14.02.2001

Dokumentation

KREBS UM AKW
Orginalarbeit

Kinderkrebs um bayerische Kernkraftwerke

Alfred Körblein
Umweltinstitut München e.V.
ak@umweltinstitut.org
Februar 2001

Stichworte:

AKW, Bayerische AKW, AKW Gundremmingen,  Kinderkrebs, Kernkraftwerke, Krebs, Krebsrate, Leukämie

Zusammenfassung

Die Krebsrate bei Kindern ist in der Umgebung der 3 bayerischen Standorte von Kernkraftwerken (KKW) um 30% gegenüber der Krebsrate im restlichen Bayern erhöht. Die Erhöhung ist dabei auf dem 1 Promille Niveau signifikant (p=0,0006). Das Ergebnis basiert auf den Daten der Krebsinzidenz bei Kindern in den bayerischen Landkreisen für die Jahre 1983 bis 1993. Als KKW-Region wurden an jedem Standort jeweils die drei dem KKW am nächsten gelegenen Landkreise gewählt. Die Krebsrate in der KKW-Region wurde mithilfe einer gewichteten Regressionsrechnung mit der Krebsrate in den restlichen bayerischen Landkreisen verglichen. Als einzige weitere Einflussgröße wurde im Regressionsmodell die Bevölkerungsdichte als kategorisierte Variable (4 Urbanitätsgrade) berücksichtigt. Das mittlere pro Kopf Einkommen zeigte keinen Einfluss auf die Krebsrate und ging deshalb nicht ins Regressionsmodell ein.

Einführung

Bei der Veröffentlichung der Ergebnisse der sogenannten Michaelis-Studie, so benannt nach dem Leiter des Instituts für Medizinische Statistik und Dokumentation in Mainz, an dem das deutsche Kinderkrebsregister geführt wird, wurde gesagt, weitere Arbeiten zu diesem Thema seien nicht mehr notwendig, da diese Studie keine erhöhten Krebsraten in der Nähe deutscher Kernkraftwerke fand (1). Allerdings ergab meine Neuauswertung der gleichen Daten eine signifikante Erhöhung der Krebsrate bei Kleinkindern um 53% im Nahbereich der Kernkraftwerke, wenn allein die 15 Standorte von Leistungsreaktoren, nicht aber die 5 Standorte von Forschungsreaktoren und stillgelegten Reaktoren in die Untersuchung einbezogen werden (2). Dieser Befund regte mich zu der vorliegenden Untersuchung der kindlichen Krebsrate in Bayern an, die auf Daten basiert, welche im Oktober 1995 in einem Bericht des Bundesamts für Strahlenschutz (4) veröffentlichtet wurden. Mit der Auswertung dieser Daten sollte geprüft werden, ob sich auch hier eine Erhöhung der kindlichen Krebsrate um Kernkraftwerke zeigt.

Daten und Methoden

Ein Bericht des Instituts für Strahlenhygiene (ISH) im Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) vom Januar 1993 enthält Daten der Krebsinzidenz von Kindern in den bayerischen Landkreisen für die Jahre 1983-89 (3). Inzwischen liegen die Daten bis 1993 einschließlich vor, die in einem Bericht des BfS-ISH vom Oktober 1995 enthalten sind (4). Sie stammen, wie die Daten bis 1989, aus den Mainzer Kinderkrebsregister.
Daten zur Bevölkerungsdichte wurden mir vom bayerischen statistischen Landesamt zur Verfügung gestellt.
In der Michaelis-Studie wurden die Krebsraten in den Regionen um die Kernkraftwerke mit denen in geeignet gewählten Vergleichsregionen abseits der Kernkraftwerke verglichen. Dieses Verfahren hat gegenüber dem Vergleich mit dem Landesdurchschnitt den Vorteil, dass auf standortspezifische Besonderheiten Rücksicht genommen werden kann, führt aber zu einer größeren Unsicherheit beim Vergleich der Inzidenzen, da sich die statistischen Streuungen (Varianzen) im Untersuchungs- und im Vergleichsgebiet addieren. Je größer das Vergleichsgebiet, desto kleiner ist die zugehörige Varianz, was den Nachweis eines möglichen Effekts erleichtert. Auch bedeutet die Wahl eines Vergleichsgebiets immer eine gewisse Willkür. So könnte ein Vergleichsgebiet zwar außerhalb der 15 km Zone um das KKW liegen, aber in Windrichtung, wo es womöglich ebenfalls Emissionen des KKW ausgesetzt ist.
In der vorliegenden Untersuchung habe ich deshalb auf die Festlegung von Vergleichsgebieten verzichtet. Ich vergleiche die Krebsrate in den Landkreisen um die KKW-Standorte mit der in den restlichen bayerischen Landkreisen. Als KKW-Region wähle ich um jeden Standort 3 Landkreise aus: den Standort-Landkreis, den unmittelbar benachbarten Landkreis, und - wegen der vorherrschenden Windrichtung - den sich östlich anschließenden Landkreis. Im einzelnen sind das die Landkreise Landshut-Stadt, Landshut-Land und Dingolfing, Schweinfurt-Stadt, Schweinfurt-Land und Hassberge, und Dillingen, Günzburg und Augsburg-Land. Für die Regressionsrechnung werden diese Landkreise mit einer Indikatorvariablen (KKW) gekennzeichnet, und das Zusatzrisiko dort aus den Daten geschätzt. Da sich in den Daten auch eine Abhängigkeit der kindlichen Krebsrate von der Bevölkerungsdichte zeigte, wurde diese zusätzlich als kategorisierte Variable (4 Urbanitätsklassen, URB0-URB3) berücksichtigt. Da die Daten aller 96 Landkreise in die Regression eingehen, kann beim Signifikanztest eine gegenüber der statistischen Erwartung erhöhte Streuung in den Daten (Overdispersion) berücksichtigt werden. Das Ergebnis des Signifikanztests ist damit konservativer, als bei dem Verfahren, das in der Michaelis-Studie verwendet wird.
Das Regressionsmodell hat die folgende Form.
RR = C1 + C2*URB1 + C3*URB2 + C4*URB3 + C5*KKW.
Dabei ist RR das relative Risiko, URB1-URB3 kennzeichnet die oberen drei Urbanitätsklassen (Bezugsgröße ist URB0), KKW bezeichnet die Landkreise um die Kernkraftwerke, und C1-C5 sind Parameter.

Ergebnisse

Die Regressionsrechnung mit dem Programm statgraphics ergibt die in der folgenden Tabelle angegebenen Schätzwerte (estimate) für die Parameter (coefficient 1 bis coefficient 5), die zugehörige Standardabweichung (standard error), den t-Wert (ratio) und den zweiseitigen p-Wert (p-value).
 
estimate standart.error ratio p-value
coefficient 1 0,8973 0,0450 19,935 0,0000
coefficient 2 0,0338 0,0652 0,5188 0,6052
coefficient 3 0,0782 0,0620 1,2620 0,2102
coefficient 4 0,2134 0,0650 3,2805 0,0015
coefficient 5 0,2742 0,0814 3,3677 0,0011

Die Krebsrate bei Kindern ist in den 9 Landkreisen um die 3 bayerischen Standorte von Leistungsreaktoren, also Gundremmingen, Isar und Grafenrheinfeld, signifikant um 30,6% gegenüber der in den restlichen bayerischen Landkreisen erhöht (p=0,0011). In den 24 Landkreisen mit der höchsten Bevölkerungsdichte (URB3) ist die Krebsrate signifikant um 24% erhöht gegenüber der Krebsrate in den 24 Landkreisen mit der niedrigsten Bevölkerungsdichte (URB0).
Lautet die Fragestellung, ob die Krebsrate in der Nähe der KKWs erhöht ist, so ist der einseitige Test angezeigt. Dann ist der obige p-Wert zu halbieren. Die Erhöhung der Krebsrate ist damit auf dem 1 Promille Niveau signifikant.
Die deutlichste Erhöhung zeigt sich um den Standort Gundremmingen: In den 3 Landkreisen, Günzburg, Dillingen und Augsburg-Land beträgt die Erhöhung der kindlichen Krebsrate 40% (p=0,0014, einseitiger Test). Aber auch die beiden anderen Standorte, Grafenrheinfeld und Isar, weisen zusammengefasst eine signifikante Erhöhung die Kinderkrebsrate um 22% auf (p=0,0339).


Literatur

1. Kaletsch U, Meinert R, Miesner A, Hoisl M, Kaatsch P, Michaelis J. Epidemiologische Studien zum Auftreten von Leukämieerkrankungen in Deutschland. IMSD-Technischer Bericht, Juli 1997
2. Körblein A, Hoffmann W. Childhood Cancer in the Vicinity of German Nuclear Power Plants. Medicine & Global Survival, August 1999, Vol.6: 18-23
3. Brachner A, Grosche B, Frasch G. Inzidenz und Mortalität bösartiger Fehlbildungen in Bayern. BfS-Bericht, Januar 1993
4. Van Santen F, Grosche B, Schoetzau A, Irl C, Brachner A. Morbidität und Mortalität infolge bösartiger Neubildungen in Bayern. BfS-Bericht, Oktober 1995

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