23.07.2004

Artikel

Gewerkschaft
verrät DaimlerChrysler-Streik

"Einigung" bei nächtlicher Verhandlungsrunde:
Konzern setzt Einsparungen durch, Schrempp deutet weitere Zumutungen an

Bis zuletzt war die Mehrzahl der rund 160.000 DaimlerChrysler- Beschäftigten kampfbereit. Am Freitag Vormittag wurden sie nun auf Betriebsversammlungen vom Verrat ihres Widerstands gegen die Streichungsliste der Konzernspitze durch Gesamtbetriebsrat und IG Metall informiert. Zwar konnte sich der DaimlerChrysler-Vorstand nicht mit all seinen Forderungen durchsetzen. Doch die Hauptaufgabe ist erfüllt: das neoliberale Karussell dreht sich weiter, der Umbau der Gesellschaft nach den Gesetzen der Kapitallogik wird nicht in Frage gestellt.

Mit ihrer Kernforderung hat sich die Arbeitgeberseite vollständig durchgesetzt: 500 Millionen Euro wird der bereits jetzt gewinnbringende Konzern ab 2007 einsparen. Erreicht werden soll dies u.a. durch folgende Änderungen für die Mitarbeiter: Wegfall der Schichtzulage und Reduzierung der "Steinkühler-Pause" von fünf Minuten pro Stunde. Heraufsetzung der Arbeitszeit bei Mehrbezahlung. Unterzeichnung eines Tarifvertrages, der für Mitarbeiter etwa in den Kantinen und beim Werkschutz geringere Vergütungen zugesteht, als den Metall-Arbeitern.

Im Gegenzug ist der Konzern bereit, die bestehenden Arbeitsplätze bis 2012 zu garantieren. DaimlerChrysler hatte eine Verlagerung der Produktion für die neuen C-Klasse-Modelle nach Bremen und Südafrika angedroht.

Die freche Drohung war sowohl in Bremen, wie auch im südafrikanischen East London auf Ablehnung gestoßen. Zu offensichtlich war der Versuch, Beschäftigte in Deutschland gegeneinander auszuspielen und letztlich sowohl in Bremen, wie auch in Sindelfingen und Untertürkheim Einschnitte durchzusetzen. Zudem die Verlagerungsdrohungen nach Südafrika offensichtlich verlogen waren. Wie der Vertreter der dortigen Metallarbeitergewerkschaft NUMSA, Mtuli Dumisa, in einem Gespräch mit der Internetzeitung "RF-News" erklärte, sei der Ausbau der Produktion in East London schon 2003 beschlossen worden. Wie bereits BMW will nun auch DailmerChrysler die Steuervorteile südafrikanischer Exporteure beim Handel mit den USA nutzen.

Auch in Südafrika finden gegenwärtig Tarifverhandlungen statt, in denen die NUMSA Lohnerhöhungen von neun Prozent und eine bessere Versorgung von HIV-infizierten Kollegen verlangt. Andernfalls droht sie mit Streik. Den Arbeitskampf in Deutschland unterstützt sie. "Wir wollen nicht als Werkzeug gegen die Kolleginnen und Kollegen in Deutschland benutzt werden," so Dumisa.

Eine wirkliche Überraschung war der nächtliche Verrat am Arbeitskampf in Deutschland nicht. Bereits am Donnerstag mehrten sich Gerüchte, die IG Metall dränge den streikbereiten Gesamtbetriebsrat auf eine Einigung mit der Konzernspitze. ARD-Hörfunkangaben zu Folge seien Vertreter des Betriebsrates in der Nacht mit gesenkten Köpfen und sichtlich verärgert aus den 17-stündigen Verhandlung gekommen. Näheres über den Ablauf ist jedoch nicht bekannt. Vermutlich haben alle Seiten Stillschweigen vereinbart.

Die IG Metall feiert den Abschluß derweil als Sieg. Ihre Hauptforderungen habe sie durchgesetzt: Beschäftigungsgarantie und keine Aushebelung des Tarifvertrages. Das dies eine Definitionsfrage ist und zudem nur vorläufig, machte Konzernchef Jürgen Schrempp bereits deutlich. Der Tarifvertrag würde "ausgeschöpft". Zudem brauche Deutschland keine pauschale Regelung der Arbeitszeit, sondern Unternehmen mit Raum für Flexibilität. Den Menschen solle klar werden, daß sie teilweise etwas aufgeben müssen. Auch die Konzernspitze werde sich daran beteiligen. Wie genau dortiger "Verzicht" aussehen werde, erklärte Schrempp dagegen nicht.

Die jetzt vereinbarte Zumutung beweist, wie ernst es Gewerkschaft und Betriebsrat offenbar mit der Vertretung der Mitarbeiter ist. Seit einer Woche hatten teilweise Zehntausende DaimlerChrysler-Mitarbeiter in Streiks und Protestkundgebungen gegen die Kürzungsforderungen gekämpft. Die Auseinandersetzung hatte symbolischen Charakter. Vor mehreren Jahren hatten die Daimler-Beschäftigten schon einmal Zumutungen mit einem Arbeitskampf verhindert. Für den heutigen Freitag hatten sie sich auf einen neuen Protesttag vorbereitet, waren bereit, die Auseinandersetzung bis zum Ende durchzustehen. Die Durchsetzung der Konzern-Spitze dürfte auf weitere Unternehmen ermutigend wirken, ihrerseits die neoliberale Spirale weiter anzuziehen. KarstadtQuelle jedenfalls ist am Donnerstag in seiner Argumentation bereits einen Schritt weiter gegangen. Bislang wurden Arbeitszeitverlängerungen und Lohnkürzungen mit der Möglichkeit "begründet", nur so neue Stellen schaffen zu können. Der Kaufhauskonzern erklärte nun, mit der Maßnahmen vielleicht weniger zu entlassen, als zunächst geplant.

 

Martin Müller-Mertens

 

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