Zur neuen Diskussion über Folter
In Zeiten des Notstandes und der Vorkriegszeit ist alles
erlaubt. Es darf wieder laut über Folter und Todesstrafe,
selbstverständlich nach streng "rechtsstaalichen"
Grundsätzen, nachgedacht werden. Schmerz und Qual gegen
Leben, darüber gibt es seit Tagen eine Debatte unter Juristen
und Politikern. Anlaß war früher und ist erneut eine von der
Gesellschaft produzierte menschliche Zeitbombe, ein
Sexualstraftäter. In einem Aktenvermerk hatte der Frankfurter
Polizeivizepräsident festgehalten, daß er Anweisung gegeben
habe, dem Verdächtigten Magnus G. mit Folter zu drohen und
diese auch anzuwenden, um den Aufenthaltsort eines
entführten Kindes zu erfahren.
Aus dem konservativen Lager hagelt es Zustimmung, aber
auch die SPD-Justizministerin Brigitte Zypries läßt sich nicht
lumpen: Die Frankfurter Polizei sei im "rechtfertigenden
Notstand" gewesen. Was zählt da schon das im Artikel eins
des Grundgesetzes verbürgte Grundrecht: "Die Würde des
Menschen ist unantastbar"? Für den Vorsitzenden des
deutschen Richterbundes Geert Mackenroth wenig. Er hält
"Ausnahmen vom Rechtsgrundsatz der Aussageerpressung"
für legitim, wenn es um ein "höherrangiges Rechtsgut" geht.
Folter ist in der Bundesrepublik nichts Neues. Um was handelte
es sich, als man z.B. die RAF-Gefangenen in Isolationshaft
brachte? Wie nennt man es, wenn in deutschen Polizeistuben
mal wieder die Fäuste fliegen - vorzugsweise gegen
festgesetzte Linke oder Migranten?
Die Folterdebatte verwundert keinen, der die Diskussion in den
USA nach dem 11. September verfolgt hat. Dort erörtern die
Medien ungeniert, daß Folter zur Verteidigung und Sicherheit
des Landes wieder eingeführt werden muß. Das
Gefangenenlager in Guantanamo Bay wird inzwischen in aller
Welt hingenommen. Umstritten ist derweil in den USA z. B.
noch, ob das FBI selbst Fingernägel ausreißen darf oder
Spezialisten dafür eingesetzt werden sollen.
Die Vorstellung, daß ein deutsches Notstandsgesetz Folter
ausdrücklich gestattet, ist in Zeiten der
"Terrorismusbekämpfung" nicht besonders abwegig. Das
Instrumentarium, Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit zu
verletzen, ist längst vorhanden. Die "Antiterrorpakete"
räumen den Geheimdiensten weitgehende Rechte ein, die
Privatsphäre zu mißachten. Mit Hilfe dieser Gesetze wurde die
Bundesrepublik Weltmeister beim Abhören und Erfassen von
Daten. Vor rassistischer Hetze machen sie keinen Halt:
Migranten sind durch sie in diesem Land zu einem
permanenten Sicherheitsrisiko erklärt worden.
Das Folterverbot muß aus grundsätzlichen Erwägungen
verteidigt werden. Die Folter ist menschenrechtswidrig.
Ulla Jelpke