Die SPD und die Erbschaftssteuer: Bonbon für die quengelnde Basis?
Wenn Politiker Studien in Auftrag geben, kommt in der Regel
das heraus, was sie sich wünschen. Sei es, weil
Wissenschaftler auch nur Menschen sind, oder sei es, weil man
weiß, wen man fragen muß. Ab und an gibt es allerdings auch
Fehlgriffe. Die Resultate landen dann meist in irgendwelchen
Giftschränken, und es ward nicht mehr viel von ihnen gehört.
Bundesfinanzminister Hans Eichel hat kürzlich dem Zentrum für
Europäische Wirtschaftsforschung eine Expertise zum Thema
Erbschaftssteuer aufgetragen. Das Ergebnis liegt jetzt vor,
und es ist noch nicht ganz klar, in welche der beiden
Kategorien es gehört. Auf den ersten Blick jedenfalls ist es so
beschaffen, daß die SPD-Linke - so es sie noch irgendwo gibt -
sich freuen müßte. Die Wissenschaftler kommen nämlich zu
dem Schluß, daß der Obulus an die Gemeinschaft im deutschen
Erbfall niedriger ausfällt als in vielen anderen Industriestaaten.
Die Erbschaftsteuer ist ein sensibles Thema. In kaum einem
Bereich liegt die Generallüge des Kapitalismus, es handele sich
bei ihm um eine Leistungsgesellschaft, so offen zutage wie in
der Frage großer Erbschaften. Natürlich ist die Erwartung eines
mehr oder minder üppigen - oder gar keines - Geldsegens bei
Ableben der lieben Vorfahren bei weitem nicht der einzige
Grund für die Ungleichheit individueller Startbedingungen. Es
ist aber der greifbarste, zumal bei den Großvermögen, die
innerhalb der wirklich herrschenden Klasse von Papa oder
Mama zu Sohnemann und Tochter geschoben werden, alle
anderen Ungleichheiten fast bedeutungslos werden: Wer die
Aktienpakete der Familie Quandt erbt, der braucht die
besseren Bildungschancen, die er als Reicher natürlich
ebenfalls hat, gar nicht mehr; er kann sein Leben ebensogut
auf dem Golfplatz verbringen.
Die Erhöhung der Erbschaftssteuer ist daher traditionell ein
sozialdemokratisches Lieblingsthema, und während Schröder
Verfechtern der Vermögenssteuer inzwischen erfolgreich den
Garaus gemacht hat, sind die Rufer nach einer stärkeren
Besteuerung von Erbschaften einfach nicht totzukriegen. Als
Bonbon für die quengelnde Basis hatte bereits der
SPD-Parteitag vom November 2003 eine Erhöhung der
Nachlaßbesteuerung beschlossen.
Tatsächlich wäre hier einiges zu holen. Pro Jahr werden in der
Bundesrepublik etwa 200 Milliarden Euro vererbt. Der Fiskus -
konkret in diesem Fall: die Bundesländer - verdient gut drei
Milliarden Euro mit, kaum mehr als ein Prozent. Die von Eichel
in Auftrag gegebene Studie stellt fest, daß bei der Übertragung
eines durchschnittlichen Privatvermögens an ein Kind lediglich
0,3 Prozent Steuern anfallen. Erbt ein Kind eine
mittelständische Personengesellschaft, zahlt es knapp vier
Prozent; bei einer Kapitalgesellschaft sechs Prozent. Im
internationalen Vergleich ist das bescheiden. In Frankreich
etwa werden bei Personengesellschaften 11,4 Prozent
Steuern fällig, bei Kapitalgesellschaften 15,5 Prozent. Und im
Musterland des entfesselten Kapitalismus, den USA, liegen die
Werte, solange George W. Bush seine Senkungspläne noch
nicht umgesetzt hat, sogar bei 34,2 bzw. 35,9 Prozent.
Das Gesamtaufkommen aus der Erbschaftssteuer ist jedoch
überall recht mager, was zeigt, daß eine ernsthafte und
gründliche Erbschaftsbesteuerung eben ans Eingemachte,
nämlich an die Kapitalakkumulation, ginge und genau deshalb
in keinem kapitalistischen Land wirklich stattfindet. Der
Unterschied, den es dennoch gibt, ist der zwischen mager und
jämmerlich, und da diesem Unterschied einige Milliarden
öffentlicher Einnahmen entsprechen, ist er nicht irrelevant.
Nach Erhebungen der OECD aus dem Jahr 1998 entspricht das
Aufkommen aus der Erbschaftsteuer in Frankreich 0,51 Prozent
des Bruttoinlandsproduktes, in den USA sind es 0,35 Prozent,
in Deutschland dagegen nur 0,13 Prozent. Wie im Leben, so im
Sterben - die Bundesrepublik verteidigt damit ihren Titel als
Steuer-Eldorado der Reichsten. "Im Ländervergleich ist die
Situation in Deutschland einerseits durch günstige
Bewertungsvorschriften, vorteilhafte sachliche
Steuervergünstigungen bei der Übertragung von
Unternehmensvermögen und hohe Freibeträge für Ehegatten
und Kinder gekennzeichnet", faßt die Studie diesen
Sachverhalt vornehm zusammen.
Allerdings steht das geltende Erbschaftssteuerrecht seit
längerem in der Kritik. Bereits 1995 hatte das
Bundesverfassungsgericht die Bewertung von Immobilien nach
Einheitswerten aus dem Jahr 1964 für verfassungswidrig
erklärt. Während Kohl die Vermögenssteuer nach ähnlicher
Rechtsprechung kurzerhand aussetzte, war das in Fragen
Erbschaftssteuer offenbar nicht opportun. Statt dessen wird
Betriebs- und Grundvermögen seither zum halben Marktwert
besteuert. Anfang 2005 wird das Bundesverfassungsgericht
erneut entscheiden und die divergierenden
Bewertungsgrundsätze wohl wieder für verfassungswidrig
erklären. Damit wird eine Erbschaftssteuerreform unabdingbar.
Ver.di hat errechnet, daß bei korrekter Bewertung der
Immobilien- vermögen und dem Abbau der übermäßigen
Begünstigung von Betriebsvermögen die Erbschaftssteuer bei
einem Freibetrag von 250 000 Euro immerhin 3,6 Milliarden
Euro zusätzliche Einnahmen erbringen könnte. Mag sein, daß
Schröder sich sogar dazu durchringt und uns das dann als
großen sozialen Ausgleich für all die sozialen Verbrechen
seiner Regierungszeit verkauft. Faktisch hätte Deutschland
allerdings damit noch nicht mal den Level Frankreichs erreicht.
Und die ganz großen Erblasser wissen ohnehin, daß diverse
Schweizer Kantone sogar Nulltarif bieten.
Sahra Wagenknecht
Anmerkung (d. Red.):
Siehe auch folgendes Zitat aus dem Handelsblatt (sic!) über das
Steuer-Paradies Deutschland
"Im internationalen Vergleich ist
Deutschland eine Steueroase -
Kapitalgesellschaften leisten en bloc
überhaupt keinen Beitrag mehr zur
Staatsfinanzierung. Die Steuerlast, über die
die deutsche Wirtschaft immer noch klagt, ist
eher ein Phantomschmerz. Die steuerlichen
Verhältnisse sind nicht mehr so, wie sie
öffentlich noch dargestellt werden."