Zwei Monate Strafhaft für die Verteilung eines Flugblatts
vor dem Atomwaffen-Depot Büchel
Ein Strafmaß von zwei Monaten Haft läßt eine schwerwiegende Straftat
vermuten. Das Amtsgericht Cochem verurteilte jedoch gestern, am
23.11.2004, vier gewaltfreie Atomwaffen-GegnerInnen. Sie waren weder in ein
Gelände eingedrungen, noch hatten sie einen Zaun zerschnitten. Vor dem
Fliegerhorst Büchel hatten sie lediglich Flugblätter verteilt, in denen
sie gemeinsam mit anderen UnterzeichnerInnen die Soldaten aufrufen,
rechtswidrige Befehle zu verweigern.
Im Flugblatt und ausführlicher vor Gericht begründeten sie ihre Meinung,
daß die in Büchel stationierten Atombomben völkerrechts- und
grundgesetzwidrig sind. Sie beriefen sich auf Menschenrechte, auf das
Grundgesetz, auf humanitäres Völkerrecht, auf den
Nichtverbreitungsvertrag über Atomwaffen, der auch eine mittelbare
Teilhabe für Deutschland verbietet und zu wirksamen Maßnahmen zur
Abrüstung verpflichtet. Sie verwiesen darauf, daß sie Soldaten vor
drohenden Straftaten warnen wollten. Sie forderten, daß das Gericht bei
einer Verurteilung zumindest prüfen müsse, ob denn die nukleare Teilhabe
rechtmäßig sei. Und zu all dem stellten sie Beweisanträge.
Sie erinnerten an den Freispruch des Kammergerichts Berlin nach einer
Serie von Prozessen wegen des Aufrufs zu Fahnenflucht und
Befehlsverweigerung während des Nato-Krieges gegen Jugoslawien. Auch das
Kammergericht ließ damals die Frage, ob der Krieg völkerrechtswidrig
war, unbeantwortet. Es stellte jedoch fest, daß dies - wäre es für die
Gerichtsentscheidung relevant - das Bundes- verfassungsgericht entscheiden
müßte. Die Gehorsamsverweigerung bei unverbindlichen Befehlen sei
jedoch nicht rechtswidrig. Vor allem sei die in dem damaligen Aufruf zum
Ausdruck kommende zugespitzte Meinung durch Art. 5 Grundgesetz (Meinungsfreiheit)
gedeckt.
Ein borniertes Gericht, das schon die Anklageschrift nicht hätte
zulassen dürfen, ließ alle Argumente an einer dicken Panzerwand
abprallen, lehnte alle Beweisanträge ab und verurteilte zu hohen
Strafen. Fest verwurzelt in einer preußisch-militaristischen Tradition,
stand für Richter und Staatsanwältin wohl fest, daß Soldaten blind zu
gehorchen und nicht selbst nachzudenken haben.
Der Richter verurteilte Hermann Theisen, Heidelberg, zu 45 und Martin Hans Otto,
Wetzlar, zu 40 Tagessätzen. Zu einem Monat Haft wurden Johanna Jaskolski,
Erftstadt, und zu zwei Monaten Wolfgang Sternstein, Stuttgart, verurteilt.
Die Haftstrafen erhielten die beiden, die schon in der Vergangenheit
wegen Aktionen Zivilen Ungehorsams zu Haft verurteilt worden waren -
nicht zuletzt vom selben Amtsgericht. Alle Angeklagten legten
Rechtsmittel ein.
Elke Steven
und
Roland Blach