Libyen will respektabel werden
Jetzt hat er es auf seine alten Tage doch noch geschafft, lobend von einem Präsidenten der USA, und zwar ausgerechnet von George W. Bush, in einer Pressekonferenz erwähnt zu werden. Das hätte sich der alte Revolutionär wahrscheinlich vor 10 oder 15 Jahren noch nicht träumen lassen. Womöglich hätte er sich in dieser Zeit noch selbst hingerichtet für seine jetzige Politik. Präsident Reagan, zugegeben ein Freund drastischer bibelorientierter Ausdrucksweise, nannte ihn noch "das Böse schlechthin" und "durchgeknallt". Nicht ganz falsch, wenngleich nicht nur auf Gaddafi zutreffend.
Jetzt hat der "Revolutionsführer" zugestimmt, daß Libyen seine Massenvernichtungswaffen, die es teilweise hatte, teilweise plante, vernichtet und uneingeschränkt Inspekteure der UNO und der Internationalen Atomenergiebehörde ins Land läßt. Den Überlebenden und den Angehörigen der Toten von Lockerbie sollen Entschädigungen gezahlt werden und es soll - wie die Presse, vor allem der britische Observer - berichtete, libysche Geheimdienstberichte an die entsprechenden US-Stellen übergeben werden bzw. übergeben worden sein, die sich mit der Organisation Al Qaida und anderen befassen. Die Spezialisten der CIA und des FBI sollen wie elektrisiert sein. Da ließ es sich George Bush nicht nehmen, den Obersten Gaddafi als nachahmenswertes Beispiel für andere vergleichbare Fälle in der Welt zu nennen. Allerdings: Jenseits der guten Worte, die der Präsident schon mal leicht übrig hat, wird Gaddafi noch etwas warten müssen. Das Embargo bleibt vorerst bestehen und die USA haben weitere Bedingungen nachgelegt. Wenn überhaupt, so werden es wohl die Geschäftsinteressen der US-Firmen sein, die Libyen aus der Isolation herausführen.
In der deutschen Presse wird des Obersten Gaddafi Sinneswandel ziemlich monokausal auf die
jüngsten Ereignisse in Nahost zurückgeführt. Vor allem die Interventionen in Afghanistan und Irak sowie das unrühmliche Ende des "allmächtigen" Diktators Saddam seien für Gaddafi eine Warnung gewesen. Das dürfte nicht ganz falsch sein, doch war schon seit Jahren zu bemerken, daß sich die libysche Politik geändert hatte, sowohl in der Praxis als auch in der Rhetorik des Revolutionsführers selbst. Ein offenbar etwas geistreicher Zeitungskommentator kam auf die Idee, die US-Ansichten zu Libyen mit dem Verhalten gegenüber einem "trockenen Alkoholiker" zu vergleichen, zwar im Moment trocken, aber jederzeit rückfallgefährdet.
Fakt ist, daß Libyen seit Jahren jede operative und - soweit man das erkennen kann - auch jede finanzielle und logistische Unterstützung von Terrorgruppen eingestellt hatte. Der Zeitpunkt, zu dem das geschah, führt politisch wohl auf die richtige Spur. Es war zum Wechsel von den 80ern zu den 90ern, als sich auf der Welt so manche Dinge zu verändern begannen. Der osteuropäische Sozialismus zerfiel und mit ihm auch die abhängigen Revolutionsregime in Nikaragua, Äthiopien, Mosambik, Angola usw. Wo die entsprechenden Parteien an der Macht blieben, wandelten sie sich selbst. Die MPLA wurde neoliberal und selbst John Jerry Rawlings führte das Mehrparteiensystem ein. Die verstockten Regime waren keine Alternativen mehr, sondern wurden zu ärgerlichen Despotien, wie etwa Simbabwe.
Ungefähr in dieser Zeit änderte auch das Revolutionsregime in Libyen seinen Charakter. Zunächst gab es seinen "weltrevolutionären" Anspruch auf, behielt die entsprechenden Kontakte nur noch, um tatsächlich zu vermitteln, wie im Falle philippinischer Guerilleros oder in Algerien. Vorbei die Zeiten, da die im berühmt-berüchtigten "Grünen Buch" niedergelegten sozialrevolutionären Islam-Interpretationen des Obersten Gaddafi, der gern so tat, als sei er nur einer von vielen Gleichen in Libyen, zu einer Art muslimischer Mao-Bibel geworden waren. Hier war zweifellos die Einsicht in die Notwendigkeit hilfreich für die Meinungsbildung.
Doch darf man nicht übersehen, daß sich auch in Libyen selbst die Dinge seit 1969, als der damalige Obrist den König Idris al-Senussi stürzte, erheblich geändert hatten. Die Gefahr einer Restauration war objektiv nicht mehr gegeben. Die Libyer selbst hatten meistens von dem neuen Regime profitiert, das eine umfassende wirtschaftliche, begrenzt auch gesellschaftliche Modernisierung in Gang gesetzt hatte, die zeitweilig üppig sprießende Ölrente gab den materiellen Spielraum für ein umfassendes Sozialsystem, nur die bisweilen sprunghafte, unberechenbare Rhetorik und Politik des Revolutionsführers, der in den 80ern die libysch-arabische Volksjamahiriya eingeführt hatte, war lästig. Doch im Laufe der Zeit hatte sich eine neue Oberschicht in Libyen herausgebildet, die längst den Platz der alten eingenommen hatte und ihre eigenen materiellen und Selbsterhaltungsinteressen verfolgte. Gaddafis Sohn betätigte sich als Fußballsponsor in Großbritannien, zu Anfang durchaus skeptisch beurteilt, aber mittlerweile akzeptiert.
Oberst Gaddafi hat daher das getan, was Libyen jetzt tun mußte. Jeder andere Weg wäre erstens aus innerlibyschen Gründen undurchführbar gewesen und zweitens international abenteuerlich. Ärgerlich nur, daß sein Einlenken jetzt von Bush und Blair als Erfolg ihrer Politik verkauft werden kann.
Gaddafi selbst und auch die Arabische Liga haben nun aber erfreulicherweise den Spieß umgedreht. Sie "regten an", daß nun auch Israel sich den internationalen Gepflogenheiten beugen sollte und seine Atomwaffen, die es nämlich im Unterschied zu den Arabern nicht nur plant, sondern auch hat, wirklich verschrottet - und zwar unter internationaler Kontrolle. Ariel Scharon wird natürlich den Teufel tun und Bush ihn einstweilen nicht fallen lassen. Doch propagandistisch wird die Lage für die Rassisten aus Jerusalem und Tel Aviv immer schwieriger. Das wird nicht ohne Folgen bleiben.
Charly Kneffel
Nachveröffentl. aus www.rbi-aktuell.de