10.03.2004

Artikel

Deutschland säuft ab

Aktuelle Katastrophenmeldungen:
Produktionsrückgang, feindliche Übernahmen, Managergier

Der deutsche Kapitalismus, einst die zweitstärkste Wirtschaftsmacht des Planeten, säuft ab. Für die über- wiegende Mehrheit der Bevölkerung gibt es keine Rettungsboote. Mit Sprüchen wie "Keine Panik auf der Titanic" oder "Der Aufschwung kommt" werden wir bei Laune gehalten - während die Profiteure des Untergangs sich längst mit allem, was nicht niet- und nagelfest ist, aus dem Staub gemacht haben.

       

Einige Meldungen aus den letzten 48 Stunden

Kaufstreik: Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) klagt über schrumpfenden Absatz. Im Weihnachtsgeschäft ist der Umsatz gegenüber dem Vorjahr um ein Viertel eingebrochen, im Vergleich zu 1999 hat er sich sogar mehr als halbiert. Auf das gesamte letzte Jahr bezogen betrug der Rückgang 0,9 Prozent. Deswegen sind 50.000 Stellen abgebaut worden - mehr als je zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Weitere 30.000 Arbeitsplätze dürften dieses Jahr folgen, so HDE-Präsident Hermann Franz. Ein weiterer Verbandsfunktionär warnte vor einem "Vernichtungs- wettbewerb" - immer mehr kleine Geschäfte müßten aufgeben.

Produktionsrückgang: Die Industrie und das übrige produzierende Gewerbe verzeichneten im Januar einen Fertigungsrückgang gegenüber dem Vorjahresmonat um 2,0 Prozent. Auch Deutschlands (und Europas) größter Autobauer Volkswagen ist in der Krise. Im vergangenen Jahr wurde der Gewinn der Wolfsburger mit 1,1 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr mehr als halbiert. Der eingebrochene Dollar kostete den Konzern 1,6 Milliarden Euro.

Export-Suizid: Das Miniwachstum der deutschen Gesamtwirtschaft (2003 bei gerade 0,4 Prozent) wird nur noch vom Export getragen. Mit einer Warenausfuhr im Wert von 664 Milliarden Euro und einem Exportüberschuß von 135 Milliarden Euro war das letzte Jahr das beste in der Geschichte des deutschen Außenhandels - Deutschland ist mit diesen Zahlen weltweit die Nummer eins. Doch der Preis dafür ist hoch: Die Staaten, die deutsche Waren importieren, verschulden sich zunehmend. So lag das Handelsdefizit Estlands im letzten Jahr bei fast 15 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung, meldete Financial Times Deutschland am Dienstag - "fünfmal soviel wie in Argentinien, bevor dort 2001 die Finanzkrise begann". Ab 1. Mai aber gehört Estland zur Europäischen Union und erhält dann Ausgleichszahlungen der EU. Genauer gesagt: Der Steuerzahler muß den Esten recht und schlecht ersetzen, was deutsche Konzerne dort herausgeholt haben.

Managergier: Besonders aufschlußreich sind die Vorgänge bei der Deutschen Bank. Deren Chef Josef Ackermann hat im vergangenen Jahr fast 60 Prozent mehr verdient als 2002. Nach Angaben aus Frankfurter Bankenkreisen kletterten seine Bezüge für 2003 auf elf Millionen Euro. Im Zusammenhang mit umstrittenen Millionen- zahlungen an Vorstände des früheren Mannesmann-Konzerns steht Ackermann derzeit in Düsseldorf vor Gericht. Mit dem Elf-Millionen-Euro-Paket steigt der Deutsche-Bank-Chef zum Spitzenverdiener unter den deutschen Managern auf. Gleichzeitig führte das Finanzinstitut Fusionsgespräche mit der US- amerikanischen Citigroup, der weltgrößten Bank. Vor allem ranghohe Investmentbanker, die sich bei einem Zusammengehen der Institute üppige Abfindungszahlungen versprechen, seien an dem Deal interessiert, berichtete die Welt am Sonntag. Mit anderen Worten: Dieselbe hochbezahlte Managerclique, die sich wegen der Verscherbelung des Mannesmann-Konzernes derzeit verantworten muß, plant nun mit der Deutschen Bank dasselbe.

Damit spitzt sich der Widerspruch zwischen den klassischen Kapitalisten und den postmodernen Managern zu. Die großen deutschen Firmenimperien (Daimler, Henkel, ALDI-Albrecht, BMW-Quandt, Porsche, Springer) setzen auf die Ausbeutung der Arbeitskraft, was immerhin den Vorteil hat, daß sie an altmodischen Dingen wie Produktion und indirekt auch an Arbeitsplätzen ein gewisses Interesse haben. Aus diesen Kreisen kommt mit die schärfste Kritik am Verhalten von Ackermann. Dieser steht wie kein zweiter für die kurzfristige Abzocke, die Ausschlachtung von Firmen und ganzer Branchen. Das hat nichts mehr mit Mehrwertproduktion zu tun, sondern ist Raub.

In diesem Machtkampf haben die klassischen Kapitalisten schlechte Karten - und sie sind selber schuld: Je schlechter sie ihre Arbeiter bezahlen und je mehr sie entlassen, umso weniger können die sich die hergestellten Waren kaufen. Dann schlägt die Stunde der Aasgeier. Sie eignen sich mit kriminellen Mitteln die aufgehäuften Reichtümer an, die aufgrund der Rezession nicht mehr investiert werden. So beraubten die Ackermänner Mannesmann - und so beraubt die Bush-Regierung den Irak.

 

Jürgen Elsässer

 

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