Urteil gegen Polizei-Willkür
Wer zur Anti-Atom-Kundgebung will, darf im Zweifel kontrolliert werden, aber
Dauerkontrollen und Knast, bis die Kundgebung vorbei ist, sind rechtswidrig
und ein "unerhörter" Eingriff in Grundrechte.
Fahrzeug- und Personenkontrollen von DemonstrantInnen durch die Polizei sind üblich. Das
ist aus Sicht von CASTOR-GegnerInnen zwar ärgerlich und wird oft als
Schikane empfunden, aber das Polizeirecht legitimiert die Beamten zu derartigen
Maßnahmen. Wenn aber ein Bus gestoppt, die Identität der Reisenden zweifelsfrei festgestellt ist und das Gepäck durchsucht wurde, ohne daß etwas Auffälliges entdeckt wurde, müsste die
Reise nicht in die Gefangenensammelstelle (GeSa) nach Neu Tramm, sondern zum Ort der
Demonstration führen.
In einem solchen konkreten Fall, der jetzt vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg verhandelt
wurde, ging es um Festnahmen vor der Auftakt-Demonstration am 10. November in Lüneburg anlässlich des 5. CASTOR-Transports nach Gorleben. Der Kläger, ein Mann aus Berlin, sei an der Wahrnehmung seines Grundrechts auf Versammlungsfreiheit gehindert worden, urteilte
jetzt Verwaltungsrichter Malinowski (Aktenzeichen 3 A 116/02). Denn er kam am fraglichen
Tag nicht an seinem Reiseziel an. Der Zweck der Fahrt, nämlich die Teilnahme an der
Kundgebung, war gezielt verhindert worden.
Warum, das macht die detaillierte Schilderung der Ereignisse in der Darlegung des
Tatbestands deutlich: Der Bus, in dem der Berliner saß, wurde schon auf der A 24 von
Beamten der Autobahnpolizei Sachsen-Anhalt erstmals gestoppt und dann gegen 8.35 Uhr nach
der Überquerung der Elbe bei Lauenburg auf einen Parkplatz geleitet, wo Einsatzkräfte der
Polizei aus verschiedenen Bundesländern zwecks Durchsuchung bereit standen.
Diese ersten unfreiwilligen Stops seien durch die Vorfeldarbeit
des Verfassungsschutzes legitimiert gewesen, befand das VG Lüneburg: "Gewaltbereite Demonstranten" hatten die VerfassungsschützerInnen wie bei jedem CASTOR-Transport auf dem Weg ins Wendland in tendenziöser Vorberichterstattung vorhergesehen, derartige Kontrollen
müssten folglich akzeptiert werden.
Die Verwaltungsrichter hielten - im Gegensatz zum Kläger - das polizeiliche Vorgehen in
beschränktem Umfang für rechtskonform. Auch wenn bei der Durchsuchung des Gepäcks
am Ende nichts herauskam und der Verdacht sich nicht erhärten ließ, denn die
Businsassen waren - wie zu erwarten war - einfach nur DemonstrantInnen, müssten sie
hinnehmen, einzeln gefilmt zu werden. Außerhalb des Busses wurden sie dann - gleich
zweimal - von Polizisten aus verschiedenen Bundesländern durchsucht. Ferner wurden die
Personalien der BusinsassInnen aufgenommen und Kurzberichte gefertigt.
Statt nun zur Kundgebung weiter fahren zu können, wurden jedoch alle BerlinerInnen mit
Polizeibussen zur GeSa Neu Tramm verbracht, die Durchsuchungen setzten sich fort,
weitere Lichtbilder wurden gefertigt und gegen 16.00 Uhr wurde der Kläger wie auch die
Mitreisenden aus dem Gewahrsam entlassen - da war die Kundgebung in Lüneburg
bereits beendet.
Damit war das Maß für die Verwaltungsrichter dann allerdings voll: Der Zugang zu einer Demonstration dürfe nicht unzumutbar erschwert oder gar verhindert werden. Das Urteil unterstreicht den hohen Stellenwert von Grundrechten, zum Beispiel durch die aktive Teilnahme an der Meinungs- und Willensbildung in einem demokratischen Gemeinwesen.
Die Polizei hätte durch organisatorische Vorkehrungen bei der Parkplatzkontrolle dafür
sorgen müssen, daß einer der Weiterfahrt nach Lüneburg nichts entgegen steht. Vor
allem der mehrstündige polizeiliche Gewahrsam in der Gefangenensammelstelle sei nicht zu
rechtfertigen und unverhältnismäßig. So heißt es im Urteilstext wörtlich: "Es wird
festgestellt, dass die zweite Identitätsfeststellung, die zweite und dritte Durchsuchung, die Anfertigung eines Lichtbildes vom dem Kläger und die Speicherung der Daten der im Bus
gefertigten Filmaufnahmen, der Identitätsfeststellungen und des Lichtbildes rechtswidrig
gewesen sind."
Flankiert wird dieses Urteil der Verwaltungsrichter noch durch Beschlüsse des
Amtsgerichts Lüneburg vom 11.2.2003 (21 A XIV 7/02) und des Landgerichts Lüneburg
vom 31.10.2003 (10 T 26/03), die die Ingewahrsamnahme in der Gefangenensammelstelle
Neu Tramm als rechtswidrig eingestuft haben, allerdings ist eine Beschwerde der
Bezirksregierung Lüneburg zur Zeit beim Oberlandesgericht Celle anhängig.
"Es kristallisiert sich immer deutlicher heraus, daß die Polizei im Gegensatz zum Image, für
Recht und Gesetz zu sorgen, bei der Durchsetzung von CASTOR-Transporten, rechtswidrig
handelt und Grundrechte aushebelt", resümiert Wolfgang Ehmke, einer der Sprecher BI Umweltschutz Lüchow Dannenberg. "Ein politische Kontrolle
des Polizeiverhaltens samt der skandalösen Demo-Verbote findet nicht mehr statt."
Ute Daniels