4.02.2001

Explosivstoff Wasser

Nahost braucht eine gerechtere Verteilung des Wassers

Konflikte um die knappe Ressource sind vorprogrammiert

Wenn Wasser als Waffe eingesetzt wird, könnte auch einmal Krieg um Wasser geführt werden, sagte der ehemalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali 1985.

Weder im Osloer Abkommen von 1993 und 1995 noch anläßlich der Gespräche in Camp David war zwischen den Beteiligten von Wasser die Rede. Wo hart verhandelt wurde, wer welche oft genug verkarsteten Böden und Hügel samt einiger wirtschaftlich unbedeutender Olivenhaine kontrolliert, vermied man das eigentlich triftige Problem: daß in Israel nichts so knapp ist wie jenes Nass, das zur Bewirtschaftung der Felder und zur Versorgung der Bevölkerung unabdingbar ist. Der tiefgreifende sozioökonomische Konflikt zwischen den Beteiligten drückt sich in einer krassen Tatsache aus: Israel kontrolliert 83 Prozent des Wassers der West Bank und verbraucht davon 80 Prozent - der geringe Rest steht der arabischen Bevölkerung zur Verfügung. In Israel wird ungern über dieses Thema gesprochen.

Hauptverschwender des Wassers ist die Landwirtschaft. Besonders die Zitrusplantagen verschlingen die knappe Ressource. Mehr als 60 Prozent der 1,9 Milliarden jährlich verbrauchten Kubikmeter Wasser nutzt die Agrarwirtschaft zu subventionierten Preisen. Die Lobby der Kibbuzim sperrt sich gegen die von der Regierung geplante Erhöhung der Wasserpreise.

Zugleich wird Wasser verschwendet. Mehr als 90 Millionen Kubikmeter werden pro Jahr unaufbereitet ins Meer geleitet. Unter den vergleichbar trockenen Bedingungen der Region verbrauchen die Israelis pro Kopf 100 Kubikmeter Wasser, die Jordanier 55 und die Menschen der Autonomiegebiete 35. Die Lage verschärft sich durch die geringen Niederschläge der letzten fünf Jahre.

Sollte es schließlich zur anvisierten Golan-Lösung mit Syrien kommen, müsste Israel auf 30 Prozent der Wasserzuläufe aus dem Berggebiet verzichten. Beanspruchte Syrien das Nordost-Ufer des Sees Genezareth für sich, wäre Israel nicht mehr existenzfähig.

In dieser Notlage entdeckt die israelische Politik die Türkei als ihren Partner zur Lösung des Problems.

Die Türkei staut im Rahmen des Südostanatolienprojektes die zwei zwei zentralen Wasseradern der Region, die Flüsse Euphrat und Tigris, durch 22 Staudämme im Rahmen eines internationalen Investitionsprojektes mit einem Volumen von 35 Mrd. Dollar. Aus diesen und anderen türkischen Reservoirs wird nun bald der größte Süßwassertransfer aller Zeiten eröffnet: 200.000 Millionen Kubikmeter Wasser sollen jährlich zu einem Preis von einem Dollar pro Kubikmeter vom türkischen Manavgat aus durch das Mittelmeer Richtung Israel transportiert werden. Der Beschluss ist das Ergebnis einer Krisensitzung vom Oktober 2000, an der der israelische Premierminister Ehud Barak und der militärische Nationale Sicherheitsrat beteiligt waren.

Wasser wurde dabei als "strategisches Gut" deklariert. Allerdings wird die Frage der Wasserlösung in Israel kontrovers diskutiert: Einige Experten fragen, wie abhängig sich ein Staat machen darf, wenn es ums Wasser geht. Zugleich wird auf die Paradoxie hingewiesen, daß Israel zwar Meerwasserentsalzungsanlagen exportiert, für sich selbst aber unter Hinweis auf die hohen Kosten nicht zum Einsatz bringt. Vorsichtig möchte Israel daher den Vertrag auf fünf Jahre begrenzen, während die Türkei eine Vertragsdauer von 15 Jahren anstrebt.

Das Hauptproblem besteht darin, daß gerade der strategische Wasserdeal den schon zwischen Palästinensern und Israelis kaum lösbaren Wasserstreit nur auf die Höhe der nächsten, weit größeren Konfliktdimension transportiert. Die Türkei, in deren Bergen das Wasser des Nahen Ostens entspringt, ist nicht bereit, mit den Anrainerstaaten über eine gerechte Wasserverteilung zu verhandeln und verweigert daher die Unterschrift unter das UN-Abkommen von 1997 zur Nutzung des Wassers in nicht schiffbaren Flüssen. Wer über alles Wasser verfügt und durch die Wasserkraftwerke auch über den Strom der Region, bestimmt damit nahezu jeden Entwicklungsfortschritt der regionalen Länder. Seit 1993 die letzte Einheit des-Atatürk-Staudammes in Betrieb genommen wurde, leidet Syrien an Ausfällen bei der Stromproduktion und klagen syrische Bauern über landwirtschaftliche Verluste. Katastrophaler noch ist die Wirkung im vom Tigris-Wasser abhängigen Irak, wo inzwischen für eine Gallone Wasser derselbe Preis wie für Benzin zu zahlen ist.

Ohne die rasche und demokratische Bewältigung der Wasserfrage ist nicht nur ein Andauern des heißen Konflikts zwischen Palästinensern und Israelis vorprogrammiert. Zudem stünden neue kriegerische Konflikte auf der Tagesordnung. Eine vollends destabilisierte Region aber könnte jeden Friedensplan im Nahen Osten verhindern.

 

Hans Branscheidt

Siehe auch: Artikel
Hasankeyf - Staudammprojekt des Wahnsinns
von Hans Branscheidt u. Martin Glasenapp (7.11.2000)

 

neuronales Netzwerk