Argentinischer Gewerkschaftschef hat Betriebsräte
ans Messer geliefert. IG-Metall-Chef stellt sich stumm
In einem offenen Brief forderten 70 Betriebsräte und
Vertrauensleute verschiedener Daimler-Chrysler-Werke
vergangene Woche an den amtierenden Präsidenten des
Internationalen Metallarbeiter-Bundes (IMB) Klaus Zwickel -
hierzulande IG-Metall-Chef - die sofortige Suspendierung des
IMB-Vizepräsidenten, José Rodríguez. Er soll als Präsident der
argentinischen Metallgewerkschaft SMATA während der
Militärdiktatur vor 25 Jahren Betriebsräte gegen Geld ans
Messer geliefert haben.
Nach dem Putsch der argentinischen Militärs 1976 wurden 15
Betriebsräte des Daimler-Werks in González Catán im
Bundesdistrikt Buenos Aires verhaftet, verschleppt und
gefoltert. Lediglich zwei der aus dem Betrieb Verschleppten
überlebten die Folterhaft. Nicht nur die damalige
Geschäftsleitung von Daimler-Benz, die »Störenfriede« im
Betriebsrat mit Hilfe der Militärs loswerden wollte, sei in die
Vorfälle verwickelt gewesen, eine unrühmliche Rolle habe
seinerzeit auch die Metallgewerkschaft SMATA gespielt, heißt
es in dem Brief. Rodríguez, damals wie heute Präsident der
SMATA, habe in dieser Zeit ein offizielles Tarifabkommen mit
Daimler-Benz abgeschlossen, in dem er und die Gewerkschaft
Mithilfe bei der »Auslöschung negativer Elemente im Betrieb«
zugesagt hätten. Im Gegenzug soll Daimler-Benz Zahlungen in
Höhe von einem Prozent des Konzernumsatzes in einen
SMATA-Geheimfonds entrichtet haben, über den allein
Rodríguez verfügt habe.
»Dank intensiver journalistischer Recherchen ist all dies heute
ebenso belegt wie die Rolle der Geschäftsleitung von
Daimler-Benz«, erklärte Tom Adler, Daimler-Betriebsrat in
Stuttgart-Untertürkheim und Mitunterzeichner des offenen
Briefes, am Freitag gegenüber 'junge welt'. Gegen die Militärs,
Daimler-Manager und Rodríguez laufe in Argentinien seit
vergangenem Jahr ein Gerichtsverfahren wegen Bildung einer
kriminellen Vereinigung. »Obwohl diese Vorgänge bereits im
Vorfeld des letzten IMB-Kongresses 2001 in Sydney bekannt
waren, wurde Rodríguez wieder ins Präsidium des
Internationalen Metallarbeiterbunds gewählt - nicht zuletzt
aufgrund der Unterstützung der Vertreter der IG Metall«,
erläuterte Adler. Mittlerweile hätten auch Vertreter von
österreichischen, italienischen, französischen und spanischen
Metallarbeitergewerkschaften eine Untersuchung zur
Zusammenarbeit von Rodríguez mit den argentinischen Militärs
beantragt. Außerdem sei auf einer Veranstaltung der
brasilianischen Metallarbeitergewerkschaft CNM beim
Weltsozialforum in Porto Alegre im Januar ein entsprechendes
Schreiben an Klaus Zwickel mit der Forderung nach der
sofortigen Suspendierung von Rodríguez beschlossen worden.
Geschehen sei nach Aussage Adlers bislang allerdings noch
nichts.
»Uns fehlt jedes Verständnis dafür, daß Rodríguez trotz seiner
Rolle während der Militärdiktatur und bei der Ermordung
unserer argentinischen Kollegen unbehelligt in Amt und
Würden bleibt und offenbar auch noch besonderen Schutz
durch den IMB-Präsidenten Klaus Zwickel genießt«, empörte
sich Adler. »Wer wie die IG Metall die entschiedenste aller
Menschenrechtsbewegungen sein will, darf keine Komplizen
der Todesschwadronen der argentinischen Militärs in den
höchsten internationalen Gremien der Metallarbeiter dulden.«
In der Frankfurter Gewerkschaftszentrale sieht man in der
Angelegenheit vorerst keinen Handlungsbedarf. Dort waren
am Freitag weder IG-Metall-Chef Zwickel noch ein anderes
Vorstandsmitglied bereit, gegenüber 'junge welt' Stellung zu
den Vorwürfen zu nehmen. Auskunftsfreudiger zeigte sich
lediglich Pressesprecher Claus Eilrich. Rodríguez sei auf der
letzten Sitzung des Exekutivausschusses des IMB mit den
Vorwürfen konfrontiert worden und habe nun bis zur nächsten
Sitzung am 15. Mai Zeit, sich zur Sache zu äußern. Auf
besagter Sitzung werde auch der Generalsekretär des
Metallerdachverbands, der Anfang Mai nach Argentinien reisen
wird, in der Angelegenheit Bericht erstatten. Auf dieser
Grundlage werde der Exekutivausschuß das weitere Vorgehen
entscheiden, das zum jetzigen Zeitpunkt noch völlig offen sei,
fügte Eilrich hinzu.
»Statt abzuwarten, sollte die IG-Metall-Führung klar Stellung
beziehen, denn die Vorwürfe gegen Rodríguez sind schon über
zwei Jahre alt«, kommentierte Betriebsrat Adler die Haltung
der Gewerkschaftsspitze. Man werde in den nächsten Wochen
den offenen Brief weiter bekanntmachen, um den Druck auf die
IG-Metall-Führung zu erhöhen.
Martin Höxtermann