden zu begleichen oder Geldquellen zu erschließen.

Der Einstieg ausländischer Investoren in Patagonien, die bedeutende Ländereien von Privatpersonen aufkauften, gab Anlaß zu verschiedenen Artikeln in Zeitungsmedien. Das erregte die Empörung gewisser Kreise der Gesellschaft und weckte eine Art Immobilien-Chauvinismus. Und obwohl die patagonischen Zeitungen das Thema wieder fallenließen, wächst doch die Besorgnis der Bewohner des argentinischen Südens, weil die staatlichen Ländereien zu begehrenswerten Objekten geworden sind.

In der Provinz Chubut zum Beispiel, deren Regierung beteuert, daß ihre Ländereien und Wälder nicht veräußert werden würden, zeigen die Tatsachen das Gegenteil. Im Zuge der Modifizierung der Provinzverfassung wurden 1994 einige Änderungen eingeführt: während die frühere den Wald zum unveräußerlichen Gut erklärte, läßt die neue deren möglichen Verkauf zu. Der noch nicht näher geregelte Artikel 105 sieht vor, daß der Verkauf bewaldeter Flächen durch ein von vier Fünfteln der Kammer gebilligtes Sondergesetz genehmigt werden könnte. Auf diese Weise würde die Erzielung eines Konsenses ein großes Hindernis bedeuten, ein Konsens, der in Zeiten dringender Not möglicherweise zu erreichen wäre.

 

Hernán Scandizzo

 

 

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