Ausschnitt
Quelle:
http://m.taz.de/!5189906;m/
Andrej Holm: (...) Ich habe September 89 beim Wachregiment Felix Dzierzynski meine Grundausbildung begonnen.
'taz': Sie waren bei der Stasi? Das Wachregiment Felix Dzierzynski war doch Teil des Ministeriums für Staatssicherheit?
Andrej Holm: So ist es. Die Reflexion darüber, was Staatssicherheit tatsächlich war, die begann bei mir erst nach der Wende. Seitdem habe ich da auch einen anderen Blick drauf.
'taz': Wie haben Sie das vor der Wende gesehen?
Andrej Holm: Ich bin zumindest in einer antifaschistisch geprägten Familie groß geworden. Mein Urgroßvater war im illegalen KPD-Apparat und im KZ. Meine Großeltern waren in Moskau. Mein Vater ist da geboren, er war selber hauptamtlicher Mitarbeiter bei der Staatssicherheit. Ich hatte damit ein unreflektiertes oder wie man damals gesagt hätte, klassenbewusstes Verhältnis zur Staatssicherheit. Deshalb hatte ich mich dafür entschieden, dort selber eine längerfristige Laufbahn einzuschlagen. Im Nachhinein bin ich extrem froh darüber, dass mir die Wende diese Zeit erheblich verkürzt hat.
'taz': Was genau haben Sie bei dem Wachregiment gemacht?
Andrej Holm: Ich habe zunächst eine Grundausbildung gemacht und kam dann zu einer Abteilung in der Berliner Bezirksverwaltung. Die hat sich Auswertungs- und Kontrollgruppe genannt. Aufgabe war es, eine Personendatenbank zu erstellen und Lageberichte zu verfassen. In der hektischen Wendezeit war ich für diese Aufgaben offensichtlich nicht zu gebrauchen. Ich wurde in ein separates Büro gesetzt und durfte dort Betriebsberichte lesen. Zum Ausgleich für dieses Nichtstun wurde ich für viele Wochenend- und Feiertagsdienste eingeteilt. Dadurch habe ich einen Großteil der wichtigsten Ereignisse im Herbst 1989, wie die Demo in Berlin am 4. November, verpasst.
Herbert M.: Das Wachregiment war doch auch eine Möglichkeit den Wehrdienst zu absolvieren.
Andrej Holm: Meine Tätigkeit unterschied sich vom reinen Wehrdienst aber dadurch, dass ich später für die Staatssicherheit arbeiten wollte. Meine Gegenforderung war, dass ich dafür ein ziviles Studium bekomme, um nicht an der Staatssicherheitshochschule ausgebildet zu werden.
'taz': Und wie haben Sie reagiert, als Sie gehört haben, dass es im Wendeherbst auch zu diesen Eskalationen kam wie am 7. und 8. Oktober 1989 vor der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg? Haben Sie da gedacht: Da hätte ich auch Teil der Auseinandersetzungen sein können?
Andrej Holm: Ja. Das war so. Ich war heilfroh, dass ich diese Grundausbildung im Oktober noch nicht beendet hatte und ich das alles fernab von Berlin in einer Kaserne erlebt habe.
'taz': In China wurde die Demokratiebewegung im Sommer 1989 blutig niedergeschlagen. Für wie groß haben Sie die Möglichkeit erachtet, dass es auch in der DDR eine chinesische Lösung geben wird?
Andrej Holm: Das ist schwierig zu beantworten. Es kam aber vor, dass sich Einzelne während der Grundausbildung verdrückt haben, um heimlich über diese Ereignisse zu diskutieren. Da ging es dann da drum, was man in einem solchen Fall macht. Kann man sich krank melden? Kann man sich vielleicht sogar selbst Verletzungen zufügen? Das waren aber reine Gedankenspiele.
'taz': Sie waren damals 18 Jahre alt.
Andrej Holm: Ich habe am 8. Oktober 1989 meinen 19. Geburtstag gefeiert.
'taz': In dem Alter muss man noch nicht politisch gefestigt sein. Zum Wachregiment ging man dennoch nicht ohne Überzeugung. Und die wollen Sie dann so schnell gerändert haben?
Andrej Holm: Ich habe mich ja nicht für eine Laufbahn bei der Stasi entschieden, weil ich der Meinung war, dass wir damit einer chinesischen Lösung näher kommen. Das kam schon aus dieser Familiengeschichte. Bei den Rekrutierungsversuchen des MfS war es immer einfach, die Kinder der Mitarbeiter zu fragen. Da war auf jeden Fall klar, dass es keine Westkontakte gab.
'taz': Herr Teschner, wie haben Sie reagiert, als Andrej Holm zum ersten Mal von seiner hauptamtlichen Tätigkeit bei der Stasi erzählte?
Dirk Teschner: Das war nach der Wende. Die alte Opposition war in Auflösung, viele Aktive sind in viele verschiedene Parteien gegangen. Und plötzlich gab es da neue Leute, mit neuen Gesichtern und mit neuen Geschichten. Da gab es ehemalige SED-Mitglieder, Leute von der NVA, manche bei den Kampfgruppen. Und natürlich auch Leute, die erzählt haben, dass sie bei der Staatssicherheit waren. Wir mussten uns plötzlich mit Leuten auseinandersetzen, die eine ganz andere Vergangenheit hatten und im Herbst 1989 auf der anderen Seite der Barrikade standen. Und nun wurde diskutiert und wir haben gemerkt, dass wir ziemlich ähnliche politische Vorstellungen hatten. Als ich Andrej kennengelernt habe, war da schon die Hausbesetzergeschichte, da gab es einen Diskussionskreis um die Zeitschrift telegraph, da hat er es ziemlich schnell erzählt, dass er bei Dzierzynski war.
'taz': Was haben Sie in dem Moment gedacht?
Dirk Teschner: Ehrlich gesagt: Es ging eine neue Zeit los. Wir hatten neue Probleme. Es ist nicht so, dass das plötzlich uninteressant war, aber das war nicht mehr so das Thema. Außerdem gab es ja auch schon zu DDR-Zeiten die Fälle, wo Leute wie Wolfgang Templin IM waren und später trotzdem in der Opposition gearbeitet haben.
Cornelia Kirchgeorg-Berg: Ich hab es erst gestern erfahren. Meine Reaktion war: So war sie halt, die DDR. Ich selbst kam aus einem sehr DDR-kritischen Elternhaus und habe darüber viele Leute aus der Opposition kennengelernt. Aber wenn ich aus einem solchen Elternhaus wie Andrej gekommen wäre, wäre sicher vieles anders gewesen.
'taz': Nach der Wende haben Sie sich im Neuen Forum engagiert. Herbert, Andrej und Dirk waren in der Vereinigten Linken. War das der kleinste gemeinsame Nenner für die, die zu DDR-Zeiten in der Opposition waren und das in der Bundesrepublik auch bleiben wollten?
Herbert M.: Der Vorläufer der Vereinigten Linken war die Böhlener Plattform. Das war eine Erklärung, die von sehr vielen unterschrieben wurde, die das Ziel demokratischer Sozialismus nicht aus den Augen verloren haben.
Cornelia Kirchgeorg-Berg: Das, was in der Böhlener Plattform stand, hätte ich auch unterschreiben können. Aber dann kam der Aufruf fürs Neue Forum, und das war wie ein Befreiungsschlag in einem Land, wo so viele Leute weggegangen sind. Bis zum 9. November hab ich ganz fest daran geglaubt, dass es noch einen dritten Weg gibt. Auch wenn das heute nicht mehr viele zugeben: Der Fall der Mauer war für mich ein Schock. Den Westen hatten wir in der Opposition nicht gewollt.
'taz': Was ist Opposition denn heute?
Cornelia Kirchgeorg-Berg: Auf jeden Fall nicht das, was in den Parlamenten stattfindet. Sie setzt punktuell an, ob das jetzt ökologische oder soziale Gruppen sind, Bürger und Bürgerinnen, die die Zivilgesellschaft bilden.
'taz': Ist die "militante Gruppe" für Sie auch Opposition.
Cornelia Kirchgeorg-Berg: Sie ist Opposition, aber es ist für mich der falsche Weg.
Dirk Teschner: Die "militante Gruppe" interessiert mich überhaupt nicht. Ich kenne nur einzelne ihrer Erklärungen, und was ich gelesen habe, fand ich langweilig, wie aus einer anderen Zeit. Opposition ist für mich auch, was im Alltag stattfindet. Da gehört aber auch der Widerstand gegen Überwachung dazu. Das hat das Ermittlungsverfahren gegen Andrej und die anderen gezeigt. Widerstandsformen gibt es viele: journalistische Tätigkeit genauso wie Demonstrationen organisieren, aber auch Ausstellungen machen, Bücher schreiben, Filme machen, und und und
Herbert M.: Der Realsozialismus war nicht reformierbar. Der Kapitalismus, den wir jetzt haben, ist auch nicht reformierbar. Wenn wir begreifen, dass es einen Militarisierungsprozess in der BRD gibt, stellt sich auch die Frage, ob nicht auch Anschläge auf ein Fahrzeug der Bundeswehr legitim sind. Wer hat denn schließlich mehr auf dem Kerbholz, wenn es um Menschenleben geht: Die Bundeswehr oder Menschen, die überall auf der Welt Kriegsgerät zerstören?
Andrej Holm: Für mich war es eine der wichtigen Erfahrungen der Wende, was von der Basis ausgehen kann. Auf Stadtteilebene, in Mieterorganisationen oder der Protest gegen den G-8-Gipfel.