Das Motto der Rosa-Luxemburg-Konferenz klingt radikal,
ist aber falsch
Die Revolution verteidigen, das ist etwas fürs Herz. Man
erinnert sich an Durruti und Hans Beimler vor den Toren von
Madrid, an Ché und Fidel in der Schweinebucht, an Salvador
Allende mit der MP in der Moneda. Das waren noch Zeiten.
Sicherlich werden wieder etliche hundert dem Aufruf der
'jungen Welt' zur Konferenz am nächsten Wochenende folgen.
Anläßlich dieser Tagung darf man den Ausspruch Rosa
Luxemburgs nicht vergessen: »Die Revolution ist großartig,
alles andere ist Quark«.
Wer nicht ganz so radikal ist wie unsereins, hat ein paar
andere Assoziationen. Zur Verteidigung der Revolution -
haben da die Bolschewiki nicht die Rätedemokratie
abgeschafft? Hieß das nicht auch: Wer nicht für uns ist, ist
gegen uns? Ausmerzung von Dissidenten? Schauprozesse,
Tscheka, Stasi? Auf die Ahnengalerie unserer makellosen
Helden werfen sie die Schattenbilder von Dzierzynski, Stalin,
Pol Pot, manche nennen auch Mielke. Auch sie haben ein
schönes Luxemburg-Zitat parat: »Freiheit ist immer die Freiheit
der Andersdenkenden.«
Zugegeben, die Bedenkenträger sind Sozialdemokraten,
Liberale oder - jessas - Bürgerrechtler. Mögen sie im Detail
auch oft Recht haben, im Großen und Ganzen liegen sie
daneben. Über die Verbrechen in der Sowjetunion muß man
nicht lange streiten - dennoch bleibt es eine historische
Tatsache, daß nur sie den weltweiten Sieg des Faschismus
verhindern konnte. Deshalb haben die vernünftigen
Trotzkisten - trotz all ihrer Opfer unter Stalin - immer zur
Verteidigung der UdSSR aufgerufen, und auch ein Anarchist
wie Victor Serge und ein dadaistischer Freigeist wie Ilja
Ehrenburg fanden in der Stunde der Bedrohung an die Seite
des Zentralkomitees zurück. Deshalb, so könnte man
fortfahren, ist ja gerade richtig, daß das junge Welt-Motto nicht
auf die Warmduscher Rücksicht nimmt: Jetzt, wo neben Kuba
auch Venezuela in Gefahr ist, müssen die echten Revolutionäre
Flagge zeigen, egal, ob das die rote oder die schwarze oder
die mit dem Regenbogen ist.
Bei Kuba ist der Fall auch sonnenklar, Argumente kann man
sich in dieser Zeitung schenken. Aber schon bei Venezuela
gehen die Probleme los. Die Revolution verteidigen? Da hat
doch gar keine stattgefunden! Präsident Chávez kam über
Wahlen zur Macht, und er hat keineswegs den Sozialismus
eingeführt. Was er erreicht hat, war nicht die Enteignung des
Privatkapitals, sondern ein großzügiges Sozialprogramm für die
unteren Klassen und die Behauptung der staatlichen Kontrolle
über einige Schlüsselindustrien, vor allem über die
Ölförderung. Um nicht falsch verstanden zu werden: Das
spricht nicht dagegen, diese Errungenschaften und damit auch
die Regierung Chávez zu verteidigen. Ganz im Gegenteil ist es
vordringlich, die westeuropäische Linke, die immer noch
nostalgisch auf Chile oder romantisch auf die Zapatistas
orientiert ist, auf diese aktuelle Aufgabe zu stoßen, und genau
das ist das besondere Verdienst der Konferenz am nächsten
Sonnabend. Allerdings geht es dabei nicht um die Verteidigung
der Revolution, sondern ...
Jetzt kommt der Besserwisser wieder mit Begriffsklaubereien,
werden manche sagen. Nennen wir es eben nicht Revolution,
ist doch egal, Hauptsache, die Solidarität kommt in Schwung,
werden sie fortfahren. Deswegen muß man an dieser Stelle
etwas kategorischer werden: Die Anrufung der Revolution ist
keine terminologische Unschärfe, sondern ein eminent
politisches Problem: Sie verhindert den Aufbau einer
internationalen Bewegung gegen den Krieg. Mit »Revolution«
ist nämlich Sozialismus und Kommunismus gemeint, aber der
Hauptstoß der von den USA betriebenen Neuordnung der Welt
richtet sich gerade NICHT gegen sozialistisch-kommunistische
Staaten - die wurden nämlich schon 1989/90 liquidiert. Und
die Fixierung auf die rrrevolutionären Fetische hat dazu
geführt, daß in den aktuellen Auseinandersetzungen gerade
kommunistische Kräfte immer wieder Position bezogen haben,
die den Aggressoren in die Hände spielte. So haben sich viele
radikale Linke - zu Unrecht - gegen eine Solidarität mit
Jugoslawien gesträubt, eine Äquidistanz zwischen der NATO
und Milosevic eingenommen, weil sie in letzterem - zu Recht -
keinen Sozialisten erkennen konnten. Die KP Irak sitzt heute -
eine Schande - in der Bagdader Marionettenregierung,
nachdem sie - ein Ruhmesblatt - jahrzehntelang gegen das
Baath-Regime gekämpft und dabei viele tausend Tote zu
beklagen hatte. Die KP Rußland hält - ein Verdienst - das Erbe
von Marx und Lenin hoch, macht aber - eine Eselei -
ausgerechnet in dem Augenblick Front gegen Putin, als dieser
endlich gegen die räuberischen Oligarchen vorzugehen
beginnt. Gegen Milosevic, gegen Saddam, gegen Putin - immer
im Namen der Verteidigung der revolutionären Ideale. Und
immer ganz im Sinne des westlichen Kapitals. Man kann sich
unschwer vorstellen, wie sich das fortsetzt: Wir verteidigen
doch nicht den Iran - die Mullahs haben doch die Linken
niedergemetzelt! Was interessiert uns Nordkorea - das ist
doch nur eine nominalsozialistische Despotie! Warum sollen
die USA nicht gegen China vorgehen - Kapitalismus herrscht
doch dort schon lange! So fällt ein Dominostein nach dem
nächsten - und die Linke im Westen weint weiter an den
Gräbern des letzten Jahrhunderts.
Ein Beispiel aus besseren Tagen: Als Nazi-Deutschland zur
Annexion Österreichs schritt, rief die bereits illegale KP in der
Alpenrepublik ihre Mitglieder zur Verteidigung des
Dollfuß-Regimes auf - also zur Verteidigung des
Austrofaschismus. War das Verrat an der Revolution? War es
gar eine Querfrontstrategie, wie es im heutigen
Antifa-Neusprech heißt? Oder vielmehr die Erkenntnis, daß die
Bekämpfung des großen Räubers manchmal wichtiger ist als
die des kleinen? (Übrigens wurde man 1945 mit dem Sieg über
den großen vielerorts die kleinen gleich mit los.) Nun soll die
Nazi-Weltherrschaft nicht mit dem Imperium verglichen
werden, das die USA und ihre Alliierten gerade errichten. Aber
daß, auch ohne Holocaust, dieses Weltreich auf den Gebeinen
Zehntausender Toten errichtet wird, daß in Zukunft selbst ein
atomarer Zusammenstoß nicht ausgeschlossen ist - wer wollte
das bestreiten?
In dieser Situation gilt die Devise, die die Sowjetunion ab Mitte
der 30er Jahre verfolgte: Nicht Verteidigung der Revolution,
sondern Verteidigung des Völkerrechts, insbesondere
Verteidigung der Souveränität der Staaten. Das klingt nicht so
romantisch, ermöglicht aber das Zusammengehen mit
sozialdemokratischen und bürgerlichen Kräften und ist
deswegen effektiver - auch für Kuba und Venezuela.
Jürgen Elsässer
(Nachveröffentl. aus 'junge welt' v. 5.01.03)
Internet-Adresse von Jürgen Elsässer:
www.juergen-elsaesser.de
Anmerkung:
Der Autor war selbst an der Auswahl des Konferenzmottos
beteiligt und versteht den Beitrag deswegen auch als Selbstkritik.