Oder:
die zivilgesellschaftliche Moderne, jene, die sich dafür halten und der Untergang Karthagos
"ICH TAUSCH' NICHT MEHR - ICH WILL MEIN LEBEN ZURÜCK..."
Oder: warum Studierende im Dezember 2003 ausgerechnet die TAZ besetzen
Wir haben uns entschlossen, ab heute die Tageszeitung (TAZ) zu besetzen, um unserem Unmut über
die gegenwärtigen Zustände Ausdruck zu verleihen; dabei scheint die TAZ aufgrund des Mythos'
um ihre Geschichte eigentlich ein traditioneller Bündnispartner zu sein: studentenbewegt waren
einige der MitarbeiterInnen ja wohl irgendwann mal, gesellschaftskritische Beiträge werden in jeder
Ausgabe unter der Hand mitgeliefert und irgendwie scheint die TAZ immer bereit zur
Mobilisierung der kritischen Gegenöffentlichkeit.
Wir sehen das ein wenig anders und wollen durch
die Besetzung des Verlagshauses auf eine differierende Wahrnehmungsmöglichkeit verweisen: Die
TAZ greift im Kampf um Auflage und Mitorganisation der Zivilgesellschaft auf ihre Rolle und
Entstehungsgeschichte als ein Zeitungsprojekt zurück, das aus der antiautoritären Bewegung der
60er und 70er entstanden ist; seit den beginnenden Richtungsstreitereien innerhalb des
"Redaktionskollektivs" Mitte der 80er Jahre und dem "Wendejahr '89" hat sich die TAZ aber von
dem Projekt emanzipatorischer Gesellschaftskritik verabschiedet. Auf der Tagesordnung stehen
heute Nachrichtenjournalismus (s. das neue Nachrichtenblatt-Konzept von 1990) mit all' den
gesellschaftslegitimierenden Ecken und Kanten (die wir ja trotz allem an der TAZ schätzen - so
werden wir davor bewahrt, uns mit dem Rheinischen Merkur vergnügen zu müssen),
pseudo-kritisch angereichert mit polemischen Kommentaren zum gesellschaftlichen "state of the
art". Damit leistet die TAZ eben ihren Beitrag zur unhinterfragten Reproduktion gesellschaftlicher
Verhältnisse, deren Verfasstheit als Verwertungs- und Konkurrenzverhältnis in Debatten um die
Reformierbarkeit des Kapitalismus überformt wird und scheinbar nicht mehr als strukturelles
Problem hinterfragt werden kann.
Die TAZ trägt auf diese Art und Weise zu den gegenwärtigen
Zuständen bei, so wie es die ehemaligen "MitrevoluzzerInnen" auf politischer Ebene im leider
unwidersprochenen Vollzug des "Auftrages Rot-Grün" tun (geschenkt kriegen wir dabei die
unangenehmen Nebenwirkungen, bei denen weder Arzt noch Apotheker helfen, sondern künftig bar
kassieren). In Analogie zu den politischen Akteuren, die für die "rot-grünen" oder "rot-roten"
Sauereien verantwortlich zeichnen, verstehen wir die TAZ als unsere AnsprechpartnerIn, weil die
TAZ als Teil der Medienlandschaft und politische Institution (als die sie nun einmal wahrgenommen
wird) wesentlich zur Durchsetzung der Koalition des neuen und "vernünftigen" deutschen
Nationalismus a là Gerd und Joschka, oder eben Klaus und Thomas, beigetragen hat und diesen
"rational-vermittelt" legitimiert. Herzlich willkommen beim Gerede von der potenten und durchaus
wehrhaften Volksgemeinschaft (politisch korrekt: Demokratie oder auch: Gemeinschaft aller
demokratischen Kräfte). Unter den Tisch fallen die neuesten deutschen Schweinereien; die TAZ
malt also bunt-klecksend mit am Bild unseres aufgeklärten, geläuterten und friedliebenden
Standorts Deutschland.
In wiefern Begriffe wie Bürger, Arbeitnehmer, Migrant oder Karrierefrau
jenseits der Debatten um die Emanzipation der "Frau" (der Gleichstellungs- und
Gleichberechtigungsdiskurs) , der "Auseinandersetzungen" um Integration und
Anti-Diskriminierung und der genormten Vorstellungen über das "bürgerliche Subjekt" (die auf die
o.g. Begriffe rekurrieren) sowie die Durchsetzung derart institutionierter Zwangsidentitäten über
Repressionsapparate (Staat, Medien, Familie) diskutiert gehören, scheint die TAZ auch nicht mehr zu
interessieren. Und deshalb sind wir heute hier: wir wollen das nachholen, was die TAZ unserer
Meinung nach all zu oft verpasst hat. Also: Texte zum Nachdenken und Losschreien, die sich auf die
skizzierten Themen beziehen; unsere Art der Kritik an den "verTAZten" Verhältnissen. Wir wollen,
im Anschluss an das Zitat von Wir sind Helden, nicht mehr weitertauschen müssen; nur um am Ende
das zu tun, was uns u.a. die TazlerInnen jeden Tag als fertiggebackene gesellschaftliche Wirklichkeit
vorsetzen: den Zwang, unser Leben in den Dienst der Aufrechterhaltung neuer deutscher
Wirklichkeit stellen zu müssen.
P.S.: ….im Übrigen sind wir der Meinung, dass das Institut für Soziologie erhalten bleiben sollte… "
Die BesetzerInnen