Über die Durchdringung der ehemaligen D"D"R durch die Stasi wurde inzwischen viel bekannt. Allerdings wird bisher weithin angenommen, dies sei selbst für
eine Diktatur eine extreme Form der Überwachung gewesen. In den "westlichen Demokratien" sei solches undenkbar...
Wissenschaft und Spionage: Das beredte Schweigen
Tucson. Eine Kontroverse akademischer Kreise förderte eine höchst interessante Tatsache zu
Tage: Sozialwissenschaftler, insbesondere Politikwissenschaftler arbeiten in bedeutender Zahl regelmäßig mit dem Geheimdienst der USA, dem CIA, zusammen.
Es ist schon lange bekannt, dass die Verbindungen zwischen den Universitäten und dem CIA ein
wesentlicher Bestandteil der frühen Phase des Kalten Krieges war. Während der
40er und 50er Jahre gehörten CIA und militärischer Geheimdienst zu den
wichtigsten finanziellen Förderern amerikanischer Sozialwissenschaftler. In
Europa, unterstützte der CIA durch den "Congress for Cultural Freedom"
heimlich einige der führenden Autoren und Wissenschaftler wie Frances Stonor Saunders vor kurzem in ihrem Buch "The Cultural Cold
War" nachwies.
Solche Verbindungen lösten sich angeblich während der 70er-Jahre, nach Vietnam
und den Anhörungen durch den Sonderausschuss über Geheimdienste des US-Senats, auf. Diese hatten
umfangreiche Untaten des CIA ans Licht gebracht, darunter das Schüren von
Staatsstreichen gegen demokratisch gewählte Regierungen, die Planung von
Attentaten auf ausländische Staatsführer und das Verbreiten von Propaganda. Nach
diesen Enthüllungen, so schien es, könne kein Wissenschaftler, der etwas auf
sich hielt, irgend etwas mit dem CIA zu tun haben wollen.
Ein neulich in der Zeitschrift "Lingua Franca" erschienener Artikel jedoch
zeigt, dass diese Ansicht falsch ist. Die Verbindung zwischen Universität und
Geheimdienst florierte auch nach dem Kalten Krieg. Der Artikel stellt fest, dass
es sich der CIA seit 1996 zur "höchsten Priorität" gesetzt habe, die Öffentlichkeit
mit Public Relations für sich positiv zu stimmen und hierbei "besonders auf die wissenschaftlich Tätigen" abzielt.
"Experten auf dem Gebiet amerikanische Nachrichtendienste zufolge war diese
Strategie erfolgreich," so der Bericht. Es werden anerkannte Akademiker zitiert,
einschließlich Robert Jervis von der Columbia University, des früheren
designierten Präsidenten der American Political Science Association, und Joseph
S. Nye von der Harvard University. Beide geben zu, für den CIA gearbeitet zu
haben. Bradford Westerfield (Yale) wird wie folgt zitiert: "Es gibt viele offene
Konsultationen und noch mehr halb-offene, allgemein anerkannte Konsultationen."
Das Interessante an diesem Zitat ist seine Beiläufigkeit -- es klingt so, als
könne kein vernünftiger Mensch an diesen Aktivitäten etwas auszusetzen haben.
Wir haben hier offensichtlich ein großes Problem.
Der CIA ist keine gewöhnliche Regierungsbehörde, sondern ein Spionagedienst.
Die Praktiken, deren sich die Spionage bedient - darunter Geheimhaltung,
Propaganda und Täuschung - stehen denen der akademischen Forschung diametral
entgegen. Die Wissenschaft soll sich der objektiven Analyse und der offenen
Diskussion bedienen. Das enge Verhältnis zwischen Nachrichtendiensten und
Wissen- schaftlern stellt damit einen Interessenkonflikt dar. Schließlich spielte
der CIA eine Schlüsselrolle in vielen der internationalen Konflikte, die
Wissenschaftler untersuchen müssen. Wenn Politikwissenschaftler für den CIA
arbeiten, wie können sie als objektive und neutrale Gelehrte fungieren?
Im Grunde genommen ist dieses Problem der Objektivität dasselbe, dem sich
Wissenschaftler bezüglich der von der Pharmaindustrie finanzierten Forschung auf
dem Gebiet der Biomedizin gegenübersehen. Zunehmend wird von Biomedizinern
erwartet, die Quellen finanzieller Förderung offenzulegen, die ihre Ergebnisse
einseitig beeinflussen könnten. Es ist bedauerlich, dass die
Politikwissenschaft, von der keine vollständige Offenlegung ihrer Arbeit für den
CIA zu erwarten ist, für sich einen niedrigeren Standard ansetzt.
Der CIA wirbt gerne damit, daß er sich seit dem Ende des Kalten Krieges
"reformiert" habe und viele der geheimen Aktivitäten nicht länger praktiziere,
die zu solch klarer Ablehnung im Kongress und in der Bevölkerung geführt hatten.
In der Tat verweisen mehrere akademische Verteidiger des CIA, unter ihnen
Westerfield, auf die "Reform" des CIA. Hierbei handelt es sich in der Hauptsache
um einen Public-Relations-Schachzug. Wer glaubt, der CIA habe sich reformiert,
sollte einmal versuchen, unter Berufung auf das Gesetz der Informationsfreiheit
um die Überlassung von Dokumenten zu ersuchen. Aller Wahrscheinlichkeit nach
wird die Erfahrung sein, dass dies unmöglich ist.
Geheimhaltung stellt für Wissenschaftler ein besonderes Problem dar. Für den CIA
geleistete Forschungsarbeit bleibt oft unter Verschluss, so dass es den
Wissenschaftlern, die die Forschungen durchgeführt haben, gesetzlich untersagt
ist, viel von ihren Ergebnissen offenzulegen. Wissenschaftler werden so davon
abgehalten, ihre Aufgabe zu erfüllen, die notwendigerweise auch darin besteht,
die Ergebnisse ihrer Forschung durch Veröffentlichung zu verbreiten. Indem ihre
Arbeit unter Verschluss bleibt, werden diese Forscher zu Komplizen in der Praxis
der Geheimhaltung, eines der undemokratischsten Charakteristika der
Geheimdienste.
Jervis, Nye und Westerfield scheinen jede Vermutung zurückzuweisen, Beziehungen
zwischen Universität und Geheimdienst könnten die Forschung beeinflussen. Aber
betrachten wir einmal die verdeckten Operationen des CIA. Diese Operationen führten
zu einigen der umstrittensten Aktionen während des Kalten Krieges, darunter die
amerikanische Unterstützung von Staatsstreichen im Iran (1953), in Guatemala
(1954), Zaire (1961), Indonesien (1965) und Chile (1973). Diese Operationen
wurden in Anhörungen im Senat und durch andere verlässliche Quellen ausführlich
dokumentiert. Wie geht die Politikwissenschaft mit diesen Themen um? Ich habe
alle Artikel durchgesehen, die in den letzten zehn Jahren in fünf der
prestigeträchtigsten Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Abgesehen von ein
paar wenigen Abschnitten oder Sätzen finden die verdeckten Operationen des CIA
keine Erwähnung. Verdeckte Operationen wurden aus der Dokumentation gelöscht.
Dieses Versagen der Politikwissenschaft, verdeckte Operationen zu diskutieren,
ist beunruhigend. Die Los Angeles Times und andere Nachrichtenmedien
veröffentlichen Artikel über verdeckte Operationen, wie z.B. kürzlich die
Enthüllung, daß der CIA enge Verbindungen zu General Manuel Contreras hatte,
Chiles gefürchtetem Chef der Geheimpolizei während der Pinochet-Diktatur. Die
US-Regierung hat einige dieser Operationen zugegeben. Im vergangenen März gab
(die frühere) Außenministerin Madeleine K. Albright angesichts der Beweislage
gegenüber der iranischen Regierung öffentlich zu, dass der CIA den Staatsstreich
von 1953 im Iran unterstützt hatte. Nichtsdestotrotz schweigen die politischen
Fachzeitschriften praktisch weiter zu diesen Themen. Kann jemand dies erklären?
David N. Gibbs
David N. Gibbs, Professor für Politikwissenschaft an der University of Arizona,
ist Autor des Buches "The Political Economy of Third World Intervention".