oder: Auf dem Weg in die autoritäre Gesellschaft
Da behaupte noch einer, die alte und neue Bundesregierung, die
ihre Bestätigung mehrheitlich weiblichen
Wählern verdankt, sei nicht an der Überwindung
traditioneller Geschlechterrollen interessiert. Hat doch die
Hartz-Kommission nach entsprechender Kritik brav ihre
Wortwahl geändert. Nicht "Familienväter" sollen nun bevorzugt
vermittelt werden. Jetzt heißt es: "Arbeitslose, die besondere
Verantwortung für abhängige betreuungsbedürftige Personen
oder Familienangehörige tragen". Schön.
Schließlich hat die amtierende Bundesregierung "Gender
Mainstreaming" zum durchgängigen Prinzip ihres
Regierungshandelns in allen Politikfeldern erhoben. Gender
Mainstreaming bedeutet nach der regierungsamtlichen Definition,
"bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen
Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von
vorneherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine
geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt"
(www.gender-mainstreaming.net). Die Bundesregierung hat sich
sogar per Kabinettsbeschluss zur "Verwirklichung von
Geschlechterdemokratie" verpflichtet.
"Alle gesellschaftlichen Vorhaben", das wäre wohl auch die
Reform der Arbeitsverwaltung gewesen. Ohnehin wurde von der
Hartz-Kommission Innovation erwartet - was wäre also
naheliegender, als Gender Mainstreaming zur Geltung kommen
zu lassen? Die Fakten: Unter den 15 Mitgliedern der
Kommission befindet sich eine Frau. Von Gender Mainstreaming
ist in den Ausarbeitungen nicht einmal die Rede. Gerade mal die
"Familienväter" wurden geändert.
Nur: Wer sind "Arbeitslose, die besondere Verantwortung für
abhängige betreuungsbedürftige Personen tragen"? Familienväter,
Alleinerziehende auch. Und Mütter, deren Ehemänner arbeiten?
Wer wird bevorzugt vermittelt, wenn beide Eltern in einer Familie
arbeitslos sind? Die Frau? Der Mann? Beide?
Wenn die Hartz-Kommission eine Fehlinterpretation tatsächlich
hätte ausschließen wollen, hätte sie dies vor dem Hintergrund der
langen und fortwirkenden Diskriminierung von Frauen auf den
Arbeitsmärkten sehr deutlich zum Ausdruck bringen müssen.
Stattdessen widmet sie vielen Gruppen von Arbeitslosen
ausführliche Beachtung; das Geschlechterproblem findet
hingegen keinerlei Erwähnung - bis dahin, dass konsequent
immer nur von männlichen Arbeitslosen und Arbeitnehmern die
Rede ist.
Überhaupt liegt die Botschaft des Berichts zur Geschlechterfrage
vor allem in dem, was nicht empfohlen wird. Peter Hartz wurde
der Öffentlichkeit durch das so genannte VW-Modell bekannt:
eine Arbeitszeitverkürzung zur Vermeidung von
Massenentlassungen. Ein Modell, das gleichzeitig Menschen
mehr Zeit zum Leben und Eltern mehr Zeit für ihre Kinder lässt.
Die Kommission hätte an dieses Modell anknüpfen können.
Etwa indem sie eine besondere Förderung von
Arbeitszeitverkürzungen in Klein- und Mittelbetrieben aus
Mitteln der Arbeitslosenversicherung vorschlägt. Doch sie
konzentriert sich ganz auf Leiharbeit, Ich-AGs und Minijobs,
also Beschäftigungsformen im Niedriglohnsektor. Auch die Art
der Förderung von Minijobs in Privathaushalten geht zu Lasten
der dort arbeitenden Frauen. Ihnen wird der Status der
"Zuverdienerin" zugewiesen. Längst liegen Konzepte für
Dienstleistungsagenturen vor, die Haushalte beliefern und dafür
Angestellte beschäftigen. Frauenverbände empfahlen sie der
Kommission - ohne Wirkung.
Sie hätte, wenn es ihr wirklich um Arbeitsplätze auch für
arbeitslose Frauen gegangen wäre, eine familienfreundliche
Personalpolitik anregen können. Beschäftigungsbilanzen werden
von der Kommission zwar vorgeschlagen, aber ohne die Frage
geschlechterdemokratischer Personalentwicklung.
Die personelle Besetzung der Hartz-Kommission als
"Gruppenbild mit Dame" ist Ausdruck ihrer
wirtschaftsdominierten Ausrichtung: Im Vergleich zu den
Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden ist sogar das
"Arbeitnehmerpatriarchat" Gewerkschaft geradezu eine
Avantgarde der Geschlechterdemokratie. Die Repräsentation
der Gewerkschaften im Verwaltungsrat der Bundesanstalt für
Arbeit ist eine Domäne von Gewerkschaftsfrauen - auch weil der
männlich dominierte Funktionärskörper der Gewerkschaften
Arbeitslosigkeit nicht als gewerkschaftliche Kernaufgabe ansieht.
Die Entmachtung der Gewerkschaften in der Arbeitsmarktpolitik
bedeutet nicht nur die Machtübernahme durch die Wirtschaft,
sondern auch die Verdrängung von Frauen aus einem Politikfeld,
in dem sie sich einen vergleichsweise hohen Einfluss verschafft
hatten.
Nicht nur die personelle Besetzung der Hartz-Kommission, auch
deren Konzept zur Reform der Arbeitslosenversicherung hat eine
Tendenz zur Enteignung. Sie verbirgt sich unter harmlosen
Etiketten wie "Doppelter Kundenauftrag: Arbeitssuchende und
Arbeitgeber". Die Arbeitslosen- versicherung ist nicht mehr eine
Sozialversicherung, sondern ein finanzieller und personeller Pool,
auf den die Arbeitgeber den gleichen Zugriff haben wie
diejenigen, die diesen Pool mit ihren Lohnabzügen speisen.
Zudem hat dieser "Kundenauftrag" eine höchst merkwürdige
Form. Den Arbeitssuchenden gegenüber präsentiert er sich
durch Disziplinierung, Drohung, Auflagen und Zwang. Den
Arbeitgebern hingegen präsentiert er sich höflich und
zuvorkommend: Er enthält weder eine Meldepflicht für offene
Stellen noch andere einklagbare Verpflichtungen. Und nicht nur
das: Unter neuen Vokabeln offeriert die Kommission genau das,
was die Arbeitgeber seit langem fordern, einen
Niedriglohnsektor mit minderen sozialen Rechten. Aus dem
können sie sich nicht nur mit Arbeit zum Billigtarif versorgen - er
wird ihnen auch noch aus Mitteln der Arbeitslosen- versicherung
finanziert.
Die Protagonisten der Hartzschen Wende am Arbeitsmarkt
betonen die revolutionäre Substanz des Gesamtkonzepts, die
nicht mit Detailkritik an einzelnen Komponenten zerredet werden
dürfe. Was die Kommission annähernd der Hälfte derjenigen, die
Beiträge an die Arbeitslosen- versicherung entrichten, und auch
annähernd der Hälfte der Arbeitslosen zu bieten hat, ist kein
Detail. Aber mit einem nachholenden Gender Mainstreaming ist
es bei diesem Kommissionsbericht nicht getan. Denn in seiner
Gesamtheit hat er die Tendenz nicht nur zur Frauenfeindlichkeit,
sondern zu einer autoritären Gesellschaft, die nach unten tritt und
nach oben buckelt. Zwischen Androzentrismus und
Autoritarismus besteht seit jeher ein enger Zusammenhang.
Deshalb ist die Frauenfrage ein empfindlicher Seismograf für den
Fortschritt oder den Rückschritt einer Gesellschaft im
Bewusstsein der Freiheit. Charles Fourier und August Bebel war
das noch klar - Gerhard Schröder allem Anschein nach nicht
mehr.
Ingrid Kurz-Scherf