17.04.2004

Artikel

Erben im Paradies

Die SPD und die Erbschaftssteuer: Bonbon für die quengelnde Basis?

Wenn Politiker Studien in Auftrag geben, kommt in der Regel das heraus, was sie sich wünschen. Sei es, weil Wissenschaftler auch nur Menschen sind, oder sei es, weil man weiß, wen man fragen muß. Ab und an gibt es allerdings auch Fehlgriffe. Die Resultate landen dann meist in irgendwelchen Giftschränken, und es ward nicht mehr viel von ihnen gehört. Bundesfinanzminister Hans Eichel hat kürzlich dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung eine Expertise zum Thema Erbschaftssteuer aufgetragen. Das Ergebnis liegt jetzt vor, und es ist noch nicht ganz klar, in welche der beiden Kategorien es gehört. Auf den ersten Blick jedenfalls ist es so beschaffen, daß die SPD-Linke - so es sie noch irgendwo gibt - sich freuen müßte. Die Wissenschaftler kommen nämlich zu dem Schluß, daß der Obulus an die Gemeinschaft im deutschen Erbfall niedriger ausfällt als in vielen anderen Industriestaaten.

Die Erbschaftsteuer ist ein sensibles Thema. In kaum einem Bereich liegt die Generallüge des Kapitalismus, es handele sich bei ihm um eine Leistungsgesellschaft, so offen zutage wie in der Frage großer Erbschaften. Natürlich ist die Erwartung eines mehr oder minder üppigen - oder gar keines - Geldsegens bei Ableben der lieben Vorfahren bei weitem nicht der einzige Grund für die Ungleichheit individueller Startbedingungen. Es ist aber der greifbarste, zumal bei den Großvermögen, die innerhalb der wirklich herrschenden Klasse von Papa oder Mama zu Sohnemann und Tochter geschoben werden, alle anderen Ungleichheiten fast bedeutungslos werden: Wer die Aktienpakete der Familie Quandt erbt, der braucht die besseren Bildungschancen, die er als Reicher natürlich ebenfalls hat, gar nicht mehr; er kann sein Leben ebensogut auf dem Golfplatz verbringen.

Die Erhöhung der Erbschaftssteuer ist daher traditionell ein sozialdemokratisches Lieblingsthema, und während Schröder Verfechtern der Vermögenssteuer inzwischen erfolgreich den Garaus gemacht hat, sind die Rufer nach einer stärkeren Besteuerung von Erbschaften einfach nicht totzukriegen. Als Bonbon für die quengelnde Basis hatte bereits der SPD-Parteitag vom November 2003 eine Erhöhung der Nachlaßbesteuerung beschlossen.

Tatsächlich wäre hier einiges zu holen. Pro Jahr werden in der Bundesrepublik etwa 200 Milliarden Euro vererbt. Der Fiskus - konkret in diesem Fall: die Bundesländer - verdient gut drei Milliarden Euro mit, kaum mehr als ein Prozent. Die von Eichel in Auftrag gegebene Studie stellt fest, daß bei der Übertragung eines durchschnittlichen Privatvermögens an ein Kind lediglich 0,3 Prozent Steuern anfallen. Erbt ein Kind eine mittelständische Personengesellschaft, zahlt es knapp vier Prozent; bei einer Kapitalgesellschaft sechs Prozent. Im internationalen Vergleich ist das bescheiden. In Frankreich etwa werden bei Personengesellschaften 11,4 Prozent Steuern fällig, bei Kapitalgesellschaften 15,5 Prozent. Und im Musterland des entfesselten Kapitalismus, den USA, liegen die Werte, solange George W. Bush seine Senkungspläne noch nicht umgesetzt hat, sogar bei 34,2 bzw. 35,9 Prozent.

Das Gesamtaufkommen aus der Erbschaftssteuer ist jedoch überall recht mager, was zeigt, daß eine ernsthafte und gründliche Erbschaftsbesteuerung eben ans Eingemachte, nämlich an die Kapitalakkumulation, ginge und genau deshalb in keinem kapitalistischen Land wirklich stattfindet. Der Unterschied, den es dennoch gibt, ist der zwischen mager und jämmerlich, und da diesem Unterschied einige Milliarden öffentlicher Einnahmen entsprechen, ist er nicht irrelevant.

Nach Erhebungen der OECD aus dem Jahr 1998 entspricht das Aufkommen aus der Erbschaftsteuer in Frankreich 0,51 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, in den USA sind es 0,35 Prozent, in Deutschland dagegen nur 0,13 Prozent. Wie im Leben, so im Sterben - die Bundesrepublik verteidigt damit ihren Titel als Steuer-Eldorado der Reichsten. "Im Ländervergleich ist die Situation in Deutschland einerseits durch günstige Bewertungsvorschriften, vorteilhafte sachliche Steuervergünstigungen bei der Übertragung von Unternehmensvermögen und hohe Freibeträge für Ehegatten und Kinder gekennzeichnet", faßt die Studie diesen Sachverhalt vornehm zusammen.

Allerdings steht das geltende Erbschaftssteuerrecht seit längerem in der Kritik. Bereits 1995 hatte das Bundesverfassungsgericht die Bewertung von Immobilien nach Einheitswerten aus dem Jahr 1964 für verfassungswidrig erklärt. Während Kohl die Vermögenssteuer nach ähnlicher Rechtsprechung kurzerhand aussetzte, war das in Fragen Erbschaftssteuer offenbar nicht opportun. Statt dessen wird Betriebs- und Grundvermögen seither zum halben Marktwert besteuert. Anfang 2005 wird das Bundesverfassungsgericht erneut entscheiden und die divergierenden Bewertungsgrundsätze wohl wieder für verfassungswidrig erklären. Damit wird eine Erbschaftssteuerreform unabdingbar.

Ver.di hat errechnet, daß bei korrekter Bewertung der Immobilien- vermögen und dem Abbau der übermäßigen Begünstigung von Betriebsvermögen die Erbschaftssteuer bei einem Freibetrag von 250 000 Euro immerhin 3,6 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen erbringen könnte. Mag sein, daß Schröder sich sogar dazu durchringt und uns das dann als großen sozialen Ausgleich für all die sozialen Verbrechen seiner Regierungszeit verkauft. Faktisch hätte Deutschland allerdings damit noch nicht mal den Level Frankreichs erreicht. Und die ganz großen Erblasser wissen ohnehin, daß diverse Schweizer Kantone sogar Nulltarif bieten.

 

Sahra Wagenknecht

 

Anmerkung (d. Red.):

Siehe auch folgendes Zitat aus dem Handelsblatt (sic!) über das
Steuer-Paradies Deutschland

    "Im internationalen Vergleich ist
    Deutschland eine Steueroase -
    Kapitalgesellschaften leisten en bloc
    überhaupt keinen Beitrag mehr zur
    Staatsfinanzierung. Die Steuerlast, über die
    die deutsche Wirtschaft immer noch klagt, ist
    eher ein Phantomschmerz. Die steuerlichen
    Verhältnisse sind nicht mehr so, wie sie
    öffentlich noch dargestellt werden."

 

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