Der CASTOR kam - wie erwartet - am Montag, 26.03., mit leichter Verspätung kurz nach 23 Uhr über die Grenze bei Lauterbourg / Wörth. Nachdem die Polizei versucht hatte,
rund 300 - 400 DemonstrantInnen von den Schienen fernzuhalten, verlor sie den Überblick und etlichen Leuten gelang es mehrfach, sich auf die Schienen zu
setzen und den CASTOR aufzuhalten. Rund 2.000 Polizisten und Beamte des Bundesgrenzschutzes waren offensichtlich völlig überfordert und es zeigte sich, daß
dezentraler Widerstand selbst durch matialisch und mit Maschinengewehren auftretende Polizei nicht in Schach zu halten ist.
53 Blockierer waren eingekesselt und eine
Stunde in der Kälte festgehalten worden. Auch der Abtransport und die Aufnahme der Personalien gestaltete sich sehr zäh. Dennoch kamen sie bereits am Dienstag morgen
gegen 6 Uhr wieder frei, so daß es vielen gelang, per Bus noch rechtzweitig vor dem CASTOR ins Wendland zu kommen.
Auch auf der Strecke zwischen Lüneburg und Dannenberg gelang es vielfach selbst kleinen Gruppen von manchmal nur vier Menschen Lücken in den
Polizeiketten zu nutzen, um auf die Schienen zu gelangen und den CASTOR aufzuhalten. Der größte Erfolg besteht nicht in der Zeit, die der CASTOR
aufgehalten wurde, sondern darin, daß rund 12.000 Menschen sich diesmal an den CASTOR-Blockaden beteiligten - mehr als selbst bei der letzten und größten
Blockade-Aktion 1997. Obwohl die "rot-grüne" Bundesregierung versucht hatte, mit einem nur vorgetäuschten Atom-Ausstieg die Anti-AKW- Bewegung zu spalten
und die CASTOR-Proteste als überholt hinzustellen, ist der Widerstand gewachsen. Gerade die Wut über die Ausstiegs-Lüge hat viele Menschen
mobilisiert. 18.200 Beamte sind allein im Wendland eingesetzt worden. Der Einsatz wird Niedersachsen anteilig 22 - 23 Millionen Mark kosten. Niedersachsens
Innenminister Bartling erklärte bereits, daß hier kein zweiter Transport in diesem Jahr zu verkraften sei.
Bundesweit sind 29.000 Polizisten und Beamte des Bundesgrenzschutzes aufgeboten worden. Dies wird schätzungsweise 120 Millionen Mark an Kosten
verursachen - ebenfalls weit mehr als 1997 und je zuvor. Solch gewaltigen Kosten sind auch für eine Regierung nur wenige Male im Jahr zu verkraften. Es werden nicht mehr
alle Transporte
möglich sein, die nötig sind um den Weiterbetrieb der 19 deutschen AKWs aufrecht erhalten zu können. Wenn die Anti-AKW- Bewegung nicht nachläßt und stattdessen
weiteren Zulauf erhält - gerade der hohe Anteil junger Menschen im Wendland war frappierend - ist das erste AKW, das wegen "Verstopfung" abgeschaltet
werden muß in greifbare Nähe gerückt.
Anscheinend geriet die Regierung bereits jetzt in Panik und griff gleich in mehrfacher Hinsicht zu illegalen Methoden. Schon im Vorfeld wurde der bereits bekannte
Belagerungs- zustand gegenüber den letzten CASTOR-Transporten verschärft: Jede wendländische Familie durfte nur zwei Personen beherrbergen und mußte der
Polizei - ohne begründeten Verdacht - das Haus öffnen. Jeder Wendländer war also als kriminell verdächtig. Schultaschen von Kindern wurden
ohne konkreten Verdacht kontrolliert. Mit Hubschrauber-Tiefflügen wurde versucht, die Bevölkerung einzuschüchten.
Augenzeugen berichteten übereinstimmend von Merkwürdigkeiten
bei den ersten Steinwürfen und Prügeleinsätzen der Polizei. Die Steine seien,
von hinten über ihre Köpfe hinweg auf die Polizeireihen
geworfen worden. "Selbst die Autonomen" hätten sich umgedreht und
gerufen: "Wer seid ihr eigentlich ?" und "Was soll der Quatsch, hier
Steine zu werfen ?" Ohne zu antworten seien die Steinewerfer davongerannt. Und ohne
Vorwarnung seien die Polizisten mit Gummiknüppeln prügelnd auf
die vorderen Reihen der Demonstranten losgegangen.
Viele waren der Ansicht, daß es sich nur um Provokateure gehandelt haben
kann.
Am Dienstag, 27.03., gegen 20:30 Uhr nahmen Anwälte der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg
die Aussage einer Pastorin entgegen.
Diese hatte
zwischen 18.00 und 19.00 Uhr neben einer Gruppe (10 bis 15 Personen) von
"autonom" gekleideten Personen gestanden. Dabei hatte sie beobachtet, daß
mehrere Personen leere Flaschen aufhoben und Dachlatten zur Hand
nahmen. Sie stellte die Personen zur Rede, die ihr daraufhin Schläge
androhten. Sie beobachtete die Gruppe weiter. Dabei stellte sie fest, dass
sich ein bürgerlich gekleidetes Paar mittleren Alters mit mehreren aus der
Gruppe flüsternd unterhielt. Die Gruppe stand um dieses Paar herum. Sie
konnte hören, wie der bürgerlich gekleidete Mann sagte: "Ihr geht jetzt
los! Hals- und Beinbruch". Die Gruppe entfernte sich und der Mann griff zu einem
Handy. Als er jedoch merkte, dass er von der Pastorin beobachtet wurde,
verschwand er mit seiner Begleiterin sehr schnell. Ein begleitender
Journalist machte die Pastorin darauf aufmerksam, dass das Paar am
Revers Polizeiabzeichen trug.
Eine NDR-Journalistin erfuhr bei einem Gespräch mit der Polizei, daß es sich bei angeblichen
"Säure-Attentaten" lediglich um Buttersäure (also eine lediglich im Geruch unangenehme
Substanz) gehandelt habe. Anti-Atom- Aktivisten erinnern sich noch gut, daß das Gerücht
um angebliche Säure-Attentate schon in Brokdorf benutzt worden war, um gezielt
Stimmung zu machen.
Eine kleine extremistische Minderheit gefährdet den Rechtsstaat - nicht die aktiven AKW-Gegner,
die bewiesen haben, daß sie immer noch x-tausende sind, auch nicht die Mehrheit der Bevölkerung,
die seit mehr als 15 Jahren mehrheitlich für einen Atomausstieg ist, die extremistische Minderheit,
sind unsere Politiker und die Manager der Energiekonzerne, die zum Schutz der Profite Gesetze
brechen und unser aller Leben und das zukünftiger Generationen aufs Spiel setzen.
Harry Weber