Die fortschreitende Ausbreitung von BSE (Bovine Spongiforme Enzephalophatie) führt zu einem Handelskrieg zwischen den USA, Kanada, der EU und Japan
Die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) verurteilte die jüngsten internationalen Handels-Unterbrechungen, die angeblich auf Fehlinterpretationen oder auf fehlerhafter Anwendung von BSE-Klassifizierungen zurückzuführen seien. Die OIE hatte nach eigenen Angaben Klassifizierungen veröffentlicht, um die Ausbreitung von BSE über den Welthandel einzudämmen. Diese Klassifizierungen basierten auf einer Risiko-Abschätzung, die ihrerseits auf den Zahlen der im jeweiligen Land aufgetretenen BSE-Fälle und den Zahlen der Kontrollmechanismen beruht, mit denen die Ausbreitung von BSE verhindert werden soll.
Das Ranking umfaßt fünf Gefahrenklassen, die von "BSE-frei" bis "äußerst risikobehaftet" reichen. Regierungen hatten versucht, den Import von Rindern und Rindfleisch zu blockieren, indem sie die Export-Länder als "äußerst risikobehaftet" deklarierten. BSE bei Rind wurde in Verbindung gebracht mit der tödlichen Gehirnkrankheit vCJD, die beim Menschen auftritt. Mit vCJD hatten sich nach offiziellen Angaben mindestens 147 Menschen infiziert, wovon die große Mehrheit in Großbritannien lebte, wo BSE seinen Ursprung nahm. Jüngste Forschungen, bei denen operativ entfernte Mandeln und Blinddarmfortsätze untersucht worden waren, lassen darauf schließen, daß rund 3.800 Menschen in Großbritannien vCJD offen oder latent in sich tragen. Aber ebenso sind höhere und niederere Schätzungen in Umlauf.
Die Gesamtzahl der bestätigten BSE-Fälle (beim Rind) beträgt in Großbritannien seit der Entdeckung von BSE im Jahr 1986 rund 180.000. Gegenwärtig wird Großbritannien in der höchsten Gefahrenklasse eingestuft. Aber die britische Regierung forderte die EU-Kommission im Juni 2003 auf, den Status Großbritanniens auf "mittleres Risiko" herunterzustufen. Ben Bradshaw, Umwelt- und Ernährungs- und Landwirtschaftsminister, berief sich darauf, der herabgestufte Status sei gerechtfertigt, da es 2003 nur 374 BSE-Fälle gegeben habe und strenge Kontroll-Mechanismen in Kraft seien. Er sagte: "Wenn wir erfolgreich sind und den herabgestuften Status erhalten, wird dies ein großer Wendepunkt sein, indem uns dies in eine Reihe mit anderen Mitgliedsstaaten stellt und einen besseren Marktzugang verschafft." Und er ergänzte, daß "uns dies ermöglichen wird, mit einigen Ländern Europas zu konkurrieren, indem sich wichtige Exportmärkte für britisches Rindfleisch wieder öffnen."
Die britische Rindfleischindustrie könnte ein Exportvolumen von 11 Milliarden Pfund erbringen.
Im Mai 2004 stimmte die EU-Behörde für Nahrungssicherheit dem mittleren Risiko-Status für Großbritannien zu. Aber die Einführung wurde bisher durch Einrichtungen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge verzögert.
Die Restriktionen in Großbritannien zum Schutz gegen BSE umfassen ein Verbot der Verwendung von Tierfutter in der Landwirtschaft, das auf dem Recycling von Säugetieren basiert ("Tiermehl"). Weiter gehört hierzu ein Verbot, Rinder im Alter von über 30 Monaten und Hoch-Risiko-Bestandteilen wie Gehirn und Rückgrat in die menschliche Ernährungskette einzubringen. Und schließlich gehört die Einführung eines Kennzeichnungs- und Rückverfolgbarkeits-Systems dazu.
Neben dem Versuch, den Status als "mittel-riskant" von der EU zu erhalten, unternimmt die britische Regierung zugleich den Versuch, das Verbot aufzuweichen, das den Konsum von über 30-monate altem Rind betrifft. Robert Forster, Hauptgeschäftsführer der nationalen Rinderzüchtervereinigung Großbritanniens, hat sich darüber beschwert, daß die gegenwärtige Regelung Kosten von rund 360 Millionen Pfund pro Jahr verursacht, "um hervorragendes Rindfleisch zu vernichten". Die der Regierung unterstehende britische Agentur für Nahrungsmittelstandards befürwortete eine Aufhebung der Einschränkungen durch das Gesundheitsministerium und dessen Ersetzung durch BSE-Test an jedem einzelnen Rind. Gegen diese Maßnahme sprach sich allerdings die von der Regierung eingesetzte BSE-Sachverständigen-Kommission aus, die davor warnte, dies basiere "auf dem Rat von Experten statt auf einer vollständigen Information auf der Grundlage aller verfügbaren Daten."
Der Druck in Richtung auf eine Änderung erhöht sich trotz lascher Kontrollen und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Eigenschaften von BSE, die Anlaß zu Besorgnis geben.
Ein jüngst im Auftrag des britischen Parlaments vorgelegter Bericht gesagt, daß das Rückverfolgbarkeits-System "übereilt entwickelt wurde und mit schwerwiegenden technischen Problemen behaftet ist", was dazu führte, daß die EU-Kommission eine Geldstrafe von 14 Millionen Pfund verhängte und möglicherweise weitere 36 Millionen Pfund fällig werden. Zwei Drittel des 700 Mitarbeiter zählenden Stabes der CTS-Dienststelle sind gegenwärtig allein damit beschäftigt, 1,2 Millionen Fälle von "Abweichungen" zu korrigieren, bei denen 200.000 Transporte von Rindern und 2 Millionen Transporte von Schafen einbezogen sind. Der Vorsitzende des zuständigen Parlamentsausschusses und Abgeordnete des britischen Parlaments Edward Leigh, sagte, die CTS könne "die Anforderungen der staatlichen Veterinäre nicht vollständig erfüllen, um den Ausbruch infektiöser Seuchen unter Rindern kontrollieren zu können, und dies sei umso weniger zu akzeptieren als diese Anforderungen als Antwort auf die BSE-Krise der 90er Jahre eingeführt worden waren."
Aufsehenerregend sind Berichte von WissenschaftlerInnen, nach denen verschiedene Arten von BSE-ähnlichen Krankheiten beim Rind anzunehmen sind und diese weitere tödliche Gehirnkrankheiten verursachen können. Italienische ForscherInnen haben Muster in den Gehirnen zweier Rinder identifiziert, die sich von denen des herkömmlichen BSE-1 unterscheiden und französische und japanische WissenschaftlerInnen haben ebenfalls atypische Fälle entdeckt. In Großbritannien hat Professor John Collinge Mäusen BSE-infiziertes Material injiziert und während einige darunter mit der Herausbildung von vCJD reagierten, entwickelte sich bei anderen ein der sporadischen CJD ähnliches Krankheitsbild - einer verwandten Krankheit, von der in der Regel ältere Menschen betroffen sind. Auf die Frage, warum andere britische WissenschaftlerInnen nicht zuvor schon unterschiedliche Arten von BSE gefunden hätten, meinte Collinge, das läge daran, daß die Regierung die Forschung bezahle. "Es war immer auf der Speisekarte, aber es ist keine so schrecklich populäre Sache gewesen, es zu bestellen", ergänzte er.
Eine weitere mögliche Gefahr besteht darin, daß die tödliche Schafkrankheit Scrapie BSE überdecken könnte. Wenn sich dies bewahrheitet, müßte der Großteil der britischen Herden geschlachtet werden. Die britische Regierung führte im Juni 2004 obligatorische Untersuchungen ein, um Scrapie aus den angesteckten Herden zu eliminieren. Gegenwärtig werden tote Schafe auf Scrapie getestet und im Falle eines positiven Scrapie-Befundes werden sie zusätzlich auf BSE getestet. Jedenfalls gab es dabei 78 unbestätigte Testergebnisse, die sich weder Scrapie noch BSE zuordnen ließen.
Obwohl die BSE-Krise die britische Landwirtschaft am härtesten getroffen hat, war auch ein Einschnitt beim weltweiten Handel einschließlich dem Japans und Nordamerikas zu verzeichnen. In Japan hatte die Entdeckung von BSE im September 2001 dazu geführt, daß der zuständige Minister Chikara Sakaguchi BSE-Tests bei allen geschlachteten Tieren einführen ließ. Eine der Folgen war ein Einbruch beim Konsums von Rindfleich einschließlich des importierten Fleisches. Im Dezember 2003 erließ Japan ein Import-Verbot von US-amerikanischem Rindfleisch, nachdem der erste Fall von BSE in den USA bei einem Rind im Bundesstaat Washington bestätigt wurde. Dennoch war kein Rückgang auf dem US-Binnenmarkt für Rindfleisch zu verzeichnen, während zugleich die US-Exporte hart getroffen wurden. Der Handel mit Argentinien, Uruguay und Paraguay beispielsweise fiel von 7,5 auf 4,8 Milliarden US-Dollar.
Die japanische Regierung forderte von den US-Behörden Tests aller geschlachteten Rinder auf BSE oder vergleichbare Sicherheits-Garantien, bevor US-Rindfleisch-Importe wieder zugelassen werden könnten. Die US-Regierung wies dieses Ansinnen zurück und berief sich darauf, daß verdachtsunabhängige Tests unwissenschaftlich seien. Tests erfolgen in den USA nur dann, wenn ein Rind Anzeichen einer Störung des Zentralnervensystems aufweist. Dabei ist längst bekannt, daß Rinder über Jahre hin ohne äußere sichtbare Syptome mit BSE infiziert sein können. Im Jahr 2003 ließ die zuständige US-Behörde lediglich Tests an 20.000 Rindern durchführen, wobei die Gesamtzahl der geschlachteten Rinder nahezu 40 Millionen betrug.
Die Reaktion der US-Regierung auf die BSE-Krise hatte hauptsächlich darin bestanden, Hoch-Risiko-Bestandteile von der Verarbeitung zu Tierfutter auszuschließen und sie erfolgte 1997. Nach der Entdeckung von BSE im Bundesstaat Washington wurde im Januar 2004 ein Verbot von Hoch-Risiko-Bestandteilen beim Fleisch, das für den menschlichen Verzehr bestimmt ist, ausgesprochen. Weiter wurde ein entsprechendes Verbot bei Kosmetika und diätischen Nahrungsergänzungsmitteln und der Aufbau eines freiwilligen nationalen Kennzeichnungs-Systems für Tiere im Umfang von 19 Millionen US-Dollar ins Auge gefaßt.
Bislang hat sich die japanische Regierung der Forderung der US-Regierung nicht gebeugt, ihr Import-Verbot aufzuheben. Chikara Sakaguchi erklärte hierzu: "Wir müssen die Gefühle der Menschen ebenso berücksichtigen wie die wissenschaftlichen Ergebnisse. Wir untersuchen die Möglichkeit, das Vertrauen der Konsumenten mit einem Informationsangebot wiederherstellen zu können." Und er ergänzte: "Ich habe die verdachtsunabhängigen Tests eingeführt und sehe keinen Anlaß diese Entscheidung übereilt zurückzunehmen."
Während die US-Regierung einerseits die japanische Regierung wegen des Import-Verbots von US-Rindfleisch kritisiert, das auf einem einzigen BSE-Fall beruhe und zweifelsohne Druck auf die OIE ausübte, die oben zitierte Erklärung herauszugeben, schränkte sie andererseits Importe aus dem Nachbarland Kanada ein, nachdem dort BSE im Mai 2003 entdeckt worden war. Die Grenze zwischen den USA und Kanada wurde für lebendes Rind und Rinderteile, die von über 30 Monate alten Tieren stammen, geschlossen. Die Preise in Kanada fielen ins Uferlose und Tausende Beschäftigte verloren ihre Arbeit. Der Export schrumpfte von 4 auf 1,5 Milliarden US-Dollar.
In Alberta, der Heimat von einem Drittel des Kanadischen Rinderbestandes und wo zwei Drittel der Rindfleisches der Landes produziert werden, haben sich als eine Folge von BSE mehr als die Hälfte der städtischen Bezirke selbst zu "ökonomischen Katastrophengebieten" erklärt. Die Landwirtschaftsministerin von Alberta, Shirley McClellan, erklärte, sie wisse nicht, wann die Grenze wieder geöffnet werde und rief die US-Regierung dazu auf, die Grenzen nicht nochmals zu schließen, falls weitere BSE-Fälle gefunden würden. "Wir müssen sicher davor sein, daß manche Länder Vorfälle dieser Art dazu benutzen, Handelsbarrieren zu errichten, außer wenn die Entscheidung auf stichhaltigen wissenschaftlichen Kriterien basiert", sagte McClellan.
Kürzlich warf der kanadische Premierminister Paul Martin den USA "spezielle Interessen" als Grund für die Blockade des freien Handels zwischen den beiden Ländern vor. Er erklärte, daß Kanada der Bau großer Verarbeitungsanlagen plant, um das Überangebot an Rind zu bewältigen und nannte dabei ausdrücklich als Ziel große US-Absatzmärkte wie Südkorea. Schnell war die kanadische Regierung auch bei der Hand, Wissenschaftler zum Schweigen zu bringen, die ein "spezielles Interesse" in der Aufrechterhaltung des öffentlichen Gesundheitswesen haben. Drei ältere Wissenschaftler, die an den landwirtschaftlich-chemischen Untersuchungslabors der kanadischen Gesundheitsbehörde arbeiteten, Shiv Chopra, Margaret Haydon und Gerard Lambert, wurden am 14. Juli hinausgeworfen. Sie hatten wiederholt öffentlich die gesundheitspolitischen Richtlinien der kanadischen Gesundheitsbehörde kritisiert und behauptet, sie seien gezwungen worden, Arzneimittel zu genehmigen, obwohl diese für die menschliche Gesundheit eine Gefahr darstellen könnten. Lange bevor in Alberta BSE entdeckt wurde, hatten sie ihre Geschäftsführung davor gewarnt, daß die Richtlinien der Abteilung zur Bekämpfung von BSE unzulänglich gewesen seien.
Die BSE- und vCJD-Krankheiten sind zu einem internationalen Problem geworden. Zugleich hat die Aufteilung der Welt in konkurrierende Nationalstaaten und die Unterordnung sozialer Bedürfnisse unter die Profit-Ansprüche großer multinationaler Konzerne ein international koordiniertes Vorgehen zur Überwindung dieser Herausforderung verhindert. Stattdessen führt es zu einem Handelskrieg aller gegen alle. Solange die Produktion der menschlichen Nahrungsmittel von der Notwendigkeit einer Profitmaximierung regiert wird, können vermeidbare Krankheiten wie vCJD schnell zu einem Desaster des öffentlichen Gesundheitswesens eskalieren.
Paul Mitchell von der Web-Seite www.wsws.org
(Übersetzung: Christian Semmler)