Klaus Schramm sprach mit Katrin Distler
Vorbemerkung:
Dr. Katrin Distler ist DGB-Bezirkssekretärin und leitet in Offenburg das Büro für transnationale Zusammenarbeit am Oberrhein. Sie ist Mitglied im Exekutiv-Komitee des IGR* Dreiländereck und Mitglied im Präsidium des IGR Euregio.
K. S.:
Ihre grenzüberschreitende gewerkschaftliche Arbeit ist recht neu. Wie sieht die Zusammenarbeit mit französischen und Schweizer GewerkschafterInnen konkret aus?
Katrin Distler:
Es gab zwar schon zuvor rege Kontakte. So geht die Tradition der gemeinsamen Mai-Kundgebung (siehe Demo-Hinweis weiter unten, die Red.) auf der Europabrücke zwischen Kehl und Strasbourg auf den DGB-Kreisvorsitzenden Rolf Ruef zurück. Das Büro für transnationale Kooperation gibt es jetzt seit August 2001. Es hieß übrigens zuerst "Büro für grenzüberschreitende Zusammenarbeit", wurde dann aber wegen der besseren sprachlichen Übereinstimmung umbenannt - auf französisch heißt es: "coopération transnationale".
Wir haben zusammen mit französischen und Schweizer GewerkschafterInnen mehrere Seminarreihen organisiert. So beispielsweise mit der französischen Seite ein Seminar zum Thema soziale Absicherung. Dabei ging es um Kranken- versicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosen- versicherung. Den FranzösInnen brannte natürlich besonders die Entwicklung der Rentenversicherung auf den Nägeln, weshalb es im letzten Jahr in Frankreich große Demonstra- tionen gab. TeilnehmerInnen der Seminare waren hauptamtliche GewerkschafterInnen, BetriebsrätInnen und auch ExpertInnen zum jeweiligen Thema. Die Treffen fanden vorwiegend in Kehl statt, wo Dolmetscheranlage zur Verfügung steht.
Als weiteres Beispiel möchte ich ein Seminar zum Thema "Integration 50-jähriger und älterer ArbeitnehmerInnen" nennen. Hier konnten wir aufzeigen, daß es positive Beispiele von Firmen gibt, die das Know-how dieser Arbeitskräfte zu schätzen wissen und teilweise speziell solche Arbeitskräfte suchen. Über die Informationsvermittlung im gewerkschaft- lichen Rahmen hinaus, versuchen wir, solche Fakten auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Ein sehr wichtiges Feld meiner Arbeit ist zudem die Beratung von GrenzgängerInnen. Und gerade in Hinblick auf die Probleme mit Jugendlichen in Strasbourg beginnen wir aktuell mit einem neuen gemeinsamen Projekt.
Welche Aufgaben hat dabei ein IGR?
Die Zusammenarbeit von GewerkschafterInnen über die Grenzen
hinweg hat am Oberrhein eine langjährige Tradition. Angesichts
der großen Zahl von BerufspendlerInnen zwischen Frankreich,
Deutschland und der Schweiz ist diese Kooperation um so
wichtiger, als ein gemeinsames europäisches Tarif- und
Arbeitnehmervertretungsrecht nach wie vor auf sich warten läßt.
Im Lauf der Zeit sind aus dem lockeren Erfahrungsaustausch zu Fragen
des Tarif-, Arbeits- und Sozialrechts und weiteren Themen
interregionale Gewerkschaftsräte - der IGR Dreiländereck und
der IGR Euregio - entstanden. Ersterer koordiniert die Region
von der Nordschweiz bis nach Emmendingen und das südliche
Elsaß. Der IRG Euregio umfaßt die Ortenau, Rastatt,
Baden-Baden, Karlsruhe und die Südpfalz und das nördliche
Elsaß inclusive Strasbourg.
Wir beschäftigen uns mit grenzübeschreitenden Fragen der
Gewerkschaftsarbeit, mit der Verbesserung der Lebens- und
Arbeitssituation von Beschäftigten beiderseits des Rheins und mit
Fragen von Arbeitsplätzen in der Region Oberrhein. Dabei wird
einerseits Kontaktpflege organisiert und andererseits werden
gemeinsame Seminare und Tagungen vorbereitet, die Bestandteil
des sozialen Dialogs in Europa sind.
Wie steht es mit einer Vereinheitlichung der europäischen Gewerkschaften und - als Perspektive - einer gemeinsamen Tarifpolitik?
Die jeweiligen Gewerkschaftsstrukturen und noch mehr in anderen Teilen Europas sind noch sehr unterschiedlich. Die Schweizer Gewerkschaften sind unseren ähnlicher. Dort gibt es den Schweizerischen Gewerkschaftsbund, der dem DGB entspricht. Eine Branchen-Gewerkschaft wie der SMUV (Schweizer Metall und Uhren Verband) entspricht nur ungefähr der deutschen IG Metall. Daneben gibt es - ähnlich wie in Deutschland - die christliche Gewerkschaftsvereinigung und eine Vereinigung für schweizerische Angestellte. Letztere beide schließen sich aktuell zur "travail.suisse" zusammen. In Frankreich gibt es dagegen die bekannten Richtungs- gewerkschaften wie CFDT, CGT oder Force Ouvrière, die ebenfalls in Branchen-Gewerkschaften untergliedert sind.
Ein kleiner Schritt in Richtung europäischer Einheitsgewerkschaft ist der hiesige Pilotbezirk. Mancherorts sind die betrieblichen Anlagen grenzüberschreitend so dicht beieinander, daß sie wie ein Werk aussehen. Doch die Bedingungen für die ArbeitnehmerInnen sind noch sehr unterschiedlich. Wenn wir uns dagegen den Eurodistrikt Strasbourg-Ortenau anschauen, haben wir beispielsweise bei den Tarifverbünden im öffentlichen Nahverkehr gemeinsame Tarife. Warum nicht auch bei der Entlohnung?
Wichtig zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch die europäischen Betriebsräte. Diese sind für Betriebe mit mehr als 1000 Beschäftigten und Standorten in verschiedenen EU-Staaten vorgesehen. Gerade angesichts der nun auch zum 1. Mai anstehenden EU-Osterweiterung, bei der zehn neue EU-Staaten hinzukommen, den großen tariflichen Unterschieden, der Produktionsverlagerung in Billiglohn- länder, oft außerhalb Europas und der voranschreitenden Globalisierung, stehen die Gewerkschaften vor großen Herausforderungen. Dabei geht der Trend in die entgegengesetzte Richtung: Von den deutschen Gewerkschaften wird mehr Flexibilität in der regionalen Tarifgestaltung gefordert und der Druck auf die Flächen- tarifverträge wächst.
...und der Europäische Gewerkschaftsbund ?
Der EGB wurde bereits 1973 gegründet und mittlerweile sind darin rund 80 Gewerkschaftsverbände aus 34 Ländern Europas und somit rund 60 Millionen
ArbeitnehmerInnen repräsentiert. Er ist bisher allerdings mehr ein Dachverband,
denn ein schlagkräftiges Werkzeug zur Organisation einer europaweiten
solidarischen Aktion.
Vielen Dank für das Gespräch.
Anmerkung:
* IGR = Interregionaler Gewerkschaftsrat
Demo-Hinweis:
Gemeinsamer französisch-deutscher 1. Mai
Kehl - Strasbourg auf der Europabrücke
Ein erweitertes Europa - ja!
aber im Dienst der Menschen
Die europäische Union wird um 10 Staaten größer.
Deshalb brauchen wir verläßliche Rahmenbedingungen für:
- die Schaffung von neuen und sozial abgesicherten
Arbeitsplätzen
- eine Sozialversicherung mit solidarischer Finanzierung
- menschliche Arbeitsbedingungen
Elsässische und badische Gewerkschaften demonstrieren für ein Europa der
ArbeitnehmerInnen - gemeinsam setzen wir uns für ein soziales und gerechtes Europa
ein.
Um 9.45 Uhr findet auf dem Gelände der Landesgartenschau
ein ökumenischer Gottesdienst statt.
10.30 Uhr: Marktplatz Kehl
Demozug vom Kehler Marktplatz zur Europabrücke
(Hinweis: Der Demozug kommt am Ausgang der Gartenschau
vorbei und trifft dort mit den BesucherInnen
des Gottesdienstes zusammen.)
11.00 Uhr:
Zusammentreffen der elsässischen und badischen
Gewerkschaften auf der Europabrücke
Begrüßung: Klaus Melder
(Vorsitzender des DGB-Arbeitskreises Ortenau)
von französischer Seite: Bernard Marx
(Generalsekretär der CFDT)
11.30 Uhr:
Maireden
Sybille Stamm, ver.di-Landesvorsitzende Baden-Württemberg
Albert Riedinger, Vize-Präsident von IRG Euregio
Musikalische Umrahmung durch die Stadtkappelle Offenburg
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