"Ideen nach vorn"
Die Commerzbank kündigt Betriebsrenten für Zehntausende und sichert Bezüge für Spitzenmanager
Die Commerzbank will die Betriebsrenten für mindestens 22.000 Mitarbeiter spätestens zum Ende
dieses Jahres kündigen. Das berichtet 'spiegel online' unter Berufung auf Sprecher der Bank. Nach
Angaben der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sind von den Einschnitten sogar 27.000 Mitarbeiter
betroffen. Die Kündigung werde aufgrund der langen Fristen zum 31. Dezember wirksam. Bereits
eingezahlte Leistungen will das Kreditinstitut dem Bericht zu Folge einbehalten und erst bei
Erreichen des Renteneintritts auszahlen.
Nach Auffassung des Betriebsrates sei es unklar, ob die Bank zu diesem Schritt befugt ist. Den
entsprechenden Verträgen zu Folge könnten die Vereinbarungen über die Betriebsrente nur
gekündigt werden, wenn sich die Bank in einer extremen wirtschaftlichen Notlage befindet, so der
Betriebsrats-Vorsitzende Uwe Tschäge gegenüber der 'Welt'. Der Konzervorstand sieht diese
Notlage aufgrund von Wertberichtigungen in Milliardenhöhe und eines Verlustes im letzten Jahre
gegeben.
Den Angaben des Betriebsrates zu Folge wird sich die Höhe des Rentenzuschusses für Mitarbeiter,
die sich bereits 20 Jahre in der Bank befinden, von 400 Euro auf 200 halbiert. Neue Angestellte
kommen überhaupt nicht mehr in den Genuß der Betriebsrenten. Wie der 'spiegel' weiter berichtet,
hatte die Bank erst im vergangenen Jahr die Pensionsansprüche ihrer rund 160 Spitzenmanager
durch die Gründung eines Pensions-Trusts gesichert, der den Begünstigten über 7.000 Euro im Monat
garantiert und diese selbst im Falle einer Insolvenz der Bank abgesichert.
Die Gewerkschaft ver.di kündigte unterdessen juristische Schritte gegen die Kündigung an. Ihr
Bank-Experte und Commerzbank-Aufsichtsratsmitglied Foullong sprach von einem "Kulturbruch".
Ob es sich tatsächlich um den Ausdruck höchster wirtschaftlicher Not handelt, ist im Falle der
gekündigten Betriebsrenten unklar. Die Commerzbank - Werbespruch: "Ideen nach vorn" - hatte ihr
Ergebnis den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres im Vergleich zum Zeitraum 2002
verdreifachen können. Tatsächlich hatte die Commerzbank im vergangenen Jahr einen Verlust
anmelden müssen - es war jedoch das erste Mal in ihrer 130jährigen Unternehmensgeschichte.
Vermutlich soll das Kreditinstitut mit der Kündigung für ausländischen Investoren attraktiver
gemacht werden. Ein Frankfurter Bankier, der offenbar nicht namentlich genannt werden wollte,
sagte der 'Financial Times Deutschland' (FTD), die Betriebsrenten seien ein Unsicherheitsfaktor für
mögliche Käufer gewesen.
In diesem Zusammenhang verweist das Blatt darauf, daß die Commerzbank bereits im vergangenen
Herbst ihre Bilanz von einer Beteiligung im Umfang von 2,3 Milliarden Euro "säuberte". Die
Bundesregierung zeigte sich seinerzeit besorgt über einen möglicher Verkauf des Unternehmens ins
Ausland. Immerhin äußerte sich Commerzbank-Chef Klaus-Peter Müller im vergangenen November
noch optimistisch gegenüber der 'Stuttgarter Zeitung': Ein Verkauf des Hauses stehe nicht zur Diskussion.
Viel mehr bemühe man sich, im Jahre 2004 die Gewinnzone zu erreichen und sei entsprechend optimistisch.
Von einem "prächtigen Gewinnjahr 2004" sprach Müller seinerzeit. Zudem gebe es Pläne, die Stralsunder Sparkasse
zu kaufen.
Die Stadt plant als erste Gemeinde in Deutschland eine Veräußerung ihrer Sparkasse, was nicht nur in
Mecklenburg-Vorpommern höchst umstritten ist. Die Pressestelle der Commerzbank, die sich als
"offizielles Sprachrohr und Anlaufstelle für deutsche und internationale Medien" bezeichnet, war übrigens
bis zum Morgen nicht in der Lage, auf die Meldungen zu reagieren.
Über die Wirkungen auf ihre Mitarbeiter macht sich die Bank keine größeren Sorgen. Es werde keine
Einbußen bei der Moral geben, so ein Sprecher laut 'spiegel'. Man habe ein "gutes Standing". Anders
der FTD-Bericht: Demnach hat ein Teil der Angestellten von der Kündigung aus der Zeitung erfahren.
Nach Aussagen eines hochrangigen Mitarbeiters sei der Schritt nach den bereits vorgenommenen
Kürzungen bei den Zuschlägen ein "Skandal" und habe wie ein harter Schlag gewirkt.
Die Commerzbank ist in der Frage des massiven Sozialabbaus eine Vorreiterin. Die HypoVereinsbank hat
bislang nur Betriebsrenten für neue Mitarbeiter ausgeschlossen; andere große deutsche Banken tasteten
die betrieblichen Altersvorsorgungen noch nicht an. Bei der HypoVereinsbank hieß es laut FTD, ein solcher
Schritt würde "das Faß zum Überlaufen" bringen.
Im Gegensatz zu anderen Staaten sind Betriebsrenten in Deutschland nicht Grundlage der Altersversorgung, jedoch
vielfach eine wichtige Ergänzung. Eine Tatsache, die die Bundesregierung
im Jahre 2002 übrigens zu folgender Veröffentlichung animierte: "Riester-Renten und Betriebsrenten
in Deutschland sind sicher".
Martin Müller-Mertens
Nachveröffentl. aus www.rbi-aktuell.de