Vor wenigen Tagen gab die Brüsseler Behörde bekannt, daß sie europaweit "nicht dulden" werde, falls ein EU-Staat
Regionen ausweise, in denen keine genmanipulierten Pflanzen angebaut werden dürften. Daß nach wie vor über
70 Prozent der Menschen in der EU Gen-Food ablehnen, scheint die EU-Bürokraten nicht zu interessieren.
EU-Kommissar Fischler drohte bei Zuwiderhandlung mit einer Klage der Kommission beim Europäischen
Gerichtshof (EuGH). Offenbar soll schon mal vorsorglich jede Intention, sich am Beispiel der Schweiz zu
orientieren, im Keim erstickt werden. Der Schweizer Nationalrat hatte Anfang Mai mit knapper Mehrheit für die
Verlängerung des Moratoriums bis 2009 votierte*.
Seit 1998 besteht ein EU-weites Moratorium, ein Zulassungsstop für den Anbau genmanipulierter Pflanzen. Am 24.
Juni 1999 hatten Frankreich, Griechenland, Italien, Dänemark und Luxemburg mit ihrer Sperrminorität im
EU-Umweltministerrat faktisch die Verlängerung dieses Moratoriums erzwungen, während merkwürdigerweise
das "rot-grün" regierte Deutschland zusammen mit Spanien sich als Interessenvertreter der Gentech-Konzerne erwies.
Besonders auf Griechenland wurde von Seiten der USA Druck ausgeübt, da es mit der Übernahme der
EU-Präsidentschaft am 1. Januar 2003 eine Schlüsselstellung einnimmt. Ganz unverhohlen äußerte der
US-Botschafter für die EU, Rockwell Schnabel in Athen die Erwartung, "daß Griechenland die Entwicklung
bei der Gentechnik beschleunigen" werde. Nachdem inzwischen mit Hilfe der EU-Kennzeichnungs-
verordnung für Gen-Food ein Weg gefunden wurde, um den europäischen VerbraucherInnen Wahlfreiheit
zu suggerieren, soll das Moratorium umgehend fallen.
Die deutsche Agrar-
und Verbraucherschutz-Ministerin Renate Künast hatte noch vor der Verabschiedung der
Kennzeichnungsverordnung damit geworben, daß anschließend auch eine strenge europaweite
Verordnung zur Regelung der "Koexistenz" von Gen-Landwirtschaft auf der einen und konventioneller
sowie ökologischer Landwirtschaft auf der anderen Seite geschaffen geschaffen würde. Kommissar
Fischler trat jedoch letzte Woche all diesen falschen Hoffnungen entgegen und verkündete, daß die
EU-Kommission in dieser Hinsicht keinen Regelungsbedarf sehe und all dies den einzelnen Mitgliedsländern
überlassen wolle. Doch bereits die hohen Erwartungen an möglicherweise strenge gesetzliche Auflagen zum
Schutz der gentech-freien Landwirtschaft hatten sich in Anbetracht neuerer Studien als obsolet erwiesen.
Auch mit noch so strengen Bestimmungen zur "Gefährdungshaftung" oder zu Abstandszonen läßt sich die
Ausbreitung genmanipulierter Pflanzen durch Pollenflug und auf vielfältigen anderen Wegen nicht kontrollieren.
Um so weiter fallen dagegen die von EU-Kommissar Fischler letzte Woche vorgestellten unverbindlichen Leitlinien zur
"Koexistenz von konventionellen und gentechnisch veränderten Pflanzen" hinter die zuvor geweckten Versprechungen
zurück. Die darin genannten Vorschläge zu Mindestabständen, Puffer-Zonen und "Pollen-Barrieren" wie Hecken
zwischen Feldern mit genmanipulierten Beständen und konventionellen oder Bio-Anbaugebieten sollen der "freien
Vereinbarung" zwischen den Landwirten überlassen bleiben. Da mußte denn inzwischen auch Ministerin Künast
eingestehen, daß dies zum "Krieg in den Dörfern" führen werde.
Mittlerweile fordern
auch die Verbraucherverbände den Erhalt des Gen-Moratoriums. "Bevor nicht verbindliche Regelungen geschaffen
sind, die eine Verunreinigung gentechnikfreier Produkte durch GVO verhindern und solange die Wahlfreiheit der
Verbraucher gefährdet ist, darf kein Startschuß erteilt werden", so die VZBV-Vorstand Prof. Dr. Edda Müller.
Auch der Vorsitzende von 'Bioland', einem der größten Verbände des ökologischen Landbaus, Thomas Dosch,
äußerte in einem Interview Ende letzter Woche: "Die Konflikte sind vorprogrammiert: zwischen Bauern, die
Gentechnik einsetzen wollen, und Bauern, deren Produkte dadurch bedroht sind; zwischen Ländern mit strikten
Verordnungen und Ländern, die dem Druck der Gentechnik-Lobby nachgeben", Und in einer gemeinsamen
Erklärung zusammen mit dem Öko-Anbauverband Demeter und dem BUND (Bund für Umwelt- und Naturschutz
Deutschland) werden die Leitlinien von EU-Kommissar Fischler klar zurückgewiesen: "Die EU-Kommission
läßt die gentechnikfreie Landwirtschaft im Stich. (...) hat keine Richtlinien zur Koexistenz, sondern zur
Kontamination vorgelegt. (...) Unter solchen Voraussetzungen wird die gentechnikfreie Landwirtschaft in Europa
bald Geschichte sein."
Klaus Schramm
Anmerkung (29.07.03):
* Am 7.05. stimmte der Schweizer Nationalrat mit 83 zu 78 Stimmen für ein
Gen-Moratorium.
Am 5.06. stimmte der Schweizer Ständerat mit 6 zu 29 Stimmen gegen das
Gen-Moratorium.
Inzwischen waren über 110.000 Unterschriften für eine Volksinitiative
für ein Gen-Moratorium gesammelt worden. Damit ist das notwendige
Quorum überschritten und diese muß stattfinden.
Die Schweizerinnen und Schweizer sind also immer noch für uns vorbildlich.
Unter anderem mit dem Argument, daß ja nun das Schweizer Volk entscheiden
werde, kam das Abstimmungsergebnis im Ständerat zustande.
Entsprechend den Schweizer verfassungsmäßigen Besonderheiten im Falle
einer "Differenzbereinigung" (unterschiedlicher Abstimmungsergebnisse
von Nationalrat und Ständerat), mußte
am 12.06. der Schweizer Nationalrat nochmals über das Gen-Moratorium
abstimmen und verwarf seine Entscheidung vom 7.05. mit 70 zu 77 Stimmen.