Kathrin Vogler
Erklärung zur Rede von Shimon Peres
im Bundestag am 27. Januar 2010
Eines vorweg: ich bin seit langem für eine friedliche und gerechte
Lösung des Nahostkonflikts aktiv. Meine Überzeugung ist, dass wir als
Deutsche nicht nur eine Verantwortung gegenüber dem israelischen Staat und
dem Sicherheitsbedürfnis seiner Bürgerinnen und Bürger haben, sondern auch
gegenüber den Palästinenserinnen und Palästinensern. Von 2004 bis 2008
habe ich für den Bund für Soziale Verteidigung ein Friedensdienstprojekt
in der Westbank bei Jerusalem mit organisiert. (siehe www.jahalin.net)
Dabei habe ich mit palästinensischen und israelischen Organisationen
zusammengearbeitet, konnte also viel über die unterschiedlichen
Sichtweisen lernen. Immer wieder kam von israelischen AktivistInnen die
Forderung, dass die politische Linke und die Friedensbewegung klarer
Position zur Politik der israelischen Regierung gegenüber den
PalästinenserInnen beziehen und v.a. Druck auf die Bundesregierung ausüben
soll. All dies habe ich in der Gedenkstunde für die Opfer des Holocaust
natürlich im Kopf gehabt. Ich hatte die Befürchtung, dass Shimon Peres
diese Rede nutzen würde, um die harte Position der israelischen Regierung
zu vertreten und die Konfrontation zu verstärken. Aber diese Befürchtung
ist nur zu einem kleinen Teil eingetroffen. Die Rede von Peres war zu 90%
die Rede eines Opfers der Schoah, der gegenüber dem deutschen Parlament
bewegende Worte der Erinnerung, der Mahnung und der Versöhnung fand und
der auch klar für eine friedliche Nachbarschaft mit den PalästinenserInnen
im Rahmen einer Zweistaatenlösung Stellung bezog. Mir war es deswegen ein
Bedürfnis, ihm für dieses Zeugnis Respekt zu erweisen und in seiner Person
die Opfer des Holocaust zu ehren, die er in dieser Feierstunde vertreten
hat - deshalb bin ich aufgestanden. Ich kann aber auch nachvollziehen,
dass einzelne Abgeordnete etwa seine Passage zum Iran so bewertet haben,
dass sie sich für eine Politik instrumentalisiert gefühlt haben, die sie
nicht durch stehenden Applaus unterstützen wollten. Für mich ist das eine
Frage der individuellen Abwägung, keine aus der ich ein Politikum mache.
Als Abgeordnete stehen wir natürlich in so einer Situation in einem
Dilemma. In einer Gedenkstunde sollten die Opfer des deutschen Faschismus
und die Mahnung vor faschistischem Gedankengut im Mittelpunkt stehen.
Dieses Gedenken ist nicht zu relativieren. Wenn ein Politiker und
Staatsmann die Gedenkrede hält, ist aber davon auszugehen, dass er auch
aktuell politisch Stellung bezieht - das hat Peres auch getan, wenn auch
nur in geringem Umfang, und auch mir hat dies teilweise missfallen. Es
gibt in dieser Situation kein "richtiges" Handeln. Sitzenbleiben wird in
der Öffentlichkeit als mangelnder Respekt vor den Opfern dargestellt - was
es bei den betreffenden Abgeordneten sicher nicht war. Aufstehen kann als
Zustimmung zur aggressiven Politik der israelischen Regierung gedeutet
werden, was es in meinem Fall (und ich unterstelle, bei vielen anderen
Abgeordneten) ebenfalls nicht war. Dieses Dilemma muss jede und jeder für
sich selbst so lösen, dass er oder sie morgens noch in den Spiegel sehen
kann - und damit meine ich ausdrücklich nicht das gleichnamige
Nachrichtenmagazin. Für mich ist eine Gedenkstunde kein Ort der
Tagespolitik oder sollte es zumindest nicht sein. Die Verbrechen der
deutschen Nazis, ihrer Mitläufer und Wegseher dürfen nicht relativiert,
die Opfer dürfen nicht für eine politische Auseinandersetzung
instrumentalisiert werden. Das vertrete ich auch gegenüber meinen
palästinensischen und israelischen Freunden, die vielleicht nicht
unmittelbar nachvollziehen können, warum ich Peres in der Feierstunde
Respekt erbiete, obwohl er auch Repräsentant einer Regierung ist, deren
aktuelle Politik alles andere als Frieden und Versöhnung bedeutet und die
ich für falsch halte.
Kathrin Vogler
dokumentiert von
REGENBOGEN NACHRICHTEN