5.01.2005

Wird Pinochet nun doch
der Prozeß gemacht?

Für Chiles Ex-Diktator wird es eng

Pinochet in Prachtuniform Augusto Pinochet, der 1973 gegen den demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende1 putschte und danach Tausende von ChilenInnen ermorden und Zehntausende foltern ließ, muß nun offenbar damit rechnen, daß zumindest ein Teil seiner Untaten vor Gericht zur Sprache kommen wird. Die Scheckensherrschaft Pinochets hatte von 1973 bis 1990 gedauert. Auf dem Weg in eine Semi-Demokratie wurden Pinochet 1990 enorme Sonderrechte eingeräumt.

Bereits vor einigen Jahren hatte Pinochet Glück und entging dem Auslieferungs-Gesuch eines couragierten spanischen Richters. Pinochet mußte ab 16. Oktober 1998 zwar auf Antrag Spaniens einige Zeit in Auslieferungshaft in Großbritannien2 zubringen, was der Regierung Blair heftige Unannehmlichkeiten verursachte. Allerdings konnte er dann nach Intervention des damaligen Innenministers Jack Straw als freier Mann nach Chile zurückkehren.

Nochmals stand Pinochet vom 31. Januar bis zum 12. März 2001 in Chile unter Hausarrest als ihn der chilenische Richter Juan Guzmán wegen der Ermordung inhaftierter RegimegegnerInnen durch die so genannte Todeskarawane unter Anklage gestellt hatte. Damals wurde das Verfahren erneut wegen "Verhandlungsunfähigkeit" Pinochets eingestellt.

Nun hat Richter Guzmán Ex-Diktator Pinochet ein weiteres Mal unter Hausarrest gestellt und Anklage erhoben. Er muß bis zum Prozeßbeginn auf seinem Besitz in Los Boldos, 130 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Santiago de Chile, bleiben. Nachdem eine Lücke in der vom einstigen Diktator selbst gezimmerten juristischen Immunität gefunden wurde, muß sich Pinochet nun wegen Mord und Entführung im Zusammenhang mit der "Aktion Condor" vor Gericht verantworten. Pinochets Einspruch gegen die Anklage ist gestern vom Obersten Gericht zurückgewiesen worden.

Bei der "Aktion Condor" waren auch außerhalb der Grenzen Chiles Oppositionelle im Auftrag Pinochets ermordet worden. So erschoß ein Geheim-Kommando Allendes ehemaligem Außenminister Orlando Letelier in Washington. Und in Buenos Aires, Argentinien, wurde General Prats und seine Ehefrau auf Anordnung der chilenischen Geheimpolizei DINA unter dem Kommando von Oberst Contreras ermordet. General Prats war als regierungsloyaler Militär im Monat vor dem Putsch als Oberbefehlshaber der chilenischen Streitkräfte zurückgetreten und hatte Pinochet dieses Amt überlassen.

Daß all dies und auch der Terror der Pinochet-Diktatur in Chile inzwischen zur Sprache kommt, ist der unermüdlichen jahrelangen Arbeit von Menschenrechtsorganisationen, Opferverbänden und JuristInnen zu verdanken. Aber auch dem Filmregisseur Constantin Costa-Gavras: In seinem Film 'Missing' (Vermisst, 1982) mit dem Hollywood-Star Jack Lemmon in der Hauptrolle, erzählt er die wahre Geschichte des US-amerikanischen Geschäftsmannes Ed Horman, der nach Pinochets Putsch nach Chile reiste, um seinen verschwundenen Sohn, einen Linken, zu suchen. Lemmon stellt den Geschäftsmann Horman dar, dessen Vertrauen in die US-Regierung zunächst erschütterlich zu sein scheint, dann aber mit den Lügen ihrer Vertreter in Chile konfrontiert wird und die Wahrheit über ihre Verstrickung in die Taten der blutigen Pinochet-Junta erfährt.

Aber auch ein großer Teil der AnhängerInnen des Augusto Pinochet ist inzwischen auf Distanz zu ihrem einstigen Idol gegangen. Maßgeblich dazu beigetragen hat der Zusammenbruch der Fassade Pinochets als unbestechlicher Saubermann: Erst im letzten Jahr wurde bekannt, daß sich der Diktator schamlos bereichert und 16 Millionen Dollar auf Konten in den USA gehortet hat.

Im Herbst 2004 wurde ein Bericht der chilenischen Folterkommission über die Verbrechen während der Herrschaft Pinochets veröffentlicht. Unzweifelhaft wurde darin aufgezeigt, daß Pinochet und der engste Kreis seiner Junta bis ins Kleinste in die Pläne zur Vernichtung von Linken und anderen RegimekritikerInnen eingeweiht waren. Über die Grausamkeiten wurden Details bekannt, die auch Konservative, die bislang die Diktatur mit dem Kampf gegen "den Kommunismus" zu rechtfertigen suchten, schockierte: Die Peiniger quälten Babys vor den Augen ihrer Eltern, sie ließen Frauen von Schäferhunden vergewaltigen. Viele der Opfer wurden anschließend vom Flugzeug aus ins Meer geworfen.

Seitdem sind in Chile Dämme gebrochen und es gab eine Flut von Strafanzeigen gegen die Täter. Aufsehenerregend war im vergangenen Oktober der Fall des Regimegegners Miguel Angel Sandoval Rodríguez. Der Oberste Gerichtshof Chiles verurteilte den damaligen Chef der Geheimpolizei DINA und vier Folterer zu Haftstrafen.

Das Amnestiegesetz, das die Pinochet-Junta zu ihrem eigenen Schutz eingeführt hatte, erklärten die Richter für rechtswidrig. Daß dieses Gesetz zur eigenen Immunität nicht rechtswirksam sei, wurde zwar schon seit längerem in internationalen juristischen Fachkreisen festgestellt. Bemerkenswert an dem Urteil vom letzten Oktober aber ist, daß diese Straffreiheit nun durch chilenische RichterInnen aufgehoben wird. In der Vergangenheit hatte es in Staat und Justiz große Widerstände gegen die Aufarbeitung der Verbrechen der Pinochet-Junta gegeben.

Das Oberste Gericht beruft sich in seiner Urteils-Begründung ausdrücklich auf völkerrechtliche Vereinbarungen wie die Genfer Konvention. Interessanter Weise wendet sich damit gerade die von den Militärs immer wieder vorgebrachte Rechtfertigung, sie hätten sich ab 1973 in einem "inneren Krieg gegen den Kommunismus" befunden, gegen sie selbst. Dieses Rechtfertigung wurde von dem Obersten Gerichtshof aufgegriffen, um so die Täter auf der Basis völkerrechtlicher Bestimmungen zu verurteilen. Denn die Verfolgung und der Mord an ZivilistInnen ist auch nach Kriegsrecht zu ahnden. Im bevorstehenden Verfahren gegen Pinochet könnte das Urteil im Fall Miguel Angel Sandoval Rodríguez als Präzedenzfall angesehen werden. Und mit Nicht-Wissen kann sich Pinochet kaum herausreden, denn noch 1981 hatte er sich gerühmt: "In Chile bewegt sich kein Blatt, ohne daß ich es weiß".

Auch wenn der Prozeß gegen Pinochet kein Grund zur Freude oder Anlaß zur Befriedigung von Rachegelüsten ist, auch wenn er vielleicht durch den Tod des inzwischen 89-Jährigen vorzeitig zu Ende gehen könnte, er bietet den ChilenInnen Gelegenheit, den Boden zu bereiten, auf dem Demokratie erst gedeihen kann.

 

Ute Daniels

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unseren Artikel

      'Der 11. September vor 30 Jahren' (11.09.03)

2
Ende September 1998 reiste Pinochet nach Großbritannien als Senator und Mitglied des Verteidigungsausschusses. Eine Woche zuvor war das britische Außenministerium wie immer davon informiert worden. Pinochet ließ sich in Großbritannien seinen kranken Rücken behandeln und traf sich mit der britischen Ex-Premierministerin Margaret Thatcher, die ihm freundschaftlich verbunden war.

Der spanische Untersuchungsrichter Báltasar Garzón hatte schon seit längerem gegen Pinochet wegen Völkermord, Staatsterrorismus und Folter ermittelt, da auch spanische Staatsbürger unter den Opfern der Militärdiktatur waren. Während Pinochets Aufenthalt in London stellte Spanien daher ein Auslieferungsbegehren, aufgrund dessen Pinochet am 16. Oktober von der britischen Polizei in London verhaftet wurde.

Die Verhaftung löste in Chile Unruhen aus. Das Land war tief gespalten in Pinochet-Gegner und -Anhänger. Präsident Eduardo Frei Ruiz-Tagle forderte die Freilassung Pinochets, angeblich um ihn vor ein chilenisches Gericht zu bringen.

Auch die Schweiz hatte ein Auslieferungsgesuch gestellt. Das spanische Gesuch hatte Priorität, doch wenn Spanien es zurückgezogen hätte, wäre Pinochet für das Verschwinden des Schweizers Alexi Jaccard eventuell an die Schweiz ausgeliefert worden. Alexi Jaccard wurde - mutmaßlich im Auftrag Pinochets - in Argentinien verhaftet und ist dort "verschwunden".

Seine Haft in England verbrachte Pinochet unter sehr komfortablen Bedingungen unter Hausarrest. Er durfte unbegrenzt Besuch empfangen; unter anderem ließ er zu Weihnachten extra einen Priester aus Chile einfliegen.

Das britische Urteil, ob Pinochet nach Spanien ausgeliefert werden sollte oder nicht, folgte nicht sofort. Es gab ein langes Tauziehen zwischen England, Spanien, Chile und weiteren Ländern, die ein Auslieferungsgesuch gestellt hatten. Das waren neben der Schweiz auch Frankreich und Belgien.

Im November 1998 kam es zu einem ersten Urteil, wonach Pinochet die Immunität verloren hätte. Dieses Urteil wurde wegen möglicher Befangenheit eines der Richter aufgehoben, der Mitglied der Menschenrechtsorganisation Amnesty International war, die als Nebenklägerin gegen Pinochet auftrat. In einer zweiten Verhandlung im März 1999 entschied das Gericht, daß Pinochet keine diplomatische Immunität besitze. Jedoch dürfte er nicht für Taten vor 1988 belangt werden, da Großbritannien erst 1988 einer Anti-Folterkonvention beigetreten ist. Außerdem wurden viele Anklagepunkte der spanischen Justiz verworfen.

Im April 1999 entschied der britische Innenminister Jack Straw, daß Pinochet an Spanien ausgeliefert werden dürfe. Die chilenische Regierung bat London daraufhin, Pinochet aus humanitären Gründen freizulassen. Die Regierung in Santiago führte das hohe Alter und den schlechten Gesundheitszustand Pinochets als Argumente an. Auch die USA forderte die Freilassung Pinochets, angeblich aus Angst vor weiteren Enthüllungen über die Verwicklung Amerikas in die Menschenrechtsverletzungen unter Pinochets Herrschaft. Ebenso machte sich der Vatikan für eine Freilassung des Katholiken Pinochet stark.

Nach Prüfung der Gesundheit Pinochets wurde ihm eine schwere Erkrankung attestiert. Er wurde auf Entscheidung von Jack Straw am 2. März 2000 freigelassen und kehrte sofort nach Chile zurück.

Der Versuch, Pinochet vor ein chilenisches Gericht zu bringen scheiterte. Pinochets Anwälte konnten erreichen, daß er für dement erklärt wurde.

 

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