Von Populisten und Schildbürgern
Da ist der gute Mann auf seine alten Tage sogar noch richtig berühmt geworden. Zwar hat er nun seinen nicht gerade
zweifelhaften Ruf weg, aber ihm kann das vergleichsweise gleich sein, denn der 64-jährige steht ohnehin kurz vor der
Rente und was immer man ihm vorwerfen mag, nach allem, was bis jetzt bekannt ist, wird ihm kaum regelrechter
Rechtsbruch vorzuwerfen sein. Was ihm vorzuwerfen ist, ist eher eine gewisse Dreistigkeit, eine Raffzahnmentaliätät,
aber die ist eigentlich gesellschaftstypisch, gerade in den oberen Gesellschaftsschichten und außerdem: Hand aufs
Herz und Asche aufs Haupt - wer von uns würde nicht gern Staatsknete abzocken auf legalem Wege, wenn er denn
nur wüßte wie?
Rolf John, seit neuestem besser bekannt als "Florida-Rolf" hat einen Weg gefunden. Frei nach dem Zeltinger-Song
"Morgen geh ich zum Sozialamt - da gibt es Geld, da gibt es Geld" hat er das Sozialamt für seinen Lebensunterhalt in
Anspruch genommen. Das besondere: Rolf John wohnt in Florida, Miama-Beach, in einem Appartement, aus dem er
nur deshalb keinen Blick aufs Meer hat, weil irgend jemand ein anderes Haus dazwischen gestellt hat. Aber der Weg
zu einem öffentlich zugänglichen Strand ist dennoch kurz und Rolf John hat auch der Gesellschaft einen nützlichen
Dienst erwiesen: Er hat - sehr frühzeitig - nach einer gescheiterten Ehe und anschließenden Depressionen, seinen
Arbeitsplatz freigemacht und zwar endgültig. Da ihm vor Jahren auch ein Gutachter schriftlich bestätigte, daß eine
Rückkehr nach Deutschland seine Suizidgefährdung erhöhen würde, akzeptierte das Sozialamt seine Wohnsitz Florida
und überwies eine für dortige Lebensverhältnisse "angemessene" Stütze nach Übersee. Dort lebt Rolf John seit dieser
Zeit und erwartet demnächst seine Umsteuerung von der Sozialhilfe in die Rente.
Zum nationalen Skandal wurde die unerfreuliche Posse durch einen reißerischen Artikel der 'BILD', die - wie Zeitungen
und Zeitschriften, z.B. der 'stern', seit Wochen und Monaten durch ausgesuchte Beispiele von "Sozialschmarotzern"
Stimmung macht gegen Sozialhilfeempfänger im Allgemeinen, hauptsächlich zu dem Behufe, ein Klima für weitere
Sozialkürzungen bis hin zum Nullstrich zu schaffen.
BILD hatte freilich zwei Zwecke mit ihrer Serie verfolgt: Erstens den oben beschriebenen, zweitens aber auch, die
Bundesregierung als inkompetent und handlungsunfähig vorzuführen (und natürlich, weil sowas beim BILD-Publikum
gut ankommt). Das funktionierte allerdings nicht nur, denn immer wenn es populistisch motivierten Murks zu verzapfen
gilt, ist die Bundesregierung sehr wohl handlungsfähig. So wurde in erstaunlicher Eile das entsprechende Gesetz per
Kabinettsbeschluß geändert und Volkes Stimmung Genüge getan. Der Sozialhilfebezug im Ausland , ursprünglich
geschaffen, um sozialhilfebedürftig gewordenen Opfern der Verfolgung unter den Nazis die Rückkehr nach Deutschland
zu ersparen, wurde erheblich erschwert und soll demnächst nur noch für Gefängnisinsassen und Krankenhauspatienten,
sowie - in begrenztem Maße - für Frauen, die im Ausland um ihr Sorgerecht kämpfen, gewährt werden. Und natürlich den
Überlebenden der Nazi-Verfolgung. Insgesamt handelt es sich dabei um 959 Menschen (laut 'spiegel' vom 8.09.03), die
überhaupt von der Regel betroffen waren. Sie aber erhielten Sozialhilfe, die im Gastland einen angemessenen
Lebensunterhalt ermöglichen soll, was häufig weit unter dem deutschen Satz bleibt, wenn auch nicht im Falle
"Florida-Rolf".
Jetzt freut sich der kleine Spießer, dessen Empörung in aller Regel nur Ausdruck seiner klammheimlichen Bewunderung
für den "Sozialschmarotzer" John ist. Wie irrational das ganze ist, zeigen die Nebenwirkungen: Diejenigen , die aufgrund des
neuen Gesetzes "heim ins Reich" geholt werden, bekommen ihren Flug bezahlt und haben in Deutschland gleich wieder
Anspruch auf Sozialhilfe. Der wird in der Regel deutlich höher sein als im Ausland - und zahlen werden die kleinen Spießer.
Schon jetzt stehen die Öffentlichkeitsarbeiter der Bundesregierung vor dem Problem, wie sie ihre forsche Handlungsweise
so vermarkten, daß es den gewünschten Publicity-Effekt hat, ohne daß es zu viele trifft, die dann teurer werden als bisher
und außerdem noch die sprichwörtlichen "schlafenden Hunde" weckt, die ihren möglichen Anspruch bisher nicht
ausgeschöpft haben. "Florida-Rolf" kann das eh alles egal sein, der kriegt demnächst Rente. Und da er mal gut verdiente,
kann er sich wohl bald auch einen direkten Blick aufs Meer leisten.
Hier wiehert der Amtsschimmel - jetzt fehlt nur noch einer, der den Verstand mit Eimern ins Sozialministerium trägt.
Manuela Fresnick