Auch die Proteste von Hunderttausenden in den letzten Wochen in Frankreich nutzten nichts. Seit Anfang März waren 600.000 zu Demonstrationen auf die Straßen gegangen und Millionen hatten sich an einem kurzfristigen Generalstreik beteiligt, um höhere Löhne und sichere Arbeitsplätze zu fordern und für die Beibehaltung der 35-Stunden-Woche zu kämpfen. Das französische Parlament stimmte dennoch einem "Reform"-Gesetz zu, das die Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit nun auch in Frankreich auf bis zu 48 Stunden ermöglicht. Lediglich bei den Lohnverhandlungen mit den Staatsbediensteten gibt sich die Regierung kompromißbereit.
Formal wird die Norm der 35-Stunden-Woch mit dem neuen Gesetz zwar nicht aufgehoben, mit einer Vielzahl von "Sonderegelungen" wird den französischen Unternehmen allerdings ein Instrumentarium an die Hand gegeben, ähnlich wie in anderen europäischen Ländern mit der Drohung der Arbeitsplatzverlagerung die 35-Stunden-Woche alsbald zur Ausnahme werden zu lassen. Die Gewerkschaften werden in zukünftigen Tarifverhandlungen in Frankreich der globalisierten Abwärtsspirale kaum noch mehr entgegenzusetzen haben als in Deutschland.
Heute hat die französische Regierung bereits die nach den Massenstreiks vom 10. März abgebrochenen Lohnverhandlungen wieder aufgenommen. Renaud Dutreuil, Minister für den öffentlichen Dienst, traf sich in Paris mit den VertreterInnen der sieben größten Gewerkschaftsverbände, um nun die Gehälter der 5,2 Millionen Staatsbediensteten auszuhandeln. Die Argumente der GewerkschafterInnen, daß die Real-Löhne seit 2000 inflationsbedingt um fünf Prozent gesunken sind, haben dabei wenig Gewicht. So fordern sie aus einer schwachen Position heraus lediglich eine Erhöhung um 1,8 Prozent, womit wenigstens die aktuelle Inflationsrate ausgeglichen würden. Sie bieten damit de facto eine Nullrunde an.
Von der französischen Regierung war zuletzt eine Lohnerhöhung von lediglich einem Prozent angeboten worden, wobei diese zudem auf zwei Teilschritte mit jeweiligen Erhöhungen um 0,5 Prozent zum 1. Februar und zum 1. November gestreckt werden sollte. Die VertreterInnen der französischen Gewerkschaften erinnern die Regierung zwar an die "Mobilisierung" der vergangenen Wochen, hüten sich jedoch davor, mit weiteren Streiks zu drohen. Spekulationen gehen dahin, daß sie auf die unverbindlich geäußerte Kompromiß- bereitschaft des französischen Premiers Jean-Pierre Raffarin und als Verhandlungsmasse auch für einen "guten" Lohnabschluß auch bereit seien, vor der bevorstehenden Volksabstimmung über die EU-Verfassung einen Schwenk zu vollziehen.
Harry Weber