24.02.2012

Gastbeitrag

Besuch bei Gauck

Martin Buchholz, Kabarettist Am 28. Juli 1988 hatte ein Rostocker Pfarrer hohen Besuch. Ein Generalhauptmann machte da seine Aufwartung beim Seelenhirten. Der Herr Generalhauptmann hieß Terpe und kam vom Ministerium für Staatssicherheit. Der Seelenhirte hieß Joachim Gauck. Es kam zu einem sehr freundlichen Gespräch, das der Stasi-Hauptmann hinterher protokollierte.

Über die "Problematik der Übersied- lungsersuchenden" wurde unter anderem geplaudert, und der Herr Pfarrer versprach, auf seine Schäfchen einzuwirken, auf daß sie im Lande blieben, wo sie sich rötlich nähren konnten. Laut Protokoll empfand Pfarrer Gauck diese Ausreisewilligkeit "als erschreckend und bedrohlich und bezeichnete das besonders tragisch, daß junge Angehörige der Intelligenz, besonders Ärzte wie auch Jugendliche, die doch in der DDR politisch und fachlich ausgebildet und erzogen worden sind, letzten Endes sich dafür entscheiden, ein Leben außerhalb der DDR zu führen und somit seiner Meinung nach nur eine Unterentwicklung im Punkt Heimatgefühl besitzen".

Weiter im Protokoll: "Durch Gauck wurde abschließend eingeschätzt, daß ihn der Besuch eines Mitarbeiters des MfS im Ergebnis dieses Gesprächs angenehm überrascht habe, daß der Inhalt dieses Gesprächs ihn dazu veranlassen wird, seine Haltung zum MfS zu überdenken..." Allerdings sei seine "Auffassung zum MfS" durch diesen Dialog noch nicht "endgültig überholt".

Der Herr Generalhauptmann notierte außerdem: "Er (Gauck) glaubt aber auch, daß das MfS einen echten positiven Beitrag zur Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft einbringen wird." Im Fazit des "Ausspracheberichts" empfiehlt der Besucher: "Es wird vorgeschlagen, den OV 'Larve' zu archivieren und einen IM-Vorlauf anzulegen."

Soweit der operative Vorgang "Larve". Die Gauck-Akte ist öffentlich nicht einzusehen, da er sich selbst als Opfer eingestuft hatte und Opfer-Akten ohne die Erlaubnis des Betroffenen für Dritte geschlossen bleiben. Immerhin hat die 'Welt' einmal im April 1991 aus dieser Akte zitiert. (Ich bin über die "Nachdenkseiten" im Internet darauf gestossen.) Gauck selbst, heute Präsident der Herzen, zumindest ein Präsident nach dem Herzen der Springer-Chefs, hat sich bislang zu diesem Vorgang nicht geäußert. Und eigentlich müßte er das auch nicht. Handelt es sich doch um einen von diesen abertausenden Stasi-Berichten, bei denen man nicht weiß, ob der Berichterstatter überhaupt richtig zitiert hat und ob er sein Protokoll nicht absichtlich mit einem für die Stasi positiven Fazit verfälscht hat, um seine betriebsinterne Erfolgsbilanz zu verschönern. Im Zweifel gilt nun mal die Unschuldsvermutung – so wie ich es in dieser Kolumne immer gehalten habe, auch im Fall Gregor Gysi. Nur, daß eben Gauck und seine Behörde in blinder Aktengläubigkeit sich nicht daran hielten. Da reichten irgendwelche dubiosen Andeutungen in den Stasi-Unterlagen für weitreichende Spekulationen Gaucks, die zwar vor keinem Gericht stand hielten, aber zu mediengerechten Vorverurteilungen führten. Apropos: Ähnliches passierte auch einmal vor einer Bundespräsidentenwahl im Jahre 1994. Damals kandidierte Johannes Rau gegen Roman Herzog. Und irgendwelche anonymen Akten-Fledderer aus der Gauck-Behörde versorgten ihre Springer-Spezis wochenlang mit Schmuddel-Material gegen Rau, dem unterstellt wurde, er habe als westlicher Kirchenmann direkt oder indirekt mit der Stasi kollaboriert. Joachim Gauck hielt sich dabei vornehm zurück und äußerte sich mit keinem einzigen Satz zu dieser Schmutzkampagne, die ganz offensichtlich aus seiner Behörde lanciert wurde.

Daß es Gauck mit der Wahrheit über seine DDR-Vergangenheit nicht so genau nimmt, ist allerdings offenkundig. Unwidersprochen läßt er sich in den Lobeshymnen, mit denen seine Vorstellungen eingeleitet werden, als unerschrockener DDR-Bürgerrechtskämpfer feiern. Dazu meldet sich im neuen 'Freitag' der evangelische Pfarrer Hans-Jochen Tschiche, einer der Mitbegründer des 'Neues Forum' zu Wort: "Ich habe mich bisher gescheut, Joachim Gauck zu widersprechen. Nun will ich aber nicht mehr schweigen." Und weiter: "Er ließ sich in München bei einer Preisverleihung mit den Geschwistern Scholl vergleichen und wurde noch nicht einmal schamrot. Er hat niemals zur DDR-Opposition gehört, deren Akteure man im heutigen Sprachgebrauch Bürgerrechtler nennt. Er verließ erst Ende 1989 die schützenden Mauern der Kirche und kam über das Neue Forum in die Volkskammer. Aus dem Blätterwald tönt es nun: Der Bürgerrechtler Gauck. Und er reist ohne Skrupel auf diesem Ticket durch die politische Landschaft."

Dazu würde man doch gern ein paar aufklärende Worte von unserem ansonsten keineswegs wortkargen Präsidenten in spe hören. Zur Auffrischung seines Gedächtnisses könnte er ja vorher mal in seiner Akte nachschauen.

 

Gastbeitrag von

Martin Buchholz

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