Dramatische Umweltsituation in Patagonien
Bereits 74 Prozent der ursprünglichen Waldbedeckung Argentiniens sind verschwunden. Das
Ökosystem Bergwald der patagonischen Anden verschlechtert sich dramatisch. Grund dafür
sind absichtlich angelegte Waldbrände und die nachfolgende Aufforstung mit exotischen
Baumarten, vor allem Kiefern, durch Holz- und Ölfirmen wie Foyel S.A., Repsol / YPF und
Benetton, oft auch Überweidung mit nachfolgender Desertifikation, Bodenveränderung durch
höheren Wasserverbrauch u.a. Trotz gesetzlicher Verbote geht dieser Prozeß weiter, der sich
durch die Wirtschaftskrise noch mehr verschärft: Die Provinzregierungen bessern ihre leeren
Kassen durch Veräußerung staatlicher Ländereien an ausländische Investoren auf.
Die Andenwälder Argentiniens, die sich von der Provinz Neuquén bis Feuerland erstrecken,
zählen zu den touristischen Hauptattraktionen Patagoniens. Endemische Baumarten, die
unseren Buchen verwandt sind: Lengas, Coihues, Nires (Araukanische Buchen), sowie Lärchen,
Zypressen und andere Baumarten bilden einen 2000 km langen, nicht mehr als 70 km breiten
grünen Streifen längs der Kordillere.
Die Landschaft ist gebirgig, mit Schneegipfeln, vergletscherten Tälern, zahllosen Seen und
Wasserläufen. Aber an die Stelle dieser idealen, ursprünglichen Wälder treten nach und nach
dürre Bäume, die stumm von verheerenden Bränden zeugen (98 Prozent sollen dem Bündnis der
NGOs von Rio Negro und Chubut zufolge absichtlich angelegt worden sein), und
Panoramas, wo Pflanzungen exotischer Kiefernarten immer mehr die Oberhand gewinnen.
"Der Verursacher dieser dramatischen Verschlechterung des Ökosystems ist ein räuberisches
Wesen mit einer Anpassungsfähigkeit, die nur mit dem eines Virus vergleichbar ist: der
moderne Mensch", bemerkt Lucas Chiappe, der Koordinator der Umweltschutzorganisation
Proyecto Lemu von Epuyén, Provinz Chubut. Und seine Worte gewinnen größeres Gewicht,
wenn man weiß, daß bereits 74 Prozent der ursprünglichen Waldbedeckung Argentiniens
verschwunden sind.
Die intensive forstwirtschaftliche Nutzung Patagoniens begann Ende des 19. Jahrhunderts nach
der militärischen Niederlage der Mapuche (Araukaner) und der Eingliederung ihres
Territoriums in die Republik Argentinien. 1913 meldete der nordamerikanische Geologe Bailey
Willis in einem von der argentinischen Regierung in Auftrag gegebenen Gutachten den Verlust
eines großen Teils der Wälder, die sich zwischen den Tälern San Martín de los Andes und
Esquel erstreckten, also eines Streifens von mehr als 300 km Länge. Dafür gab es zwei Ursachen:
der Holzeinschlag für die Sägewerke der Region und die Brandrodung zur Ausweitung der
Viehzucht.
Nach einem Gutachten der argentinischen Generaldirektion der Wälder und Parks (DGByP) der
Provinz Chubut über die Desertifikation der Kordillerenzone, veröffentlicht im Bulletin des
Forschungszentrums für Forstwirtschaft der patagonischen Anden vom April / Mai 1988, veröden
jährlich 300 Hektar Fläche. Hauptursachen dafür seien "Überweidung zusammen mit Abholzung,
sowie Waldbrände, ebenfalls mit nachfolgender Überweidung". Zu diesen historischen
Praktiken gesellen sich absichtlich angelegte Waldbrände zwecks Holzgewinnung, denn nach
solchen Katastrophen erhalten die Sägewerksbetreiber die Genehmigung, sich die dürren Bäume
herauszuholen. Die Aufforstung mit exotischen Baumarten vervollständigt dieses Bild.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann in der Region die Aufforstung mit Insigne-, Ponderosa-,
Murrayana- und Oregon-Kiefern. Die Pioniere ließen sich vom raschen Wachstum dieser Bäume,
die sich in kurzer Zeit in Nutzholz verwandelten, verführen. Aber diese Arten verwandelten den
Charakter ganzer Landstriche wegen ihres hohen Wasserverbrauchs, des verschiedenartigen
Harzes und der Nadeln, die die Zusammensetzung des Bodens veränderten und die
ursprüngliche Flora und Fauna vertrieben. So vertrockneten z.B. im mittleren Westen der
Provinz Neuquén, im Gebiet von Aluminé, Zehntausende (?) von Araukarien, weil sich die
Wasserläufe wegen der Kiefernanpflanzungen verändert hatten.
Gegenwärtig werden, obwohl es gesetzlich verboten ist, weiter Genehmigungen zur Ersetzung
heimischer Wälder durch Anpflanzungen von Exoten erteilt. Der Gemeinschaft Cuenca del
Limay (CCdL) gelang es gemeinsam mit anderen Umweltverbänden von Bariloche, ein Projekt
der Firma Foyel S.A. zu bremsen, die ca. 4 400 ha Wald abholzen wollte, um sie durch Kiefern zu
ersetzen.
Der CCdL zufolge war dies ein "rundes" Geschäft: Foyel S.A. hätte das durch den Holzeinschlag
von Nires, Maitenes und Zypressen gewonnene Holz verkauft und später vom Staat obendrein
nicht rückzahlbare Beihilfen zur Wiederaufforstung dieser 4.400 Hektar mit exotischen Baumarten
erhalten.
Seit den letzten Jahrzehnten investieren große Gesellschaften an verschiedenen Stellen des
Landes in die Forstwirtschaft mit exotischen Baumarten. Unter ihnen heben sich besonders die
italienische Firma Benetton in Chubut und die Ölgesellschaften Shell in den Provinzen Buenos
Aires und Corrientes, (die argentinische) Perez Cómpanc in Misiones, Corrientes und Buenos
Aires, sowie (die spanisch/argentinische) Repsol / YPF in der Provinz Neuquén heraus.
Diese Szenerie wird noch besorgniserregender durch die zunehmende Wahrscheinlichkeit, daß
die verschiedenen regionalen Verwaltungen, getrieben durch die Wirtschaftskrise, versuchen
könnten, durch die Veräußerung der Wälder ihre Schulden zu begleichen oder Geldquellen zu
erschließen.
Der Einstieg ausländischer Investoren in Patagonien, die bedeutende Ländereien von
Privatpersonen aufkauften, gab Anlaß zu verschiedenen Artikeln in Zeitungsmedien. Das
erregte die Empörung gewisser Kreise der Gesellschaft und weckte eine Art
Immobilien-Chauvinismus. Und obwohl die patagonischen Zeitungen das Thema wieder
fallenließen, wächst doch die Besorgnis der Bewohner des argentinischen Südens, weil die
staatlichen Ländereien zu begehrenswerten Objekten geworden sind.
In der Provinz Chubut zum Beispiel, deren Regierung beteuert, daß ihre Ländereien und
Wälder nicht veräußert werden würden, zeigen die Tatsachen das Gegenteil. Im Zuge der
Modifizierung der Provinzverfassung wurden 1994 einige Änderungen eingeführt: während die
frühere den Wald zum unveräußerlichen Gut erklärte, läßt die neue deren möglichen Verkauf
zu. Der noch nicht näher geregelte Artikel 105 sieht vor, daß der Verkauf bewaldeter Flächen
durch ein von vier Fünfteln der Kammer gebilligtes Sondergesetz genehmigt werden könnte.
Auf diese Weise würde die Erzielung eines Konsenses ein großes Hindernis bedeuten, ein
Konsens, der in Zeiten dringender Not möglicherweise zu erreichen wäre.
Hernán Scandizzo