Vorbemerkung:
Hier ein interessanter Artikel aus der Schweiz. Insbesondere zum
Stand der Scheizer Volksabstimmung über das dortige Gen-Moratorium
ist hier in Deutschland kaum je etwas zu erfahren. Voraussichtlich
sollen die SchweizerInnen nun am 27. November über dessen Fortbestand
entscheiden.
Gentechnologie und Landwirtschaft
Ein Leben für gutes Mehl
Von Sacha Batthyany
Seit einem halben Jahrhundert kämpft Werner Schüpbach gegen den Einsatz
chemischer Düngemittel und die Marktmächtigen in der Landwirtschaft. Früher als
Biobauer, jetzt als Aktivist. Sein aktueller Feind ist die Gentechnologie.
In der Küche des achtzigjährigen Werner Schüpbach steht eine Getreidemühle aus
hellem Holz. Jeden Morgen leert er Getreidekörner oben in die Öffnung, dreht an
der Kurbel und fängt die Flocken und das Mehl mit einer Schüssel auf. Die
Flocken sind zäh, etwas trocken, aber gesund. So wie Biobauer Schüpbach auch.
Schüpbach ist ein Besessener. Für gesunde Nahrung kämpft er schon mehr als ein
halbes Jahrhundert. Zurzeit steckt er mitten in den Vorbereitungen für den
Abstimmungskampf zum Gentech-Anbau-Moratorium, über das voraussichtlich im
Herbst abgestimmt wird.
Vor achtzig Jahren wurde Werner Schüpbach auf einem Bauernhof bei Fehrenberg im
Kanton Bern geboren; mit 22 besuchte er die Landwirtschaftsschule in Münsingen,
die er mit Bestnoten abschloss. Damals sei er richtig stolz gewesen auf sich,
seinen Abschluss und sein Wissen. Doch er blieb es nicht lange.
Fünf Jahre später begleitete er einen benachbarten Bauern, den Stättler Rudolf,
nach Bern an einen Vortrag über biologischen Landbau. «Ich erkannte, dass die
Kunstdüngerlehre, die vor 140 Jahren vom Chemiker Justus Liebig entwickelt
worden war und seitdem bei uns an den Schulen gelehrt wird, ein Irrtum ist. Am
Ende dieses Vortrages hiess es, dass die chemischen Düngemittel durch die Böden
sickern und das gesamte Quellwasser verseuchen werden. Daran hatte ich nicht
gedacht. Das hatte uns aber auch niemand gesagt.» Schüpbach verstummt zum ersten
Mal an diesem Morgen und schüttelt den Kopf. «Der Vortrag in Bern war ein
Schlüsselerlebnis für mich.» Das war 1954, Schüpbach feierte seinen 27.
Geburtstag, und sein Leben hatte seine erste Zäsur.
Er fing an, den Hof der Eltern nach biologischen Kriterien zu bewirtschaften.
Statt Chemie mehr Handarbeit, statt unnatürlicher Zusätze nur lebendiger
biologischer Abfall. Und wieder kam alles anders: Schüpbach musste die Arbeit
wegen Herzrhythmusstörungen und Gelenkentzündungen nach vier Jahren beenden. Für
Schüpbach ist der Zusammenhang eindeutig. «Meine Gesundheitsprobleme kamen von
der ungesunden Ernährung. Ich ass damals, ohne darüber nachzudenken, was ich
ass.» Und dann sagt er etwas leiser: «Ich ass nur tote Nahrung. Alles tote
Nahrung.» Diesen letzten Satz wird Schüpbach im Verlaufe des Gesprächs noch
einige Male vor sich hersagen. Alles tote Nahrung.
«Das Mehl wird tot gemacht»
Bei allem, was Schüpbach später tat, blieb er der biologischen Landwirtschaft
treu. Er versuchte - meist vergeblich - befreundete Bauern zu bekehren und
Medien auf Missstände aufmerksam zu machen. Er las Bücher und Broschüren,
besuchte Vorträge, trat Organisationen bei. Schüpbach rüstete auf. Mit der Zeit
beschränkte sich seine Kritik nicht mehr nur auf den Einsatz chemischer
Düngemittel. Schüpbach ging es um eine ganzheitliche Betrachtung, um
übergeordnete Zusammenhänge zwischen Landwirtschaft, Ernährung und Gesundheit.
Der biologische Landbau war nur der Auslöser, war nur eine Schlacht unter
vielen. «Die meisten Konsumenten meinen, dass Lebensmittel, auf denen 'Bio'
draufsteht, automatisch gesund seien. Ein Irrtum.» Bei der industriellen
Herstellung von Brot beispielsweise werde nie das ganze Korn samt den Keimlingen
verwendet. Ausserdem gehe ein Grossteil der Vitalstoffe und der Enzyme beim
Erhitzen verloren. Das Mehl verliere an Vitaminen, Mineralien und
Spurenelementen. Schüpbach sagt: «Das Mehl wird tot gemacht.»
In der Schweiz essen nur sechs Prozent richtiges Vollkornbrot. Die anderen 94
Prozent, so Schüpbach, glauben, sie ässen Brot, in Tat und Wahrheit essen sie
«himmeltraurigen Industriefrass». Allergien, Erkrankungen der Verdauungsorgane,
auch Krebs, das sind die Folgen. Für Schüpbach ist das ausgemacht. «Oder nehmen
wir Diabetes-2. Diabetes-2 ist eine hochgradige Ernährungskrankheit, nur weiss
das niemand. Dabei steht alles in diesen Büchern.» Schüpbach zeigt mit dem
Finger auf eine Reihe dicker Bücher. Schüpbach sagt: «Wer die nicht gelesen hat,
weiss nichts.»
Prof. Felix Escher vom Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften
an der ETH Zürich sagt: «Seit der Industrialisierung haben ernährungsbedingte
Erkrankungen und Probleme im Zusammenhang mit der Gesundheit zugenommen. Das
stimmt. Wobei man relativieren muss: In erster Linie geht es nicht darum, wie
die Lebensmittel produziert werden, sondern wie man sich ernährt. Es geht um die
Ausgewogenheit, um den Mix. Einmal Fastfood pro Woche verursacht keine
gesundheitlichen Probleme, fünfmal schon. Und nicht alle industriell
hergestellten Nahrungsmittel sind schlechter als frische. Tiefgefrorener Spinat
beispielsweise hat gleich viel Nährwerte wie frischer Spinat, der zwei Tage lang
in einem Regal steht oder im Kühlschrank zuhause.» Auf die Gesundheit, so
Escher, hätten viele Faktoren Einfluss: Bewegungsmangel, Medikamente, Stress.
Ernährung sei nur einer davon.
Und bei Diabetes-2? Escher sagt: «Auch hier: Diabetes-2 ist eine
multifaktorielle Erkrankung. Die Ernährung ist nicht der alleinige Auslöser.
Übergewicht und Bewegungsmangel können ebenso zu einer Diabetes-2-Erkrankung
führen wie genetische Veranlagungen und Stoffwechselerkrankungen auch. Sonst
wäre jeder Diabetes-Patient selber schuld an seiner Erkrankung, und das stimmt
nicht.»
Der 80-jährige Schüpbach und der 62-jährige Escher; beide haben viele Bücher
gelesen. Wahrscheinlich nicht dieselben.
Schlüsselerlebnis bei Novartis
1998 hatte Schüpbach ein weiteres Schlüsselerlebnis, diesmal im Laborraum von
Novartis. Es war das Jahr der Genschutzinitiative. Novartis lud zum Dialog,
Schüpbach hörte sich die Fragen aus dem Publikum an, die Antworten von Novartis
auch und wusste in diesem Moment, dass die Genschutzinitiative abgelehnt werden
würde. «Von wegen Dialog. Kritische Fragen wurden nicht beantwortet. Novartis
sprach von Aids, von Parkinson und Krebs. Von einem Geschenk an die Menschheit,
der Forschung, der Zukunft. Was konnte man da entgegensetzen.» Aufgeben?
Niemals. Schüpbach zitiert Studien von französischen WissenschaftlerInnen, die
Veränderungen der Nieren bei Ratten beobachtet haben, die mit gentechnisch
verändertem Mais gefüttert worden sind. Er steht auf, zeigt Tabellen und Zahlen
und ist nicht zu stoppen. Es ist aussichtslos, ihm jetzt eine Frage zu stellen,
Pausen verhindert er geschickt: Ernährungsprobleme der Dritten Welt,
US-amerikanische Saatgutfirmen, Medizin, wachsender Fleischkonsum. Alles ohne
Unterbruch. «Seine Ausdauer und sein Engagement sind bewundernswert», sagt
Daniel Ammann, Geschäftsführer der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft
Gentechnologie. Ammann lud ihn ein, im Rahmen der aktuellen Moratoriumskampagne
gegen den kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln einen
Vortrag zu halten. «Schüpbach ist ein Initiator von neuen Ideen, einer, der nie
aufhört, Fragen zu stellen, zu recherchieren und Missstände aufzuzeigen.»
Gentechnologie und Rinderwahn
Der Keller in Werner Schüpbachs Haus ist gleichzeitig sein Archiv. Hier stehen
Kisten voller Zeitungen und Unterlagen wild durcheinander. Eine Lampe ohne
Schirm hängt auf Augenhöhe und blendet, die Wände sind kahl. Draussen stehen
Bretter, mit denen er Regale bauen will, um alles zu ordnen. Später. «In der
Gentechnologie müssen wir jetzt etwas unternehmen. Wir dürfen diesen
entscheidenden Moment nicht verpassen. Nicht wie damals beim Rinderwahnsinn.»
Rinderwahnsinn? 1970 habe ein befreundeter Futtermittelkontrolleur von der
schweizerischen land- und milchwirtschaftlichen Versuchsanstalt Bern-Liebefeld
festgestellt, dass sich Fleischabfälle im Viehfutter befinden. Der Kontrolleur,
der «Schneider Walter», habe verlangt, die Produktion einzustellen. «Er
informierte die Direktion und das Bundesamt für Landwirtschaft. Aber leider
vergeblich. Es gelang ihm nicht, diesen Wahnsinn aufzuhalten. Man hat ihn nicht
gehört oder nicht hören wollen. Ein ähnlich kritischer Zeitpunkt ist jetzt in
der Gentechnologie erreicht. Wir müssen die Gentech-Lobby stoppen und das
Moratorium durchsetzen. Wir haben noch viel Arbeit vor uns.» An Schüpbach liegts
nicht. Er ist kein bisschen müde - dem frisch gemahlenen Getreidemüsli sei Dank.
Gentech-Moratorium
Voraussichtlich am 27. November dieses Jahres wird über ein fünfjähriges
Moratorium gegen den kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten
Nahrungsmitteln abgestimmt. Die Chance, dass das Volk einem Anbaustopp zustimmt,
sei intakt, sagt Daniel Ammann, der Geschäftsführer der Schweizerischen
Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG). Sämtliche landwirtschaftlichen
Organisationen stünden dahinter. Das Moratorium verhindere jedoch nicht, dass
gentechnisch veränderte Lebensmittel in die Schweiz importiert werden können.
Die Ablehnung und Skepsis gegenüber genetisch veränderter Nahrung sei in der
Bevölkerung jedoch so gross, dass Import und Verkauf unwahrscheinlich seien.
Swissaid, die Schweizerische Stiftung für Entwicklungszusammenarbeit, stimmte
ihre Jahreskampagne «Gentechnologie in der Landwirtschaft» auf die
Moratoriumsdiskussion ab. Geplant sind mehrere Informationsveranstaltungen, bei
denen auch die Situation der Entwicklungsländer thematisiert wird.
WOZ vom 24.02.2005
http://www.woz.ch/artikel/2005/nr08/schweiz/11447.html