Der Widerstand gegen den Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke und die dafür erforderlichen CASTOR-Transporte
ist in diesem Jahr enorm gewachsen. Allein bei der Auftaktkundgebung auf einem Acker bei Splietau hatten mit 6.500
Menschen mehr als doppelt so viele beim letzten Mal demonstriert. An der Strecke blockierten eine Vielzahl von Gruppen
mit manchmal 500 Personen. Bereits in Frankreich war es diesmal zu einer "bilateralen" Ankett-Aktion gekommen und
nach und nach hatte sich die Verspätung des CASTOR-Zuges auf rund sechs Stunden summiert.
Atom-Minister Trittin hat mit seiner termingerecht verkündeten "Ausstiegs"-Party mit Sekt-Empfang bei der Abschaltung
des Schrottreaktors Stade genau das Gegenteil dessen erreicht, was er beabsichtigte: Statt den Widerstand zu schwächen,
sorgte er für Publizität für den CASTOR-Transport. Längst hatte sich herumgesprochen, daß die einzige Abschaltung eine
AKW seit dem "rot-grünen" Regierungsantritt 1998 den "Ausstieg" um keinen Tag näher bringt. Selbstverständlich sind die
Menschen in Stade zu beglückwünschen, daß die unmittelbare Bedrohung nun von ihnen genommen wird. Dafür müssen
jedoch die AnwohnerInnen anderer AKWs, auf die die sogenannten Restlaufzeiten übertragen werden, entsprechend länger
um ihr Leben und ihre Gesundheit fürchten. Ebenso war längst bekannt, daß Stade bereits seit Jahren von den Betreibern
selbst als unrentabel eingeschätzt worden war.
Auch Greenpeace und Robin Wood haben dadurch, daß sie sich in den letzten fünf Jahren nicht von der "rot-grünen"
Ausstiegs-Rhetorik einlullen
ließen und dem Anti-Atom-Widerstand treu blieben, viel zum Wiedererstarken der CASTOR-Blockaden beigetragen.
Unübersehbar war, daß gerade junge Menschen bei den letzten beiden Transporten ins Wendland sich in großer Zahl
dem Protest anschlossen. Es hat sich gezeigt, daß sich spektakuläre Aktionen wie die aktuelle Besetzung des
Förderturms auf dem "gut bewachten" Gelände des geplanten Endlagers, Ankett-Aktionen und Schienen- oder
Straßenblockaden sich ideal ergänzen.
In den Wochen vor dem CASTOR-Transport war noch behauptet worden, dieses mal würden nur 13.000 PolizistInnen im
Wendland eingesetzt. Damit wurde auch die offizielle Einschätzung, die Proteste würden abflauen, unterstrichen. Im letzten
Jahr waren 16.700 PolizistInnen im Einsatz und der finanzielle Aufwand betrug 12 Millionen Euro im Wendland und rund
30 Millionen bundesweit. Inzwischen mußte jedoch auch offiziell bestätigt werden, daß diesmal mindestens 18.000
PolizistInnen für die Entdemokratisierung des Wendlands benötigt wurden. Auch wenn das vielleicht nur eine Million
Euro mehr als im letzten Jahr gekostet hat - für alle, die sich beteiligten, war dies eine gute Investition in einen tatsächlichen
Atom-Ausstieg.
Während in den Massenmedien der friedliche Charakter der CASTOR-Auseinandersetzung betont wurde, konnten allenfalls
Bilder vom Einsatz der Hunde einen Eindruck von der teilweise brachialen Gewalt der Polizeieinsätze vermitteln. Bei einer
Versammlung von rund 500 Menschen an der Straßenstrecke bei Grippel wurden diese von der Polizei eingekesselt und
ohne Rechtsgrundlage oder Vorführung vor eineN HaftrichterIn für Stunden festgehalten. Völlig grundlos wurden Menschen
getreten und geschlagen. Der Einsatz war völlig unkoordiniert. In Langendorf wurde eine Kirche von der Polizei umstellt.
Trotz des Gesprächsversuchs des örtlichen Pastors wurde die "Belagerung" nicht abgebrochen.
Der Transport ging wie in den Vorjahren mit inakzeptablen Grundrechtseinschränkungen einher wie auch eine Vielzahl
der anwesenden unabhängigen JuristInnen erklärte. Weitläufige Demonstrationsverbote machten Teile des Wendlandes
zu demokratiefreien Zonen. Bei einer Sitzblockade in Rohstorf auf den Schienen beispielsweise ging die Polizei mit
ungeheurer Brutalität gegen friedliche DemonstrantInnen vor.
Die BI Lüchow-Dannenberg beklagt, daß die Polizei das öffentliche Leben in weiten Teilen des Landkreises immer wieder
lahm legte. Wie im vergangenen Jahr der Übergriff auf die Freie Schule, so empört in diesem Jahr die Belagerung des
Kirchengrundstücks in Langendorf. In ihrer Bilanz prangert die BI das ruppige und harte Abräumen von SitzblockiererInnen
wie auch die abenteuerliche
Gefahrenprognose der Bezirksregierung an. Knochenbrüche und andere Verletzungen sind nicht hinnehmbar. Skandalös
war wieder einmal die Behandlung der Gefangenen in der Sammelstelle Neu Tramm. Auch Robin Wood und Greenpeace
kritisierten den völlig überzogenen Polizei-Einsatz.
Harry Weber