US-Geheimdienst hört ab
- Deutsche Wirtschaft horcht auf.
Das anglo-amerikanische Lauschsystem Echelon lässt bei deutschen Unternehmen große Bedenken aufkommen, wie sicher ihre Kommunikation ist.
Doch die Bundesregierung beschwichtigt und wiegelt ab.
Ist die schöne, neue Kommunikationswelt des weltweiten Surfens und Mailens ein einziger riesiger Big-Brother- Container? Mit ständiger
Überwachung aller ein- und ausgehenden Mails, Telefonate und Faxe rund um den Globus? Und dem US-Geheimdienst statt RTL2 in der Schaltzentrale?
Diese Fragen drängen sich der Nutzergemeinde bei dem in der öffentlichen Diskussion auffallend wenig beachteten Lauschsystem "Echelon" auf, das
von der amerikanischen National Security Agency (NSA) zusammen mit befreundeten westlichen Geheimdiensten aus englischsprachigen Ländern betrieben wird.
In letzter Zeit bröckelt die Front derer, die bislang Skepsis anmeldeten, ob ein solch flächendeckendes Abhörsystem tatsächlich existiert.
Die holländische Regierung informierte ihre Abgeordneten kurz vor einer Parlaments-Sitzung zu Echelon, dass es das Lauschnetz gibt. Auch Gerhard Schmid
(SPD), ein führendes Mitglied im Echelon-Ausschuss des Europaparlaments, sagte kürzlich bei einer Experten- befragung durch das Straßburger Gremium,
dass er inzwischen die Existenz des Lauschsystems nicht mehr bezweifele. Strittig bleibt unter den Insidern dessen Ausmaß. Während manche Experten
von einer systematischen Überwachung eines Großteils der Telefonate und E-Mails weltweit ausgehen, sind andere skeptisch, ob ein solch dichtmaschiges
Abhörnetz technisch möglich ist. Auch welche Ziele wirklich damit verfolgt werden, bleibt im Halbdunkel.
Besonders pikant ist die Angelegenheit für deutsche Unternehmen, die oft als Konkurrenten amerikanischer Firmen bei Aufträgen im Ausland auftreten.
Entsprechend groß ist die Besorgnis: "Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Großindustrie überwacht wird", erklärt Michael Zeyen,
Internet-Sicherheitsspezialist von Utimaco Safeware. Harald Summa, Geschäftsführer des Provider-Verbandes eco
(Electronic Commerce Forum), sekundiert: "Wir sehen Echelon sehr kritisch."
Zwar fehlt nach Aussage von Stephan Lechner, Leiter der Unternehmenssicherheit des Mobilfunkers Viag Interkom, "eine nachweisbare
Statistik, wie viele Aufträge wegen Echelon an US-Firmen verloren gingen", aber "man darf annehmen, dass bei der systematischen Erfassung
erlangte Kenntnisse an amerikanische Unternehmen weitergegeben werden", so Werner Metterhausen, Spezialist für Netzwerk-Sicherheit bei der
Beratungsfirma von und zur Mühlen in Bonn. Wie umfassend die Überwachung der Kommunikationswege via Abhörstationen und
Satelliten mit Schlüsselwort-Suchmaschinen und Spracherkennungs- Software durch NSA & Co. wirklich ist, darüber können auch die
Experten nur spekulieren, denn der Geheimdienst lässt sich - nomen est omen - kaum in die Karten schauen. Einig sind sich die Spezialisten in dem
Rat, wichtige Mails gut zu verschlüsseln, zum Beispiel durch das Kryptographie- Programm
'Pretty Good Privacy'. "Eine Verschlüsselung mit über 256 Bit ist auch für die NSA schwierig zu knacken", sagt Günther Welsch,
Referent für IT-Sicherheit des Branchen- verbandes Bitkom.
Der vom Europäischen Parlament in Auftrag gegebenen "STOA-Studie" zufolge (STOA steht für die
Abteilung für Technikfolgenabschätzung des EU-Parlaments)
unterhält die NSA aufgrund eines Abkommens aus dem Jahre 1948 (Ukusa-Vertrag) gemeinsam mit Partnerdiensten aus Großbritannien, Kanada,
Australien und Neuseeland das weltumspannende Abhörsystem Echelon. Während es zu Zeiten des Kalten Kriegs ausschließlich der
Kontrolle militärischer Aktivitäten des Ostblocks gedient habe, werde es heute gezielt auch zur Überwachung der multimedialen
Kommunikation westeuropäischer Unternehmen eingesetzt, heißt es darin. Bei einer Anhörung des für die Geheimdienste
zuständigen Kongressausschusses räumte der Chef der über 100.000 Mitarbeiter starken NSA, Michael Hayden, ein, dass die
Organisation ihr weltweites Netz von Lauschposten auch zum Sammeln wirtschaftlicher Informationen einsetze. Allerdings geschehe das nur zur
Bekämpfung von Geldwäsche, Bestechung und Waffenhandel. Es gehe nicht um das Ausspionieren von Wirtschaftsgeheimnissen.
Feststeht, dass die USA ihre nationalen Interessen zunehmend wirtschaftlich definieren, nachdem die sicherheitspolitische Bedrohung durch die
frühere Sowjetunion der Vergangenheit angehört. Was in sich schlüssig ist, schließlich sichert technologische Überlegenheit die
militärische Stärke. Der ehemalige CIA-Direktor James Woolsey kommentierte die Kritik an Echelon lakonisch, der Vorwurf der Industriespionage
sei schon allein deswegen absurd, weil die europäische Wirtschaft mit der amerikanischen in Sachen Spitzen- technologie nicht mithalten könne
und daher auf Bestechung zurückgreifen müsse. Doch nach amerikanischen Presseberichten sollen NSA-Abhörexperten zum Beispiel 1995
Wirtschaftsspionage betrieben haben, als sie bei einem amerikanisch-japanischen Handelsstreit die japanische Verhandlungsdelegation ausspähten und
deren Strategieüberlegungen der eigenen Seite zur Verfügung stellten.
Solcherlei Aktivitäten rufen in der deutschen Wirtschaft natürlich Besorgnis hervor. Sabine Köster-Hartung, Rechtsreferentin des
Deutschen Multimedia-Verbands, befürchtet, "dass die Engländer möglicherweise
die durch Enfopol gewonnenen Erkenntnisse an ihre Echelon- Partnerstaaten weitergeben. Das wäre eine Horrorvision." Unter dem Kürzel
"Enfopol" (Enforcement Police) plant eine Arbeitsgruppe der EU die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Abhören von
Telekommunikation. Im europäischen Rechtshilfeabkommen wurden dafür die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen.
Unternehmen der Großindustrie äußern ihre Befürchtungen gegenüber Echelon lieber hinter vorgehaltener Hand.
Doch die Bundesregierung wiegelt die Bedenken von Firmen und Datenschützern ab. Das
Innenministerium verweist lapidar auf seine Stellungnahme zur Anfrage des Bundestagsabgeordneten
Hans-Joachim Otto, Vorsitzender der FDP-Internet-Arbeitsgruppe, vom 14. April 2000. Darin
heißt es: "Über den gegenwärtigen Stand der Zusammenarbeit mehrerer englischsprachiger Länder bei der elektronischen
Fernmeldeaufklärung unter der Bezeichnung Echelon hat die Bundesregierung keine genauen Erkenntnisse." Und weiter: "Der Bundesregierung
liegen keine Erkenntnisse über eine Gefährdung der Privatsphäre der Bürger sowie der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Wirtschaft durch Echelon vor." Trotz der mageren Erkenntnislage kommt das Innenministerium zu dem Schluss: "Im Ergebnis ist auf jeden Fall festzuhalten,
dass nach Einschätzung von sach- verständiger Seite die - in diversen zirkulierenden Studien zu diesem Thema beschriebenen - technischen
Möglichkeiten und Kapazitäten in großen Teilen weit überzogen dargestellt werden." Was den Betrieb der Abhörstation im
ober- bayerischen Bad Aibling durch die NSA betrifft, so "erfolgt die Arbeit der Station auf der Grundlage des NATO-Truppen- statuts. Darin ist
berücksichtigt, dass ein missbräuchliches Vorgehen gegen die Bundesrepublik Deutschland nicht stattfindet. Ein solcher
Einsatz wäre daher unzulässig." Kleiner Schönheitsfehler dabei: Das Truppenstatut gilt nur für Soldaten. Sie
bildeten aber nur einen Bruchteil des in Bad Aibling tätigen Personals, erklärte Duncan Campbell, Autor der STOA-Studie des
EU-Parlaments über Echelon, vor dem Europa-Ausschuss des Bundestags, der sich am 5. Juli 2000 mit den Gefahren des Lauschsystems
befasste. Campbell hat sich in einer Reihe von Zeitungs-, Zeitschriften- und Rundfunkbeiträgen eingehend mit Echelon beschäftigt.
Doch das Vertrauen der Bundesregierung in den transatlantischen Verbündeten ist offenbar unerschütterlich: "Von amerikanischer
Seite ist mehrfach versichert worden, dass von Bad Aibling keine gegen die Interessen der Bundesrepublik gerichteten Aktivitäten ausgehen.
Die Bundesregierung hat keinen Anlass, an diesen Ver- sicherungen zu zweifeln."
Kritischer sehen das die europäischen Parlamente. Neben den Straßburger EU-Abgeordneten geht auch der
Bundestag den Missbrauchsmöglichkeiten des Lauschsystems in einem
Ausschuss nach. Die Regierung der Niederlande bestätigte kurz vor einer Sitzung der Volksvertreter die Existenz des Abhörnetzes.
Die belgische Regierung hat offiziell dagegen protestiert. Und in Frankreich, traditionell ein kritischer Bündnispartner der Amerikaner,
gibt es eine öffentliche Diskussion über Echelon, in der auch die Regierung ihre Bedenken frei äußert. Der
FDP-Bundesparteitag in Bremen hat bereits im Mai 1999 die Bundesregierung aufgefordert, die Einstellung von Echelon zu fordern.
Noch weiter ging die grüne EU-Parlamentarierin Ilka Schröder: Sie erstattete beim Generalbundesanwalt Strafanzeige gegen unbekannte
Tatverdächtige aus den USA und Großbritannien sowie gegebenenfalls der Bundesregierung. Begründung: Gegen verschiedene
gesetzliche Vorschriften, darunter die durch §201 Strafgesetzbuch geschützte "Vertraulichkeit des Wortes", sei verstoßen worden.
Die Regierung sei ihrer Schutzpflicht gegenüber ihren Staatsbürgern und Unternehmen nicht nachgekommen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Ulrich Hottelet