19.08.2003

Interview

800 Millionen Mark
für einen Bürgerkrieg

Titos Geheimdienstchef Antun Duhacek erzählt, wie der BND Jugoslawien zerstört hat.

Vorbemerkung von Jürgen Elsässer:
Antun Duhacek arbeitete seit 1950 für den jugoslawischen Geheimdienst UDBA und war von 1955 bis 1968 dessen Direktor. Von 1969 bis 1974 war er Abgeordneter im kroatischen Republiksparlament und u.a. Sprecher für Volksgruppenfragen. Von 1991 bis 1994 fungierte er im kroatischen und bosnischen Bürgerkrieg als Militärberater der Serben. Der gebürtige Kroate darf Kroatien nicht mehr betreten - die Regierung in Zagreb hat einen Steckbrief auf ihn ausgestellt - und lebt deswegen seit 1998 in Jugoslawien.

J. E.: Anfang Februar haben die Parlamente in Belgrad und Podgorica auf Druck der EU beschlossen, die Bundesrepublik Jugoslawien formell aufzulösen und durch eine lose Föderation Serbien und Montenegro zu ersetzen - Spötter bezeichnen das Gebilde als Solanien. Mittlerweile hat Solanien auch den Cyberspace erreicht: Statt der Länderendung .yu werden Serben und Montenegriner künftig nur noch Adressen mit .cs bekommen (für Crna Gora/Montenegro und Serbien).

A. D.: Jetzt haben sie es endlich geschafft, Jugoslawien von der Landkarte zu tilgen, und am Schluss wird man es nicht einmal mehr im Internet finden.

Wen meinen Sie mit sie?

Deutschland versuchte es schon seit langem, spätestens Ende der achtziger Jahre ging es in die entscheidende Phase. Dabei wurde die Bonner Regierung von Österreich, Italien und dem Vatikan unterstützt. Der Bundesnachrichtendienst (BND) koordinierte die Unterstützung für die Teilrepubliken Kroatien und Slowenien, die sich von Jugoslawien trennen wollten.

Welche geheimdienstlichen Erkenntnisse haben Sie darüber?

Der BND übernahm Ende der 80er Jahre die direkte operative Führung des kroatischen Auslandsgeheimdienstes - der war de jure noch Teil des gesamtjugoslawischen Dienstes UDBA, de fakto schon seit den frühen siebziger Jahren praktisch ohne Belgrader Kontrolle. Bei einem persönlichen Treffen zwischen Bundesaußenminister Genscher und dem kroatischen Geheimdienstchef Josip Manolic im Februar 1990, im Vorfeld der Wahlen im - damals noch zu Jugoslawien gehörenden - Kroatien, hat Genscher 800 Millionen Mark versprochen. Manolic wollte das Geld gleich in bar mitnehmen, der spätere Präsident Franjo Tudjman und sein damaliger Mitstreiter (und heutige Präsident) Stipe Mesic warteten dringend darauf. Schließlich floss das Geld erst kurz nach den Wahlen im März 1990. Leute des BND übergaben die 800 Millionen Mark in Zagreb, Cash.

Das muss ein ziemlich schwerer Koffer gewesen sein.

Die Deutschen haben ja auch eine Gegenleistung dafür bekommen. Manolic hatte im Februar 1990 mit dem BND ein sehr weit reichendes Geheimabkommen geschlossen. Es umfasste im wesentlichen drei Punkte: 1) Zusammenarbeit des von ihm kontrollierten kroatischen Dienstes mit dem BND im Vorgehen gegen Jugoslawien und Serbien. 2) Der BND stellt seinen kroatischen Partnern alle Aufklärungsergebnisse zur Verfügung, die er und befreundete Nato-Dienste in und über Jugoslawien sammeln, zum Beispiel über die Situation in der Jugoslawischen Armee, ihre Truppenbewegungen und so weiter. Das sollte bei den bald beginnenden militärischen Auseinandersetzungen ein großer Vorteil für Zagreb werden. 3) Manolic unterstellt einen Teil seiner Informanten und informellen Mitarbeiter, zum Beispiel in Belgrad, direkt dem BND.

Erich Schmidt-Eenboom nimmt in 'Der Schattenkrieger', seinem Buch über die BND-Aktivitäten von Klaus Kinkel, an vielen Stellen auf Sie Bezug. Bei ihm heißt es aber, dass schon "unmittelbar vor dem Tode Titos" in Zagreb "alle Entscheidungen in strategischen Fragen nur noch in Absprache (...) mit BND-Instanzen und Ustascha- Repräsentanten getroffen werden". Das war zu Beginn der 80er Jahre.

Das waren enge Kontakte, aber sie mussten noch verdeckt abgewickelt werden. Die heiße Phase beginnt erst Ende der achtziger Jahre, als aus dem Apparat, den Manolic und sein Ziehvater Ivan Krajacic im Verborgenen aufgebaut haben, der offizielle Geheimdienst des neuen kroatischen Staates wird. Ab ungefähr Mai 1990 funktioniert dieser Geheimdienst wie ein Anhängsel des BND. Die deutsche Seite verlangte für ihre Leistungen eine totale Unterordnung des kroatischen Dienstes, und das hat sie bekommen. Zum Beispiel bestimmten die Deutschen, welche kroatischen Emigranten Pässe bekommen sollten.

Nach 1945 hatten ja viele faschistische Aktivisten der Ustascha-Bewegung das Land verlassen müssen und dann in der ganzen Welt verstreut gelebt. Der BND legte 1990 fest, welche dieser extremistischen Kader mit Pässen ausgestattet wurden, damit sie zurückkommen konnten. Diese zurückgekehrten Ustaschen haben sich dann in die Regierung des neuen kroatischen Staates eingekauft, 300.000 Mark kostete etwa der Posten eines Ministerialbeamten. Präsident Tudjman setzte voll auf diese Leute.

Tudjmans enge Verbindungen zum BND einerseits, zu alten Ustascha-Faschisten andererseits verdichten sich in der Person von Ernest Bauer. Der Jugoslawe "volksdeutscher" Herkunft war während des Zweiten Weltkrieges Oberst des Ustascha-Geheimdienstes UNS, wurde danach vom BND-Chef Reinhard Gehlen übernommen, reaktivierte für diesen sein Agentennetz in Zagreb und führt es bis Anfang der neunziger Jahre. Als Tudjman 1990 seine nationalistisch-kroatische Partei HDZ gründete, mit der er den Sezessionsstaat fast die gesamten neunziger Jahre regieren sollte, residiert er während der gesamten vier Tage des Gründungskongresses bei Bauer. Nachdem Tudjman Präsident geworden ist, macht er den hochbetagten Geheimdienst-Mann zu seinem Sonderbeauftragten im Bundespresseamt in Bonn.

Es gibt noch bessere Beispiele für die Macht des BND über seine kroatischen Partner. Zum Beispiel verlangte der BND 1993/94 eine Säuberung des kroatischen Dienstes. Alle Leute, die aus einer Partisanentradition stammen, mussten gehen. Dazu muss man wissen, dass das gesamte Tudjman-Projekt, der neue kroatische Staat und alle seine Institutionen, zunächst einen Kompromisscharakter trugen. Der kroatische Nationalismus und die Feindschaft gegen Jugoslawien war der gemeinsame Nenner; auf dieser Plattform trafen sich die Kräfte, die sich während des 2. Weltkrieges noch bekämpft hatten, nämlich Nationalkommunisten und Ustascha-Faschisten. Nun verlangte der BND, daß erstere hinausgesäubert werden. Deswegen wurde Josip Manolic in den Geheimdienststrukturen entmachtet, und Stipe Mesic verließ mit ihm und einigen anderen frustriert die Tudjman-Partei HDZ und gründete eine eigene.

Das hat der BND verlangt?

Tudjman hat es sogar zugegeben. 1994 schrieb er über seinen Bruch mit Manolic: "Als es zu einer solchen Situation mit Herrn Manolic kam, das muss ich dazu noch sagen - 1992, als wir formell anerkannt waren, aber noch keine wirklichen Freunde hatten -, kamen die Vertreter einer der Hauptmächte der Welt zu mir und sagten: Herr Präsident, Sie sind sich wahrscheinlich bewusst, dass Sie eine neue Verteidigungs- und Sicherheitsstruktur aufbauen müssen. Wir sind bereit, Ihnen dabei zu helfen, aber bitte ohne Joza Manolic. "

Aber was sollte der BND gegen Manolic haben? Er war doch der Mann gewesen, der den Deutschen 1990 den kroatischen Dienst ausgeliefert hatte.

Der BND misstraute den Leuten, die aus der Partisanen- tradition kamen, die hatten schließlich vier Jahre lang gegen die Deutschen gekämpft. Die erschienen ihm nicht sicher, jedenfalls nicht auf lange Sicht. Nehmen Sie etwa Manolic. Er ist Träger des Partisanenordens "Kämpfer des ersten Tages". Oder Mesic: Der hat zwar zugegeben, dass er 1991 Kontakte zum BND hatte - er war damals Vorsitzender des jugoslawischen Staatspräsidiums.

Der BND half ihm dabei, in diesem Amt möglichst destruktiv zu sein?

Sicher. Aber Mesic hatte im Zweiten Weltkrieg 16 Familienmitglieder verloren, von den Faschisten ermordet. Der war nicht zuverlässig, in den Augen der Deutschen.

Aber aus dem Zitat Tudjmans geht nicht klar hervor, wer die Ablösung von Manolic verlangt hat. Er sagt nur "Vertreter einer der Hauptmächte der Welt". Könnten das nicht auch die US-Amerikaner gewesen sein, die, nachdem sie zunächst gegen die Anerkennung der Sezessionsstaaten gewesen waren, zu Beginn der Clinton-Präsidentschaft den Kurs wechselten und selber Einfluss in Zagreb bekommen wollten? Macht es nicht eher Sinn, dass sie es waren, die die Ablösung des pro-deutschen Manolic verlangten?

Nein, die US-Amerikaner hatten keinerlei Einfluss. Die Deutschen waren absolut dominant. Und als 1995 US-Militärberater die kroatische Offensive zur Eroberung der Krajina (und der Vertreibung ihrer serbischen Bevölkerung) dirigierten taten sie das auf Wunsch der Deutschen. Kohl und Genscher wollten sich nicht die Finger schmutzig machen, ein deutscher Militäreinsatz wäre damals innenpolitisch nicht populär gewesen. Aber die Deutschen haben die Waffen geliefert, vor allem Restbestände aus den ehemals sozialistischen Ländern Polen, Tschechoslowakei und DDR.

Mittlerweile ist die Tudjman-Partei HDZ in Kroatien abgewählt, im Jahre 2000 wurde Mesic zum Präsidenten gewählt. Haben die Deutschen also ihren Einfluss verloren? Mesic müsste, nach allem was Sie geschildert haben, ziemlich sauer auf den BND sein.

Man hat sich arrangiert. Mesic kann nicht ohne die Deutschen, und die Deutschen können nicht ohne ihn, zur Zeit jedenfalls. Tudjman ist tot, seine rechte Hand Gojko Susak, der erste Verteidigungsminister, ist ebenfalls tot. Und dass Mesic sich jetzt bemüht, einige der 300.000 vertriebenen Serben nach Kroatien zurückzuholen, ist auch für Deutschland als Hauptwirtschaftspartner sinnvoll: Gebiete wie die Krajina und Slawonien sind seit der ethnischen Säuberung durch die kroatischen Nationalisten wie entvölkert, so liegt ein Drittel des Landes wirtschaftlich brach.

Mit Ihrem Wissen wären Sie ein wichtiger Zeuge im Haager Prozess gegen Milosevic.

Wenn ich geladen werde, werde ich gehen - obwohl ich schon Morddrohungen bekommen habe, es nicht zu tun.

Danke für das Gespräch.

 

Interview: Jürgen Elsässer
Nachveröffentl. aus: 'Telepolis', 14.08.2003

 

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