Prozesse in Den Haag gegen die NATO und gegen einen serbischen General
Was haben Gerhard Schröder, William ("Bill") Clinton und
Anthony ("Tony") Blair gemeinsam? In Abwesenheit wurden sie und andere
führende Politiker und Militärs zu 20 Jahren Haft wegen
Kriegs- verbrechen verurteilt, die sie durch die und während der
Aggression gegen Jugoslawien im Frühjahr 1999 verübt
hatten. Gesprochen hat das Urteil ein Belgrader Gericht am 19.
April 2001 - also zu einer Zeit, als der ehemalige Präsident
Slobodan Milosevic bereits in Haft war. Das Urteil ist bis heute
in Kraft*.
Exakt drei Jahre später wird seit dem gestrigen Montag wegen
derselben Sache vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in
Den Haag verhandelt. Die Regierung Serbien-Montenegros,
des Nachfolgestaates von Jugoslawien, klagt gegen
Deutschland und sieben weitere NATO-Staaten wegen der
Verletzung des Völkerrechts. Eigentlich ist die Sache eindeutig:
Mit dem 78-tägigen Krieg gegen Jugoslawien zwischen 24. März
und 9. Juni 1999 verstieß der Nordatlantikpakt gegen die
Charta der Vereinten Nationen, wo es in Artikel 2 Absatz 4
eindeutig heißt: "Alle Mitglieder unterlassen in ihren
internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale
Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines
Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten
Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von
Gewalt." Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur
vorgesehen, falls der UN-Sicherheitsrat ein militärisches
Eingreifen legitimiert. Das war aber 1999 ebensowenig der Fall
wie 2003 beim Überfall auf den Irak.
Neben der Durchführung eines Angriffskrieges steht auch der
Punkt Völkermord in der Anklageschrift. Dies mag man für
überzogene balkanische Rhetorik halten, denn trotz aller
Grausamkeiten der Kriegführung wird man der NATO nicht den
Vorwurf machen können, sie habe die Auslöschung aller
Jugoslawen oder Serben beabsichtigt. Bevor man deswegen
aber der Rechtsposition der französischen Regierung folgt und
von einer "Beleidigung des Gerichtshofes" durch die Kläger
spricht, sollte man sich vergegenwärtigen, daß die NATO selbst
die Völkermord-Demagogie in Politik und Justiz hoffähig
gemacht hat.
Ein Beispiel dafür ist das Urteil, das der Internationale
Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) gegen
den bosnisch-serbischen Armeegeneral Radislav Krstic auch am
gestrigen Montag gefällt hat. Das ebenfalls in Den Haag
angesiedelte Gericht, das in einem anderen Verfahren gegen
Milosevic verhandelt, bestätigte im wesentlichen den
Schuldspruch aus der ersten Instanz. Im August 2001 hatte
das Tribunal Krstic wegen des "Völkermordes" verurteilt, den
er als serbischer Oberbefehlshaber bei der Eroberung der
moslemischen Enklave Srebrenica im Juli 1995 zu verantworten
habe. Die Revisionsinstanz sah bei Krstic nun keine
"Mittäterschaft" mehr, sondern "Beihilfe" zum Völkermord und
senkte das Strafmaß von 46 auf 35 Jahre. Auch so wird der
Ex-General bis zu seinem Tode im Haager Gefängnis bleiben
müssen.
In Srebrenica waren nach gängiger westlicher Lesart
mindestens 7000 Muslime ermordet worden. Krstic und seine
Anwälte hatten eingeräumt, daß diese Tötungen schrecklich
gewesen seien, jedoch darauf hingewiesen, daß es sich dabei
nur um einen "winzigen Teil" der muslimischen Bevölkerung
gehandelt habe und man deswegen nicht von Völkermord
sprechen könne. Darüber hinaus ist die Zahl 7000 alles andere
als belegt: Nach über acht Jahren Ausgrabungsarbeiten
wurden exakt 2541 Leichen gefunden - so Dean Manning, der
Srebrenica- Spezialist des Haager Tribunals, bei seiner Aussage
am 16. Januar 2004. Der Haager Chefermittler Jean-René Ruez
geht gleichzeitig davon aus, daß alle 2638 Toten der
moslemischen Srebrenica-Armee "im Kampf umgekommen"
sind (Interview im Buch von Julija Bogoeva / Caroline Fetscher
"Srebrenica - ein Prozeß").
Selbstverständlich kann man daraus nicht schließen, daß es
nur Gefechtstote und keine Massakeropfer in Srebrenica
gegeben hat - bei seriöser Berechnung letzterer wird man auf
weit über eintausend kommen. Nur: Damit hätten serbische
Militärs oder Paramilitärs 1995 keinesfalls mehr Unschuldige
ermordet als die NATO 1999. Nach einer Aufstellung der
jugoslawischen Regierung vom Februar 2000 gehen 2000
Zivilisten auf das Konto der "humanitären" Krieger, davon ein
Drittel Kinder. Warum soll das eine Völkermord sein - und das
andere nicht?
Jürgen Elsässer
Anmerkung:
* Info war falsch - Leider mittlerweile aufgehoben. (J. E.)