"Einigung" bei nächtlicher Verhandlungsrunde:
Konzern setzt Einsparungen durch, Schrempp deutet weitere Zumutungen an
Bis zuletzt war die Mehrzahl der rund 160.000
DaimlerChrysler- Beschäftigten kampfbereit. Am Freitag Vormittag
wurden sie nun auf Betriebsversammlungen vom Verrat ihres
Widerstands gegen die Streichungsliste der Konzernspitze durch
Gesamtbetriebsrat und IG Metall informiert. Zwar konnte sich der
DaimlerChrysler-Vorstand nicht mit all seinen Forderungen durchsetzen.
Doch die Hauptaufgabe ist erfüllt: das neoliberale Karussell dreht sich
weiter, der Umbau der Gesellschaft nach den Gesetzen der Kapitallogik
wird nicht in Frage gestellt.
Mit ihrer Kernforderung hat sich die Arbeitgeberseite vollständig
durchgesetzt: 500 Millionen Euro wird der bereits jetzt gewinnbringende
Konzern ab 2007 einsparen. Erreicht werden soll dies u.a. durch folgende
Änderungen für die Mitarbeiter: Wegfall der Schichtzulage und
Reduzierung der "Steinkühler-Pause" von fünf Minuten pro Stunde.
Heraufsetzung der Arbeitszeit bei Mehrbezahlung. Unterzeichnung eines
Tarifvertrages, der für Mitarbeiter etwa in den Kantinen und beim
Werkschutz geringere Vergütungen zugesteht, als den Metall-Arbeitern.
Im Gegenzug ist der Konzern bereit, die bestehenden Arbeitsplätze bis
2012 zu garantieren. DaimlerChrysler hatte eine Verlagerung der
Produktion für die neuen C-Klasse-Modelle nach Bremen und Südafrika
angedroht.
Die freche Drohung war sowohl in Bremen, wie auch im südafrikanischen
East London auf Ablehnung gestoßen. Zu offensichtlich war der Versuch,
Beschäftigte in Deutschland gegeneinander auszuspielen und letztlich
sowohl in Bremen, wie auch in Sindelfingen und Untertürkheim
Einschnitte durchzusetzen. Zudem die Verlagerungsdrohungen nach
Südafrika offensichtlich verlogen waren. Wie der Vertreter der dortigen
Metallarbeitergewerkschaft NUMSA, Mtuli Dumisa, in einem Gespräch
mit der Internetzeitung "RF-News" erklärte, sei der Ausbau der
Produktion in East London schon 2003 beschlossen worden. Wie bereits
BMW will nun auch DailmerChrysler die Steuervorteile südafrikanischer
Exporteure beim Handel mit den USA nutzen.
Auch in Südafrika finden gegenwärtig Tarifverhandlungen statt, in denen
die NUMSA Lohnerhöhungen von neun Prozent und eine bessere
Versorgung von HIV-infizierten Kollegen verlangt. Andernfalls droht sie
mit Streik. Den Arbeitskampf in Deutschland unterstützt sie. "Wir wollen
nicht als Werkzeug gegen die Kolleginnen und Kollegen in Deutschland
benutzt werden," so Dumisa.
Eine wirkliche Überraschung war der nächtliche Verrat am Arbeitskampf
in Deutschland nicht. Bereits am Donnerstag mehrten sich Gerüchte, die IG
Metall dränge den streikbereiten Gesamtbetriebsrat auf eine Einigung mit
der Konzernspitze. ARD-Hörfunkangaben zu Folge seien Vertreter des
Betriebsrates in der Nacht mit gesenkten Köpfen und sichtlich verärgert
aus den 17-stündigen Verhandlung gekommen. Näheres über den Ablauf
ist jedoch nicht bekannt. Vermutlich haben alle Seiten Stillschweigen
vereinbart.
Die IG Metall feiert den Abschluß derweil als Sieg. Ihre Hauptforderungen
habe sie durchgesetzt: Beschäftigungsgarantie und keine Aushebelung
des Tarifvertrages. Das dies eine Definitionsfrage ist und zudem nur
vorläufig, machte Konzernchef Jürgen Schrempp bereits deutlich. Der
Tarifvertrag würde "ausgeschöpft". Zudem brauche Deutschland keine
pauschale Regelung der Arbeitszeit, sondern Unternehmen mit Raum für
Flexibilität. Den Menschen solle klar werden, daß sie teilweise etwas
aufgeben müssen. Auch die Konzernspitze werde sich daran beteiligen.
Wie genau dortiger "Verzicht" aussehen werde, erklärte Schrempp
dagegen nicht.
Die jetzt vereinbarte Zumutung beweist, wie ernst es Gewerkschaft und
Betriebsrat offenbar mit der Vertretung der Mitarbeiter ist. Seit einer
Woche hatten teilweise Zehntausende DaimlerChrysler-Mitarbeiter in
Streiks und Protestkundgebungen gegen die Kürzungsforderungen
gekämpft. Die Auseinandersetzung hatte symbolischen Charakter. Vor
mehreren Jahren hatten die Daimler-Beschäftigten schon einmal
Zumutungen mit einem Arbeitskampf verhindert. Für den heutigen
Freitag hatten sie sich auf einen neuen Protesttag vorbereitet, waren bereit,
die Auseinandersetzung bis zum Ende durchzustehen. Die Durchsetzung
der Konzern-Spitze dürfte auf weitere Unternehmen ermutigend wirken,
ihrerseits die neoliberale Spirale weiter anzuziehen. KarstadtQuelle
jedenfalls ist am Donnerstag in seiner Argumentation bereits einen Schritt
weiter gegangen. Bislang wurden Arbeitszeitverlängerungen und
Lohnkürzungen mit der Möglichkeit "begründet", nur so neue Stellen
schaffen zu können. Der Kaufhauskonzern erklärte nun, mit der
Maßnahmen vielleicht weniger zu entlassen, als zunächst geplant.
Martin Müller-Mertens