Gefahr im Verzug
Tonnenschwere Salzbrocken, die möglicherweise von der Decke auf
Atommüllfässer stürzen, haben im Endlager Morsleben (Sachsen-Anhalt) an
der niedersächsischen Landesgrenze Alarmstimmung ausgelöst. "Gefahr
im Verzug", urteilte der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König.
Er ordnete an, die Einlagerungskammern sofort mit Salz zu
verfüllen. Nicht nur in Morsleben kämpfen die Experten um die
Standsicherheit der unterirdischen Hohlräume im Salz. Auch das ehemalige
Versuchsendlager Asse bei Wolfenbüttel ist baufällig.
Kopfzerbrechen bereitet der Betreibergesellschaft, dem GSF
Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, aber vor allem die nicht
unerhebliche Menge an Lauge, die an einer Stelle in die Grube sickert.
Schon 1991 entdeckten Bergleute, dass Salzlauge eindringt. Die Menge -
derzeit elf Kubimeter pro Tag - habe stetig zugenommen, bleibe aber seit
einiger Zeit konstant, betont Joachim Bluth, zuständiger Bergdirektor im
Umweltministerium in Hannover. Die Stabilisierung der ehemaligen
Abbaukammern habe aus diesem Grund vorgezogen werden müssen,
berichtet sein Kollege Horst Besenecker. Bereits im August 1995 habe man
mit der Verfüllung begonnen, ein Konzept für die endgültige, langfristig
sichere Schließung der ehemaligen Salzgrube gebe es aber noch nicht.
Brisant ist, dass in dem Versuchsendlager mehr Atommüll untergebracht ist
als in dem Endlager der ehemaligen DDR in Morsleben.
In dem ehemaligen Kali- und Steinsalzgrube wurden zwischen 1967 und
1978 rund 125.000 Fässer mit schwach- und 1.300 Behälter mit
mittelradioaktiven Abfällen eingelagert. Die Wissenschaftler wollten
herausfinden, ob Salz als Endlagergestein geeignet ist. Unter dem
Deckmantel des Versuchsprojektes nutzte man das Bergwerk im Höhenzug
Asse aber auch für die Entsorgung von Atommüll aus den Sammelstellen
der Länder und dem Kernforschungszentrum Karlsruhe. Es gab sogar den
Plan, das Bergwerk als Bundesendlager zu genehmigen. Die Bergbehörden
hätten jedoch Bedenken, Fachleute wie der Göttinger Geologe Prof. Günter
Herrmann warnten schon damals vor Problemen mit Laugenzuflüssen. Die
verantwortlichen Behörden wiegelten indes ab. Ein Absaufen der
Schachtanlage sei nahezu ausgeschlossen, befand damals das
Bundesforschungs- ministerium.
"Aus heutiger Sicht würde man in der Asse keinen Atommüll mehr lagern",
sagt Besenecker. Das Bergwerk Asse gleicht einem riesigen Hochhaus,
das langsam zusammenfällt.
Durch den Gebirgsdruck verformen sich die
Decken der Hohlräume, es entstehen Risse und Klüfte. Wasser aus dem
umgebenden Gestein sickert in das Salz ein. Die Stelle, an der Salzlauge
austritt, ist bekannt. Woher sie kommt, ist dagegen unklar. "Weil dort große
Salzbrocken aus der Decke brechen könnten, wäre eine Untersuchung
lebensgefährlich", sagt Bluth. Untersuchungsbohrungen an dieser Stelle
seien zu gefährlich, weil man dabei möglicherweise einen ganzen
Hohlraum mit Lauge ansticht.
"Langfristig kann die Lauge zu einem Sicherheitsproblem werden", warnt
Bluth. Dringt die Salzlauge bis an die Atommüllfässer heran, beginnen
diese zu rosten. Radioaktive Teilchen würden frei und könnten bis ins
Grundwasser gelangen. Komme die Lauge mit Metallen in Kontakt,
entwickelten sich außerdem Gase, die zu einem Druckaufbau und dadurch
zu neuen Rissen und Wegen im Gestein führen könnten.
Um die Grube zu sichern, wird der am stärksten vom Einsturz bedrohte Teil
seit Abschluss der Endlagerversuche mit Salz verfüllt. Ein Güterzug beladen
mit 1.200 Tonnen Salz fährt täglich von der Kalihalde Ronnenberg zu der
historischen Schachtanlage. Über Rohrleitungen wird das Salz in die
Hohlräume geblasen. Die Kammern, in denen radioaktiver Abfall lagert, sind
bereits verfüllt. Um sicher zu gehen, dass keine Lauge an die Fässer
vordringt, werde eine zusätzliche Abdichtung zum Beispiel mit
Tonmineralien erwogen, sagt Endlagerfachmann Besenecker. Ende 2003,
drei Jahre früher als geplant, sei die Verfüllung der Südflanke
abgeschlossen.
Danach fangen die Schwierigkeiten aber erst richtig an. Wie auch in
Morsleben zerbrechen sich Fachleute der Betreiber den Kopf über ein
geeignetes Verfahren, das gesamte Bergwerk dauerhaft dicht zu machen.
"Wir müssen die Langzeitsicherheit nachweisen", erklärt GSF-Sprecher
Hans Haury. Die Bevölkerung dürfe auch in Tausenden von Jahren nicht
gefährdet werden. Noch vor Ende der Teilverfüllung soll ein Betriebsplan
vorliegen - doch ein endgültiges Konzept, nach dem man vorgehen will, gibt
es noch nicht.
Was aber passiert, wenn es nicht gelingt, eine radioaktive Belastung des
Grundwassers auszuschließen? Es sei zwar nicht unmöglich, den
Atommüll wieder aus dem Endlager herauszuholen, sagt Besenecker. Die
Strahlenbelastung der Arbeiter, die die Fässer wieder ausbuddeln müssten,
wäre aber enorm hoch - ebenso die Kosten.
Eins ist jedenfalls sicher, die langzeitig sichere Schließung des Endlagers
Asse wird teuer. 250 Millionen Mark müssen für die Teilverfüllung
aufgebracht werden, Geld, das der Steuerzahler bezahlt. "Die Kosten für die
endgültige Schließung können erst berechnet werden, wenn klar ist, wie wir
es anpacken", sagt Besenecker. Trotz der Probleme, die jetzt auftauchen,
habe sich die Einrichtung des Versuchsendlagers gelohnt. "Die Asse ist
weltweit unter Experten berühmt. Die Versuche, die hier gemacht wurden,
haben wichtige Erkenntnisse über Endlagerung im Salz gebracht."
Margit Kautenburger