5.01.2004

Diskussionsbeitrag

Revolution verteidigen?

Das Motto der Rosa-Luxemburg-Konferenz klingt radikal,
ist aber falsch

Die Revolution verteidigen, das ist etwas fürs Herz. Man erinnert sich an Durruti und Hans Beimler vor den Toren von Madrid, an Ché und Fidel in der Schweinebucht, an Salvador Allende mit der MP in der Moneda. Das waren noch Zeiten. Sicherlich werden wieder etliche hundert dem Aufruf der 'jungen Welt' zur Konferenz am nächsten Wochenende folgen. Anläßlich dieser Tagung darf man den Ausspruch Rosa Luxemburgs nicht vergessen: »Die Revolution ist großartig, alles andere ist Quark«.

Wer nicht ganz so radikal ist wie unsereins, hat ein paar andere Assoziationen. Zur Verteidigung der Revolution - haben da die Bolschewiki nicht die Rätedemokratie abgeschafft? Hieß das nicht auch: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns? Ausmerzung von Dissidenten? Schauprozesse, Tscheka, Stasi? Auf die Ahnengalerie unserer makellosen Helden werfen sie die Schattenbilder von Dzierzynski, Stalin, Pol Pot, manche nennen auch Mielke. Auch sie haben ein schönes Luxemburg-Zitat parat: »Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.«

Zugegeben, die Bedenkenträger sind Sozialdemokraten, Liberale oder - jessas - Bürgerrechtler. Mögen sie im Detail auch oft Recht haben, im Großen und Ganzen liegen sie daneben. Über die Verbrechen in der Sowjetunion muß man nicht lange streiten - dennoch bleibt es eine historische Tatsache, daß nur sie den weltweiten Sieg des Faschismus verhindern konnte. Deshalb haben die vernünftigen Trotzkisten - trotz all ihrer Opfer unter Stalin - immer zur Verteidigung der UdSSR aufgerufen, und auch ein Anarchist wie Victor Serge und ein dadaistischer Freigeist wie Ilja Ehrenburg fanden in der Stunde der Bedrohung an die Seite des Zentralkomitees zurück. Deshalb, so könnte man fortfahren, ist ja gerade richtig, daß das junge Welt-Motto nicht auf die Warmduscher Rücksicht nimmt: Jetzt, wo neben Kuba auch Venezuela in Gefahr ist, müssen die echten Revolutionäre Flagge zeigen, egal, ob das die rote oder die schwarze oder die mit dem Regenbogen ist.

Bei Kuba ist der Fall auch sonnenklar, Argumente kann man sich in dieser Zeitung schenken. Aber schon bei Venezuela gehen die Probleme los. Die Revolution verteidigen? Da hat doch gar keine stattgefunden! Präsident Chávez kam über Wahlen zur Macht, und er hat keineswegs den Sozialismus eingeführt. Was er erreicht hat, war nicht die Enteignung des Privatkapitals, sondern ein großzügiges Sozialprogramm für die unteren Klassen und die Behauptung der staatlichen Kontrolle über einige Schlüsselindustrien, vor allem über die Ölförderung. Um nicht falsch verstanden zu werden: Das spricht nicht dagegen, diese Errungenschaften und damit auch die Regierung Chávez zu verteidigen. Ganz im Gegenteil ist es vordringlich, die westeuropäische Linke, die immer noch nostalgisch auf Chile oder romantisch auf die Zapatistas orientiert ist, auf diese aktuelle Aufgabe zu stoßen, und genau das ist das besondere Verdienst der Konferenz am nächsten Sonnabend. Allerdings geht es dabei nicht um die Verteidigung der Revolution, sondern ...

Jetzt kommt der Besserwisser wieder mit Begriffsklaubereien, werden manche sagen. Nennen wir es eben nicht Revolution, ist doch egal, Hauptsache, die Solidarität kommt in Schwung, werden sie fortfahren. Deswegen muß man an dieser Stelle etwas kategorischer werden: Die Anrufung der Revolution ist keine terminologische Unschärfe, sondern ein eminent politisches Problem: Sie verhindert den Aufbau einer internationalen Bewegung gegen den Krieg. Mit »Revolution« ist nämlich Sozialismus und Kommunismus gemeint, aber der Hauptstoß der von den USA betriebenen Neuordnung der Welt richtet sich gerade NICHT gegen sozialistisch-kommunistische Staaten - die wurden nämlich schon 1989/90 liquidiert. Und die Fixierung auf die rrrevolutionären Fetische hat dazu geführt, daß in den aktuellen Auseinandersetzungen gerade kommunistische Kräfte immer wieder Position bezogen haben, die den Aggressoren in die Hände spielte. So haben sich viele radikale Linke - zu Unrecht - gegen eine Solidarität mit Jugoslawien gesträubt, eine Äquidistanz zwischen der NATO und Milosevic eingenommen, weil sie in letzterem - zu Recht - keinen Sozialisten erkennen konnten. Die KP Irak sitzt heute - eine Schande - in der Bagdader Marionettenregierung, nachdem sie - ein Ruhmesblatt - jahrzehntelang gegen das Baath-Regime gekämpft und dabei viele tausend Tote zu beklagen hatte. Die KP Rußland hält - ein Verdienst - das Erbe von Marx und Lenin hoch, macht aber - eine Eselei - ausgerechnet in dem Augenblick Front gegen Putin, als dieser endlich gegen die räuberischen Oligarchen vorzugehen beginnt. Gegen Milosevic, gegen Saddam, gegen Putin - immer im Namen der Verteidigung der revolutionären Ideale. Und immer ganz im Sinne des westlichen Kapitals. Man kann sich unschwer vorstellen, wie sich das fortsetzt: Wir verteidigen doch nicht den Iran - die Mullahs haben doch die Linken niedergemetzelt! Was interessiert uns Nordkorea - das ist doch nur eine nominalsozialistische Despotie! Warum sollen die USA nicht gegen China vorgehen - Kapitalismus herrscht doch dort schon lange! So fällt ein Dominostein nach dem nächsten - und die Linke im Westen weint weiter an den Gräbern des letzten Jahrhunderts.

Ein Beispiel aus besseren Tagen: Als Nazi-Deutschland zur Annexion Österreichs schritt, rief die bereits illegale KP in der Alpenrepublik ihre Mitglieder zur Verteidigung des Dollfuß-Regimes auf - also zur Verteidigung des Austrofaschismus. War das Verrat an der Revolution? War es gar eine Querfrontstrategie, wie es im heutigen Antifa-Neusprech heißt? Oder vielmehr die Erkenntnis, daß die Bekämpfung des großen Räubers manchmal wichtiger ist als die des kleinen? (Übrigens wurde man 1945 mit dem Sieg über den großen vielerorts die kleinen gleich mit los.) Nun soll die Nazi-Weltherrschaft nicht mit dem Imperium verglichen werden, das die USA und ihre Alliierten gerade errichten. Aber daß, auch ohne Holocaust, dieses Weltreich auf den Gebeinen Zehntausender Toten errichtet wird, daß in Zukunft selbst ein atomarer Zusammenstoß nicht ausgeschlossen ist - wer wollte das bestreiten?

In dieser Situation gilt die Devise, die die Sowjetunion ab Mitte der 30er Jahre verfolgte: Nicht Verteidigung der Revolution, sondern Verteidigung des Völkerrechts, insbesondere Verteidigung der Souveränität der Staaten. Das klingt nicht so romantisch, ermöglicht aber das Zusammengehen mit sozialdemokratischen und bürgerlichen Kräften und ist deswegen effektiver - auch für Kuba und Venezuela.

 

Jürgen Elsässer
  (Nachveröffentl. aus 'junge welt' v. 5.01.03)
  Internet-Adresse von Jürgen Elsässer:
   www.juergen-elsaesser.de

 

Anmerkung:
Der Autor war selbst an der Auswahl des Konferenzmottos beteiligt und versteht den Beitrag deswegen auch als Selbstkritik.

 

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