Am 18. April treten EU-Vorschriften zu Gen-Food in Kraft - bundesweite Großdemo gegen Gentechnik in Stuttgart
Am 18. April treten die Vorschriften der Europäischen Union über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel (EU-Verordnung Nr. 1829/ 2003) und über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von GVO (EU-Verordnung Nr. 1830/ 2003) in Kraft. Selbst aus den Reihen der SPD wird "mit Sorge gesehen", daß es hierzu in Deutschland noch keine Durchführungsvorschriften und kein zentrales Register gibt. Dabei war das Gentechnik-Gesetz von Ministerin Renate Künast bereits für September 2003 angekündigt.
Was haben die EU-Verordnungen mit dem Gentechnik-Gesetz zu tun? Mit deren Inkrafttreten sollen nach sechs Jahren Unfreiheit die VerbraucherInnen endlich die Wahl haben zwischen gentechnik-freien Nahrungsmitteln und Gen-Food - das sie mehrheitlich gar nicht wollen. Gen-Food muß gekennzeichnet werden und diese Kennzeichnung soll durch die Rückverfolgbarkeit "vom Supermarkt-Regal bis zurück zum Acker" nachvollziehbar sein. Zweck dieses Manövers ist allerdings nicht die Beglückung der VerbraucherInnen, sondern der Fall des noch zu Zeiten der Kohl-Regierung auf EU-Ebene beschlossenen Gen-Moratoriums.
Es wird damit argumentiert, mündige BürgerInnen könnten nunmehr per "Abstimmung mit dem Einkaufskorb" selbst entscheiden, was nachgefragt - ergo: was auf dem Acker angebaut wird. Damit könne nun also der Anbau-Stop für Gen-Pflanzen, das seit sechs Jahren bestehende Gen-Moratorium, fallen und den Gentech-Konzernen Bayer, Monsanto oder Syngenta die Zulassungen für den kommerziellen Anbau ihrer Gen-Pflanzen erteilt werden. Mit dem Gentechnik-Gesetz soll dabei gewährleistet werden, daß ein Nebeneinander von Gen-Pflanzen auf dem einen Feld und konventionell oder biologisch angebauten Pflanzen auf dem anderen Feld, die sogenannte Koexistenz, auch in der Praxis funktioniert.
Nun hat sich jedoch seit Mitte letzten Jahres immer mehr herumgesprochen, daß diese "Koexistenz" wegen Pollenflug und unvermeidlicher Vermischung in Erntemaschinen und bei der Lagerung nicht funktionieren kann. Wie die Beispiele USA und Kanada zeigen, sind die gentechnischen Veränderungen der Gen-Pflanzen in kurzer Zeit überall zu finden. Damit ist es dann auch nach wenigen Jahren mit der Wahlfreiheit im Supermarkt zu Ende, denn nach und nach müßten alle Nahrungsmittel mit dem Label "Enthält genveränderte Bestandteile" verziert werden.
Da Ministerin Künast letzten Herbst fürchtete, es könne allzu deutlich werden, daß sie mit dem Gentechnik-Gesetz den ersten Schritt zur Aufhebung des Gen-Moratoriums vollziehen würde, spielte sie auf Zeit. Und sogar die 'taz', die Renate Künast sonst als Streiterin wider die Gentechnik feiert, kommentierte am 2. Oktober letzten Jahres: "Diese unpopuläre Ankündigung überläßt man wohl lieber der EU-Kommission". So wurde der Entwurf erst im Januar ins Bundeskabinett eingebracht und das Gesetz, das nicht leisten kann, was es zu leisten verspricht, wird zur Zeit im Bundesrat von der Opposition zu allem Überfluß verwässert. Beispiel: Eine Haftungsregelung in Künasts Gentechnik-Gesetz hätte es einem Bio-Bauern erlaubt, einen Nachbarn zu verklagen, der durch seinen Anbau von Gen-Raps den eigenen Bio-Raps unverkäuflich machte. Er hätte nun jahrelang gegen die Heerscharen von Hausjuristen des am Anbau des Gen-Raps interessierten Gen-Konzerns prozessieren dürfen, bis ihm das Geld ausgegangen wäre. Dies traurige Chance soll ihm nun durch entsprechende Änderungen des Gentechnik-Gesetzes im Bundesrat genommen werden, weil die Opposition meint, "Rot-Grün" bei der Anbiederung an die Gen-Konzerne so übertreffen zu können.
Tatsächlich jedoch fällt das Gen-Moratorium auch am 18. April noch nicht. Da es sich dabei de facto um einen Anbau-Stop handelt, ist der entscheidende Zeitpunkt die Zulassung einer Gen-Pflanze für den kommerziellen Anbau - genau genommen: Erst der Anbau selbst und die irreversible Ausbreitung der manipulierten Gene in die Umwelt wären dessen Ende. Es kann also nicht um die mehr oder weniger strenge Ausgestaltung des Gentechnik-Gesetzes gehen, die derzeit im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion steht, sondern entscheidend ist der Erhalt des Gen-Moratoriums.
Ebenso irrig wie die Annahme mit einem wie auch immer gearteten Gentechnik-Gesetz könne eine "Koexistenz" auf den Äckern gewährleistet werden, ist ein Hoffen auf positive Wirkungen der Kennzeichnung. "Das Kleingedruckte könnte den Albtraum der Gentech-Industrie wahr machen und dafür sorgen, daß der Anbau von Gentech-Pflanzen deutlich zurückgeht," meint Doris Tropper, stellvertretende
Vorsitzende des BUND (Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland). Tatsächlich werden künstlich niedrig gehaltene Preise die knapp 30 Prozent der VerbraucherInnen, denen genmanipulierte Bestandteile in ihrer Nahrung gleichgültig sind, zum Kauf von Gen-Food verlocken. Ein heute in Europa nicht vorhandener Anbau von Gen-Pflanzen wird also nicht "deutlich zurückgehen", sondern im Gegenteil: Er wird beginnen und so seinen Absatzmarkt finden.
Zudem gibt es bereits heute einen Absatzmarkt beispielsweise für Gen-Soja aus Brasilien, das in Europa als Tierfutter eingesetzt werden darf. Zu Recht weist der BUND darauf hin, daß bestimmte Gentech-Lebensmittel nicht gekennzeichnet werden müssen: Fleisch, Milch, Käse, Joghurt, Eier und andere Produkte von Tieren, die mit genmanipulierten Futtermitteln gemästet wurden. Fällt das Gen-Moratorium, können diese Futtermittel in Europa angebaut werden, gleichgültig welche Schokoriegel in die Einkaufskörbe wandern. 80 bis 90 Prozent aller weltweit angebauten Gen-Pflanzen werden als Tierfutter eingesetzt. Entsprechend gering ist der Einfluß einer "Abstimmung mit dem Einkaufskorb".
Glücklicher Weise wächst der Widerstand. Und wenngleich sich die großen Umweltverbände wie BUND, Greenpeace, NABU oder WWF noch immer auf das Gentechnik-Gesetz konzentrieren, statt sich für den Erhalt des Gen-Moratoriums einzusetzen, haben sich eine ganze Reihe kleinerer Verbände zusammengeschlossen, um am Sonntag, 18. April, in Stuttgart eine bundesweite Großdemonstration auf die Beine zu stellen. Motto: "Wir bleiben sauber - Keine Gentechnik in der Landwirtschaft und in den Lebensmitteln". Und im Aufruf ist unmißverständlich formuliert: "Bienen, Insekten und Pollen machen an den Feldgrenzen nicht halt. Ist die Gentechnik erst einmal auf unseren Feldern, ist dieser Weg nicht mehr umkehrbar. Ein Nebeneinander in Koexistenz ist nicht möglich!"
Die Demonstration beginnt um 11 Uhr am Marienplatz und eine Kundgebung ist für 13.30 Uhr am Schloßplatz vorgesehen. Weiter Infos unter:
www.gentechnik-freie-landwirtschaft.de
Klaus Schramm