Ein Interview mit der Schülerin Bettina Fricke, Mitorganisatorin der Anti-Kriegs-Demo in Lahr
Seit wann, wieviele Tage oder Wochen vor dem 20.03., dem Tag X, war der ja
immer deutlicher angekündigte Irak-Krieg an Deiner Schule
Gesprächsthema?
Spätestens im Januar war das an meiner Schule unter den SchülerInnen
Gesprächsthema. Einer der Anstöße war das Bin-Laden-Video. Überwiegend wurde der
Standpunkt vertreten: "Die suchen nur nach einem Grund". Auch als sich
abzeichnete, daß der Krieg unter Bruch des Völkerrechts begonnen werden könnte,
war das für viele eine entscheidende Frage. In dieser Zeit wurde ein Flyer in Freiburg
verteilt, in dem dazu aufgerufen wurde, Antikriegskomitees und
Organisationsteams an den Schulen zu gründen. Darin ist auch von Schulstreik und
Demonstrationen um 11 Uhr am Tag X die Rede. Viele meinten "Mit Demos verhindern
wir einen Krieg auch nicht mehr. Aber selbst wenn das so ist: es geht ja auch darum,
Widerstand zu zeigen! Es ist schließlich ein Unterschied, ob Bush das Völkerrecht bricht
und ohne Beweise Krieg führt und die Welt schweigt, oder ob sich weltweit die Menschen
erheben und zeigen, daß sie das nicht akzeptieren. Und dann hat das Argument, daß
man den Politikern, die gegen Krieg sind, den Rücken stärkt, auch einige überzeugt.
Seid Ihr unabhängig von den LehrerInnen miteinander ins Gespräch gekommen?
Ging es von SchülerInnen aus, die bereits in der SMV / im SchülerInnenrat
aktiv waren / sind oder wurden durch den immer wahrscheinlicher werdenden
Irak-Krieg auch andere aktiv?
Es ging von uns SchülerInnen aus. Die SMV spielte keine besondere Rolle. Daß
irgendwelche linken Gruppen die Schulstreiks "gemanagt" hätten, wie vielfach
behauptet wurde, kann ich zumindest für die Schulen in Lahr nicht bestätigen.
Es hieß auch, von Seiten der LehrerInnen sei das Thema Krieg so oft im
Unterricht zur Sprache gebracht worden, daß es vielen bereits "zum Hals heraus
hing"?
Also bei uns war der Irak-Krieg nur zweimal Thema - einmal in dem einen, einmal in einem
anderen Unterrichtsfach. Von "viel" kann gar nicht die Rede sein. Allerdings war dieser Krieg
selbst eine Art "Initialzündung", die dazu veranlaßte, etwas zu tun. Denn nichts zu tun, hieße ja stille Zustimmung.
Wie seid Ihr mit der in der Friedensbewegung und in der Linken heftig
diskutierten Frage umgegangen, ob ein Nein zum Irak-Krieg nicht zugleich
eine Unterstützung des irakischen Regimes bedeuten würde? Oder war das
bei Euch kein Thema?
Es war schon eines der Diskussionsthemen: "Wie kann Saddam Hussein sonst
gestürzt werden ?" Die meisten waren der Meinung, daß er gestürzt werden müsse -
aber nicht mit Krieg.
Vermutlich wurde es auch an Eurer Schule kontrovers diskutiert, ob bereits
am Vormittag demonstriert werden sollte - also auch evtl. Repressalien in Kauf
genommen werden - oder lieber "brav" erst nach Schulschluß, dann aber mit
weniger Öffentlichkeitswirkung?
Das wurde zwar diskutiert und wir waren zunächst mehrheitlich dafür, vormittags
zu demonstrieren. Wir hatten aber ein Gespräch mit dem Rektor, bei
dem er argumentierte, wem die Sache wichtig sei, könne auch am Nachmittag zur
Demonstration kommen. Dann kam noch die Schwierigkeit dazu, daß wir nicht
vorhersehen konnten, ob der Kriegsbeginn, der Tag X, in die Schulferien fallen
würde, wir aber einen Zeitpunkt für die Demo auf einem Flugblatt veröffentlichen
wollten. Also beschlossen wir für eine Demo um 17 Uhr zusammen mit dem
Lahrer Friedensforum aufzurufen.
War Euch am 20.03. vormittags bekannt, daß vom baden-württembergischen
Kultusministerium über die Schulämter die Anweisung gegeben worden
war, "Schulstreiks" - also Anti-Kriegs-Demos während der Schulzeit, zu
unterbinden?
Davon habe ich erst viel später erfahren.
Wie beurteilst Du die Haltung der Bundesregierung? Sind deren Friedensbekenntnisse
glaubwürdig? Spielt für Dich und SchülerInnen Deines Alters
bei der Beurteilung dieser Frage die Rolle Deutschlands im Kosovo-Krieg
und im Afghanistan-Krieg eine Rolle?
Das ist sehr unterschiedlich. Für mich spielt beispielsweise ein starke Rolle,
daß ich Schröder selbst auf einer Wahlkampfveranstaltung erlebte. Ich hatte den
Eindruck, daß er erst durch die breite Stimmung in der Bevölkerung ein Nein zum
Irak-Krieg in den Mittelpunkt des Wahlkampfs gerückt hat.
Ich kann mich auch daran erinnern, daß er Amerika nach dem 11. September 2001
"uneingeschränkte Solidarität" zugesichert hat. Also daß er nicht GENERELL gegen
Kriege ist.
Wie schätzt Du die weitere Entwicklung ein? Die große Beteiligung an den
Anti-Kriegs-Demos von SchülerInnen war ja für alle Seiten sehr überraschend.
Am 20.03. waren auf dem Augustinerplatz in Freiburg rund 10.000 junge
Menschen - wohl überwiegend SchülerInnen.
Sind Eure Jahrgänge politischer als die, die jetzt zwischen 20 und 25 sind,
noch neu im Berufsleben, arbeitlos sind oder gerade studieren?
Auf jeden Fall will ich mal sagen, daß wir SchülerInnen selbst entscheidend für
die starke Mobilisierung zu den Demos waren. Die hohe Beteiligung an den Demos
wird wahrscheinlich auch der Empörung über den Völkerrechtsbruch und die
mangelnden Beweise zuzuschreiben sein. Ein Krieg wird eher akzeptiert, wenn
triftige Gründe vorliegen.
Ob unsere Jahrgänge politischer sind? Schwer zu beurteilen, aber es scheint mir
schon ein bißchen so. Früher gab es ja z.B. die linken StudentInnen die sehr aktiv
waren. So was gibt es ja heute nicht mehr so. Und es ist ja schon sehr auffällig,
daß bei den Demos sehr viele SchülerInnen waren.
Wie meinst Du wird die Resonanz bei Euch SchülerInnen zu den Ostermärschen
sein?
Es wird eher weniger los sein, weil sehr viele das einfach nicht gewußt haben.
Dazu kommt, daß es recht umständlich ist, nach Stuttgart zu kommen.
Aber ich denke, wichtig ist, daß auch wir als SchülerInnen gezeigt haben, daß wir
gegen diesen Krieg sind. Und daß das so ist, war bei den Demonstrationen
Anfang des Jahres ja deutlich zu sehen! Zudem habe ich vor, mich weiter beim
Lahrer Friedensforum zu beteiligen.
Danke für das Gespräch.
Das Interview führte Klaus Schramm, der sich an dieser Stelle dafür entschuldigt, daß bis zur
Veröffentlichung so viel Zeit verging.