Das Fahrrad ist sowohl Freizeitspaß als auch
Verkehrsmittel der Zukunft. Viele haben das noch
nicht begriffen
Sicherlich haben die unförmigen Zweiräder ohne Pedale und
Lenkung, die im 18. Jahrhundert konstruiert wurden, wenig mit
den High-Tech-Flitzern zu tun, die heute den Markt dominieren.
Die Grundidee der Fortbewegung mit eigener Muskelkraft als
Freizeitspaß und zur Erhöhung der Mobilität ist jedoch von
damals bis heute die gleiche geblieben. Stets war die Nutzung
des Fahrrades ein Spiegelbild der gesellschaftlichen
Entwicklung. Handelte es sich Anfangs um die Vergnügung
edlerer Herren und später auch Damen, so wurde das Fahrrad
im Zuge der Industrialisierung Ende des 19.Jahrhunderts zum
wichtigsten Fortbewegungsmittel in europäischen
Großstädten.
In Deutschland führte erst die in den 60er Jahren
des letzten Jahrhunderts einsetzende Massenmotorisierung zu
seiner allmählichen Verdrängung. Seine "Wiederentdeckung"
ist besonders dem erwachenden Umweltbewußtsein in den
späten 70ern zu verdanken und wurde zusätzlich durch den
zweifelhaften Rummel um wandelnde Apotheken, die sich Jahr
für Jahr auf weltweiten Medienevents wie der 'Tour de
France' als "Radsportler" präsentieren, weiter angeheizt. Die
später einsetzende "Fit for fun"- und "Wellness"-Welle tat ein
übriges. Selbst Lifestylemagazine plazierten das lange Zeit als
"old fashioned" abgetane Fahrradfahren z.B. als
"Mountainbiking" irgendwo zwischen Paragliding,
Extremklettern und Golfen.
Jedenfalls ist Radfahren wieder richtig chic. Das
"Arme-Leute-Image", das unverdrossenen Pedalisten lange
Zeit anhaftete, ist verschwunden. Kaum ein Politpromi,
Industriekapitän oder berühmter Kulturschaffender läßt
heutzutage die Gelegenheit verstreichen, sich wenigstens
einmal im Jahr medial als Fahrradfahrer zu outen.
Auch immer mehr Reiseveranstalter und Tourismusvermarkter
entdecken die zahlungskräftige Zielgruppe Fahrradfahrer. Der
Markt ist riesig, allein in Deutschland werden im Schnitt 4,5
Millionen Fahrräder pro Jahr verkauft. Statt klobiger, schwerer
Stahlmonster bestimmen heute High-Tech-Räder die Szenerie.
Alu-Cromo- oder gar Karbonrahmen sind inzwischen ebenso
selbstverständlich wie Hydraulikbremsen, gefederte Gabeln
und Sättel und den Fahrkomfort erhöhende ausgefeilte
Schaltsysteme, wobei der praktische Nutzwert so mancher
"Innovation" in Relation zu den teilweise horrenden Preisen
für Edelräder eher zweifelhaft ist.
Trotz dieses Fahrradbooms ist die Situation für "Alltagsfahrer"
nach wie vor äußerst unbefriedigend. Obwohl in vielen Groß-
und Mittelstädten über zehn Prozent aller Wege mit dem
Fahrrad zurückgelegt werden und von vielen Fachleuten eine
Quote von 25 Prozent als möglich und erstrebenswert
angesehen wird, spotten die Bedingungen für diese besonders
gefährdeten Verkehrsteilnehmer vielerorts jeder Beschreibung.
Fehlende oder dilettantisch bis gefährlich angelegte Radwege
und unzulängliche Abstellmöglichkeiten zeugen von den langen
Schatten der in der 60ern entwickelten "Vision" von der
"autogerechten Stadt" in den Hirnen der meisten
Verkehrsplaner. Zwar gibt es auch hierzulande inzwischen
lobenswerte Ausnahmen, beispielsweise in Münster und
Freiburg, doch von den Fahrradverkehr konsequent
begünstigenden infrastrukturellen Maßnahmen, wie in den
Niederlanden und in Dänemark, ist man in Deutschland noch
weit entfernt. Die unheilige Allianz aus Auto- und
Betonindustrie und der schweigenden bis aggressiven
Mehrheit ignoranter PS-Zombies erweist sich nach wie vor als
zäher und mächtiger Gegner. Auch die Deutsche Bahn AG spielt
keine besonders rühmliche Rolle. Trotz vielfältiger
Lippenbekenntnisse zur "ökologisch sinnvollen Kombination
Fahrrad Bahn" hat man Fahrradreisende aus den
Fernschnellverbindungen inzwischen komplett ausgesperrt.
Dennoch: Das Fahrrad hat nicht nur als gesundes
Freizeitvergnügen, sondern auch als Verkehrsmittel eine
glänzende Zukunft. Doch die kommt, wie alle gesellschaftlichen
Fortschritte, nicht von alleine zustande. Fahrradlobbygruppen
wie der 'Allgemeine Deutsche Fahrradclub' bemühen sich in
zäher Kleinarbeit um Verbesserungen sowohl im städtischen
Verkehr als auch bei der Schaffung von regionalen und
überregionalen Fahrradrouten. Zumindest im Regionalverkehr
hat die Bahn ihr Angebot für Fahrradfahrer deutlich verbessert.
Die steuerliche Diskriminierung von Fahrradfahrern bei der
Berechnung der absetzbaren Arbeitswegkosten wurde
inzwischen beseitigt.
Trotz aller Widrigkeiten sollte man den Spaß- und Genußfaktor
beim Fahrradfahren nie aus den Augen verlieren. Wie wär's
denn, statt der öden Pauschalreise oder dem stressigen
Autourlaub mal eine mehrwöchige Fahrradtour ins Auge zu
fassen?
Rainer Balcerowiak