Jürgen Elsässer sprach mit Conrad Schuhler.
Vorbemerkung:
Conrad Schuhler ist Mitarbeiter im Münchner Institut für sozial-ökologische
Wirtschaftsforschung*. Er hat zahlreicher Bücher zum Thema Globalisierung
verfaßt. Zuletzt erschien: >Unter Brüdern. Die USA, Europa und die Neuordnung der Welt<
(PapyRossa-Verlag)
J. E.:
In der neuen "EU-Verfassung" werde auch die weitere
Militarisierung Europas beschlossen, kritisierte der
bundesweite Friedensratschlag vor dem EU-Gipfel am
Wochenende. Ist die Gefahr gebannt, nachdem dieser geplatzt
ist?
C. S.:
Vor dem Abbruch hatten sich die 25 Regierungschefs noch auf
eine gemeinsame Sicherheitsstrategie geeinigt, wie sie auch
den gesamten Verfassungsentwurf durchzieht. Schaut man
sich die beiden Neinsager am Wochenende in Brüssel an,
nämlich Polen und Spanien, dann weiß man, daß die
Rüstungsrichtlinien bei einer späteren Einigung höchstens
noch schärfer ausfallen könnten. Denn sowohl Polen als auch
Spanien haben den Irak-Krieg der USA mit eigenen Truppen
unterstützt. In dem jetzt von den Mitgliedstaaten begrüßten
Grundsatzpapier von EU-"Außenminister" Javier Solana heißt
es, daß die EU tätig werden müsse gegenüber drei
Bedrohungen: Terrorismus, Verbreitung von
Massenver- nichtungswaffen und "gescheiterten Staaten". Das
ist fast exakt die Formulierung der Nationalen
Sicherheitsdoktrin der Bush-Regierung. Und ebenso wie die
USA plädiert die EU für Präventivschläge. Wörtlich heißt es:
"Wir müssen eine strategische Kultur entwickeln, die ein
frühzeitiges, rasches und wenn nötig robustes Eingreifen
begünstigt."
Andererseits hat die EU die Formulierung von der
Notwendigkeit "präemptiven Engagements", was ja wirklich
an Bushs Erstschlagsdoktrin erinnerte, aus dem Entwurf nicht
in den verabschiedeten Text übernommen. Auch die
vielgepriesene EU-Eingreiftruppe lahmt beträchtlich. Zum
Jahresende 2003 steht sie jedenfalls nicht, wie es vorgesehen
war.
Die EU-Eingreiftruppe soll rund 80.000 Mann umfassen, 18.000
davon aus Deutschland, mit Abstand das größte Kontingent.
Sie lahmt in der Tat, weil es den EU-Staaten sowohl an
wirtschaftlicher Potenz als auch an Einigkeit fehlt. Dennoch
wird sich die Truppe im Lauf der Zeit herausbilden, und man
wird versuchen, sie aus den Kommandostrukturen der NATO
herauszulösen, wo sie derzeit noch untergebracht ist. In der
neuen EU-Verfassung ist ein eigenes 'Europäisches Amt für
Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten' vorgesehen,
dessen Aufgabe es ist, eine eigene europäische Militärmacht
auf die Beine zu stellen, die im Zweifel auch ohne die NATO,
d.h. ohne die Zustimmung der USA, operieren kann.
Ein Amt? Wenn's weiter nichts ist ... Das ursprünglich
geplante EU-Hauptquartier ist jedenfalls abgesagt, die
Einsätze sollen von einem Zimmerchen im NATO-Hauptquartier
aus geführt werden. Ohne Zustimmung der USA wird da nichts
laufen.
Die deutsche und französische Regierung reklamiert diese
Verabredung als Schritt zu mehr europäischer
Eigen- ständigkeit. Die EU-Armee kann demnach tätig werden,
wenn die NATO nicht eingreifen kann oder nicht eingreifen will.
Das eröffnet Spielräume.
>Unter Brüdern< lautet der Titel Ihres Buches über das
amerikanisch-europäische Verhältnis. Ist das nicht so ein
Brüderpaar, bei dem immer der Kleine die Dresche kriegt?
Mit >Unter Brüdern< will ich zeigen, daß die USA und die EU
letzten Endes am selben Strang ziehen. In allen entwickelten
Industrieländern sind die transnationalen Konzerne die
beherrschende Macht. In Deutschland sind Siemens und
DaimlerChrysler zehnmal bestimmender als der gesamte
Mittelstand. Von den 200 größten transnationalen Konzernen,
auf die über ein Viertel des Weltumsatzes entfällt, finden wir
82 in den USA, 65 in der EU, 41 haben ihre Basis in Japan.
Diese Gesellschaften haben kein "Heimatland", sie wollen den
Globus als ihr Profitfeld eingerichtet haben. Die USA als
globaler Kontrolleur sind ihnen sehr recht, die EU kann den
USA als kleinere globale Interventionsmacht hilfreich zu Seite
treten. Dabei kommt es auch zu Konflikten zwischen den
Staaten, wie ja auch zwischen den Konzernen. Aber die
transnationalen Konzerne werden nicht zulassen, daß
Querelen der politischen Agenturen ihnen das Geschäft
verderben.
Danke für das Gespräch.
Interview: Jürgen Elsässer
Nachveröffentl. aus: 'junge welt', 19.12.2003
Anmerkung:
* Internet-Adresse des Instituts für sozial-ökologische
Wirtschaftsforschung, München:
www.isw-muenchen.de
Internet-Adresse von
Jürgen Elsässer:
www.juergen-elsaesser.de