28.02.2001

Endlager-Wahnsinn

Gefahr im Verzug

Tonnenschwere Salzbrocken, die möglicherweise von der Decke auf Atommüllfässer stürzen, haben im Endlager Morsleben (Sachsen-Anhalt) an der niedersächsischen Landesgrenze Alarmstimmung ausgelöst. "Gefahr im Verzug", urteilte der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König.

Er ordnete an, die Einlagerungskammern sofort mit Salz zu verfüllen. Nicht nur in Morsleben kämpfen die Experten um die Standsicherheit der unterirdischen Hohlräume im Salz. Auch das ehemalige Versuchsendlager Asse bei Wolfenbüttel ist baufällig. Kopfzerbrechen bereitet der Betreibergesellschaft, dem GSF Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, aber vor allem die nicht unerhebliche Menge an Lauge, die an einer Stelle in die Grube sickert. Schon 1991 entdeckten Bergleute, dass Salzlauge eindringt. Die Menge - derzeit elf Kubimeter pro Tag - habe stetig zugenommen, bleibe aber seit einiger Zeit konstant, betont Joachim Bluth, zuständiger Bergdirektor im Umweltministerium in Hannover. Die Stabilisierung der ehemaligen Abbaukammern habe aus diesem Grund vorgezogen werden müssen, berichtet sein Kollege Horst Besenecker. Bereits im August 1995 habe man mit der Verfüllung begonnen, ein Konzept für die endgültige, langfristig sichere Schließung der ehemaligen Salzgrube gebe es aber noch nicht. Brisant ist, dass in dem Versuchsendlager mehr Atommüll untergebracht ist als in dem Endlager der ehemaligen DDR in Morsleben.

In dem ehemaligen Kali- und Steinsalzgrube wurden zwischen 1967 und 1978 rund 125.000 Fässer mit schwach- und 1.300 Behälter mit mittelradioaktiven Abfällen eingelagert. Die Wissenschaftler wollten herausfinden, ob Salz als Endlagergestein geeignet ist. Unter dem Deckmantel des Versuchsprojektes nutzte man das Bergwerk im Höhenzug Asse aber auch für die Entsorgung von Atommüll aus den Sammelstellen der Länder und dem Kernforschungszentrum Karlsruhe. Es gab sogar den Plan, das Bergwerk als Bundesendlager zu genehmigen. Die Bergbehörden hätten jedoch Bedenken, Fachleute wie der Göttinger Geologe Prof. Günter Herrmann warnten schon damals vor Problemen mit Laugenzuflüssen. Die verantwortlichen Behörden wiegelten indes ab. Ein Absaufen der Schachtanlage sei nahezu ausgeschlossen, befand damals das Bundesforschungs- ministerium.

"Aus heutiger Sicht würde man in der Asse keinen Atommüll mehr lagern", sagt Besenecker. Das Bergwerk Asse gleicht einem riesigen Hochhaus, das langsam zusammenfällt. Durch den Gebirgsdruck verformen sich die Decken der Hohlräume, es entstehen Risse und Klüfte. Wasser aus dem umgebenden Gestein sickert in das Salz ein. Die Stelle, an der Salzlauge austritt, ist bekannt. Woher sie kommt, ist dagegen unklar. "Weil dort große Salzbrocken aus der Decke brechen könnten, wäre eine Untersuchung lebensgefährlich", sagt Bluth. Untersuchungsbohrungen an dieser Stelle seien zu gefährlich, weil man dabei möglicherweise einen ganzen Hohlraum mit Lauge ansticht.
"Langfristig kann die Lauge zu einem Sicherheitsproblem werden", warnt Bluth. Dringt die Salzlauge bis an die Atommüllfässer heran, beginnen diese zu rosten. Radioaktive Teilchen würden frei und könnten bis ins Grundwasser gelangen. Komme die Lauge mit Metallen in Kontakt, entwickelten sich außerdem Gase, die zu einem Druckaufbau und dadurch zu neuen Rissen und Wegen im Gestein führen könnten.

Um die Grube zu sichern, wird der am stärksten vom Einsturz bedrohte Teil seit Abschluss der Endlagerversuche mit Salz verfüllt. Ein Güterzug beladen mit 1.200 Tonnen Salz fährt täglich von der Kalihalde Ronnenberg zu der historischen Schachtanlage. Über Rohrleitungen wird das Salz in die Hohlräume geblasen. Die Kammern, in denen radioaktiver Abfall lagert, sind bereits verfüllt. Um sicher zu gehen, dass keine Lauge an die Fässer vordringt, werde eine zusätzliche Abdichtung zum Beispiel mit Tonmineralien erwogen, sagt Endlagerfachmann Besenecker. Ende 2003, drei Jahre früher als geplant, sei die Verfüllung der Südflanke abgeschlossen.

Danach fangen die Schwierigkeiten aber erst richtig an. Wie auch in Morsleben zerbrechen sich Fachleute der Betreiber den Kopf über ein geeignetes Verfahren, das gesamte Bergwerk dauerhaft dicht zu machen.
"Wir müssen die Langzeitsicherheit nachweisen", erklärt GSF-Sprecher Hans Haury. Die Bevölkerung dürfe auch in Tausenden von Jahren nicht gefährdet werden. Noch vor Ende der Teilverfüllung soll ein Betriebsplan vorliegen - doch ein endgültiges Konzept, nach dem man vorgehen will, gibt es noch nicht.

Was aber passiert, wenn es nicht gelingt, eine radioaktive Belastung des Grundwassers auszuschließen? Es sei zwar nicht unmöglich, den Atommüll wieder aus dem Endlager herauszuholen, sagt Besenecker. Die Strahlenbelastung der Arbeiter, die die Fässer wieder ausbuddeln müssten, wäre aber enorm hoch - ebenso die Kosten.
Eins ist jedenfalls sicher, die langzeitig sichere Schließung des Endlagers Asse wird teuer. 250 Millionen Mark müssen für die Teilverfüllung aufgebracht werden, Geld, das der Steuerzahler bezahlt. "Die Kosten für die endgültige Schließung können erst berechnet werden, wenn klar ist, wie wir es anpacken", sagt Besenecker. Trotz der Probleme, die jetzt auftauchen, habe sich die Einrichtung des Versuchsendlagers gelohnt. "Die Asse ist weltweit unter Experten berühmt. Die Versuche, die hier gemacht wurden, haben wichtige Erkenntnisse über Endlagerung im Salz gebracht."

 

Margit Kautenburger

 

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