28.09.2005

Ist Alternativ-Medizin
nur Esoterik?

Die aktuelle Veröffentlichung einer Studie zur Alternativ-Medizin durch die 'Stiftung Warentest' hat eine heftige Diskussion ausgelöst. "Nur für ein Drittel der gut 50 von uns untersuchten alternativen Diagnose- und Heilverfahren läßt sich ein sicherer und meßbarer Effekt für die Gesundheit belegen", sagte Vera Herbst, Autorin der bereits vorab veröffentlichten und heute in Berlin vorgestellten Studie 'Die Andere Medizin'. Dafür, daß unter "die andere Medizin" alles subsumiert wird, was bislang nicht von der "Schulmedizin" anerkannt wurde, ist dies gar kein so schlechtes Ergebnis - auch wenn dies von vielen Seiten so dargestellt wird. Denn auch bei vielen Methoden und Medikamenten der "Schulmedizin" ist die Erfolgsquote und sind die Skandale um zu spät erkannte - nicht selten tödliche - "Neben"-Wirkungen nicht sehr vertrauenerweckend. Nach wie vor bleibt nur der Schluß: Die Medizin insgesamt ist noch längst keine exakte Naturwissenschaft.

Der Status Quo

Am Stand der seit Jahren festgefahrenen Diskussion, die sich mit einem erträglichen und ertragreichen Status Quo abgefunden hat, wird dies kaum etwas ändern. Dies beweist auch die für viele, die sich nicht tiefergehend mit der Materie befaßt haben, überraschende Reaktion der Pharmaverbände, die nach wie vor der Alternativ-Medizin wohlwollend gegenüber stehen. Wenig überraschend dürfte allgemein die Reaktion des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte aufgenommen worden sein, der die in der Studie enthaltene Kritik ebenfalls zurückwies.

Ausgewählt für die Studie waren Diagnose- und Heilverfahren, für die es in der ärztlichen Berufsordnung eine Zusatzbezeichnung gibt oder die in den Lehrinhalten für den Erwerb der Zusatzbezeichnung 'Arzt für Naturheilverfahren' aufgelistet sind, die in den Lehrplänen der Schulen für Heilpraktiker aufgeführt sind und solche, die zu den klassischen Naturheilverfahren gehören. Dazu fragte 'Stiftung Warentest' bei Lehrinstituten und Organisationen im deutschen Sprachraum nach Unterlagen und klinischen Studien zu den jeweiligen Verfahren nach.

Überraschend ist hier das von vielen Verbänden der Alternativ-Medizin gezeigte Desinteresse auch nur einen irgendwie gearteten Nachweis der Wirksamkeit vorzulegen. Allzu billig wird in jahrelang eingeübten Formulierungen auf die individuelle Ausgestaltung der Heil- oder Diagnosemethoden verwiesen und so eine standardisierte und auf statistischen Auswertungen beruhende naturwissenschaftliche Nachweismethoden pauschal zurückgewiesen. Dabei haben beispielsweise bereits vor sechs Jahren Doppel-Blind-Studien an der Heidelberger Universität (Dr. Julia Kleinhenz) bewiesen, daß Akupunktur bei der Schmerztherapie wirkt.

Der Theaterdolch

Manchmal ist es einfach hilfreich, sich ein wenig Gedanken um die nötige Versuchsanordnung zu machen und etwas Phantasie und Erfindungsgeist - statt Geistheilung - aufzuwenden. Das Forscherteam um Dr. Julia Kleinhenz konstruierte eine Placebo-Nadel, die wie ein Theaterdolch funktioniert. Wird diese Placebo-Nadel bei der Behandlung angesetzt, wird unsichtbar unter einem Pflaster die Haut nur angeritzt aber nicht durchstochen. Die Nadel verschwindet in ihrem Griff, so daß weder Behandelnde noch Behandelte wissen, ob sie tatsächlich eingedrungen ist. Die These von der Wirksamkeit der Akupunktur in der Schmerztherapie läßt sich mit dieser Versuchsanordnung auf naturwissenschaftlich untadelige Weise testen und statistisch auswerten und beliebig oft unter exakt definierten Randbedingungen wiederholen. Die Auswertung in Heidelberg ergab ein signifikantes Ergebnis: Die echten Nadeln linderten die Schmerzen mehr als doppelt so oft wie die Placebo-Nadeln.

Vorhandene Studien werden jedoch oft nicht ausgewertet und gefährliche Folge- und Nebenwirkungen, die in der medizinischen Literatur dokumentiert sind, werden schlicht ignoriert: So sind beispielsweise bei der Chirotherapie als nicht seltene Nebenwirkungen Schlaganfälle und neurologische Komplikationen dokumentiert.

übliche Verdächtigungen

Über Jahre hin hat sich die Verdächtigung mit Hilfe von Mund-zu-Mund-Propaganda am Leben gehalten, die Schulmedizin wolle ausschließlich deshalb alternative Heilverfahren nicht anerkennen, weil es sich um eine Konkurrenz auf dem lukrativen Gesundheitsmarkt handele. Die Volksweisheit, wonach die eine Krähe der anderen kein Auge aushackt, wird hierbei vergessen. Zu den weit verbreiteten Verdächtigungen gesellt sich auch das Gerücht hinzu, die Pharmaindustrie bekämpfe die Homöopathie, weil diese mit weitaus geringeren Kosten zu heilen in der Lage sei. Nun kritisiert jedoch ausgerechnet der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) die aktuelle Untersuchung der 'Stiftung Warentest' als "fahrlässig". Und BPI-Hauptgeschäftsführer Henning Fahrenkamp ergänzt: Studien der Berliner Charité an großen Patientenzahlen hätten gezeigt, "daß die Homöopathie in der Praxis einer konventionellen Behandlung oft mindestens ebenbürtig". Hubert Primus von der Stiftung Warentest' hält dagegen, daß die Wirksamkeit der Homöopathie keineswegs nachgewiesen sei.

Transparenz unerwünscht

VerbraucherInnenschutz fristet in den westlichen Industrienationen nach wie vor ein Randdasein. Eine kritische Bewertung von Waren und Dienstleistungen ist im Kapitalismus nicht profitträchtig und daher unerwünscht. Je mehr - auch wirkungslose - Heilmethoden und Medikamente nacheinander an PatientInnen "probiert" werden können, desto höher der Profit. Transparenz und eine auf naturwissenschaftlichen Kriterien basierende Bewertung der verschiedenen medizinischen Methoden würde den Umsatz insgesamt reduzieren.

Gegenwärtig erstatteten die Krankenkassen jährlich rund 600 Millionen Euro für alternative Medikamente und 1,4 Milliarden Euro für alternative Heilverfahren. Hier könnte sicherlich viel eingespart werden, wenn die Spreu vom Weizen getrennt würde. Bei der Schulmedizin jedoch wäre das Einsparpotential um ein Vielfaches höher. Auch auf diesem Felde legte die 'Stiftung Warentest' bereits vor Jahren offen, wie viele nachweislich unwirksame Präparate und unzweckmäßige Mehrkomponenten-Präparate von MedizinerInnen bedenkenlos eingesetzt werden. Die "Information" durch Pharma-VertreterInnen spielt hierbei eine bedeutende Rolle. Seitdem hat sich kaum etwas geändert.

 

Adriana Ascoli

 

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