28.07.2003

EU-Kommission will Durchbruch
bei Gen-Food erzwingen

Vor wenigen Tagen gab die Brüsseler Behörde bekannt, daß sie europaweit "nicht dulden" werde, falls ein EU-Staat Regionen ausweise, in denen keine genmanipulierten Pflanzen angebaut werden dürften. Daß nach wie vor über 70 Prozent der Menschen in der EU Gen-Food ablehnen, scheint die EU-Bürokraten nicht zu interessieren. EU-Kommissar Fischler drohte bei Zuwiderhandlung mit einer Klage der Kommission beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Offenbar soll schon mal vorsorglich jede Intention, sich am Beispiel der Schweiz zu orientieren, im Keim erstickt werden. Der Schweizer Nationalrat hatte Anfang Mai mit knapper Mehrheit für die Verlängerung des Moratoriums bis 2009 votierte*.

Seit 1998 besteht ein EU-weites Moratorium, ein Zulassungsstop für den Anbau genmanipulierter Pflanzen. Am 24. Juni 1999 hatten Frankreich, Griechenland, Italien, Dänemark und Luxemburg mit ihrer Sperrminorität im EU-Umweltministerrat faktisch die Verlängerung dieses Moratoriums erzwungen, während merkwürdigerweise das "rot-grün" regierte Deutschland zusammen mit Spanien sich als Interessenvertreter der Gentech-Konzerne erwies.

Besonders auf Griechenland wurde von Seiten der USA Druck ausgeübt, da es mit der Übernahme der EU-Präsidentschaft am 1. Januar 2003 eine Schlüsselstellung einnimmt. Ganz unverhohlen äußerte der US-Botschafter für die EU, Rockwell Schnabel in Athen die Erwartung, "daß Griechenland die Entwicklung bei der Gentechnik beschleunigen" werde. Nachdem inzwischen mit Hilfe der EU-Kennzeichnungs- verordnung für Gen-Food ein Weg gefunden wurde, um den europäischen VerbraucherInnen Wahlfreiheit zu suggerieren, soll das Moratorium umgehend fallen.

Die deutsche Agrar- und Verbraucherschutz-Ministerin Renate Künast hatte noch vor der Verabschiedung der Kennzeichnungsverordnung damit geworben, daß anschließend auch eine strenge europaweite Verordnung zur Regelung der "Koexistenz" von Gen-Landwirtschaft auf der einen und konventioneller sowie ökologischer Landwirtschaft auf der anderen Seite geschaffen geschaffen würde. Kommissar Fischler trat jedoch letzte Woche all diesen falschen Hoffnungen entgegen und verkündete, daß die EU-Kommission in dieser Hinsicht keinen Regelungsbedarf sehe und all dies den einzelnen Mitgliedsländern überlassen wolle. Doch bereits die hohen Erwartungen an möglicherweise strenge gesetzliche Auflagen zum Schutz der gentech-freien Landwirtschaft hatten sich in Anbetracht neuerer Studien als obsolet erwiesen. Auch mit noch so strengen Bestimmungen zur "Gefährdungshaftung" oder zu Abstandszonen läßt sich die Ausbreitung genmanipulierter Pflanzen durch Pollenflug und auf vielfältigen anderen Wegen nicht kontrollieren.

Um so weiter fallen dagegen die von EU-Kommissar Fischler letzte Woche vorgestellten unverbindlichen Leitlinien zur "Koexistenz von konventionellen und gentechnisch veränderten Pflanzen" hinter die zuvor geweckten Versprechungen zurück. Die darin genannten Vorschläge zu Mindestabständen, Puffer-Zonen und "Pollen-Barrieren" wie Hecken zwischen Feldern mit genmanipulierten Beständen und konventionellen oder Bio-Anbaugebieten sollen der "freien Vereinbarung" zwischen den Landwirten überlassen bleiben. Da mußte denn inzwischen auch Ministerin Künast eingestehen, daß dies zum "Krieg in den Dörfern" führen werde.

Mittlerweile fordern auch die Verbraucherverbände den Erhalt des Gen-Moratoriums. "Bevor nicht verbindliche Regelungen geschaffen sind, die eine Verunreinigung gentechnikfreier Produkte durch GVO verhindern und solange die Wahlfreiheit der Verbraucher gefährdet ist, darf kein Startschuß erteilt werden", so die VZBV-Vorstand Prof. Dr. Edda Müller. Auch der Vorsitzende von 'Bioland', einem der größten Verbände des ökologischen Landbaus, Thomas Dosch, äußerte in einem Interview Ende letzter Woche: "Die Konflikte sind vorprogrammiert: zwischen Bauern, die Gentechnik einsetzen wollen, und Bauern, deren Produkte dadurch bedroht sind; zwischen Ländern mit strikten Verordnungen und Ländern, die dem Druck der Gentechnik-Lobby nachgeben", Und in einer gemeinsamen Erklärung zusammen mit dem Öko-Anbauverband Demeter und dem BUND (Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland) werden die Leitlinien von EU-Kommissar Fischler klar zurückgewiesen: "Die EU-Kommission läßt die gentechnikfreie Landwirtschaft im Stich. (...) hat keine Richtlinien zur Koexistenz, sondern zur Kontamination vorgelegt. (...) Unter solchen Voraussetzungen wird die gentechnikfreie Landwirtschaft in Europa bald Geschichte sein."

 

Klaus Schramm

 

Anmerkung (29.07.03):
* Am 7.05. stimmte der Schweizer Nationalrat mit 83 zu 78 Stimmen für ein Gen-Moratorium.
Am 5.06. stimmte der Schweizer Ständerat mit 6 zu 29 Stimmen gegen das Gen-Moratorium.
Inzwischen waren über 110.000 Unterschriften für eine Volksinitiative für ein Gen-Moratorium gesammelt worden. Damit ist das notwendige Quorum überschritten und diese muß stattfinden.
Die Schweizerinnen und Schweizer sind also immer noch für uns vorbildlich.
Unter anderem mit dem Argument, daß ja nun das Schweizer Volk entscheiden werde, kam das Abstimmungsergebnis im Ständerat zustande. Entsprechend den Schweizer verfassungsmäßigen Besonderheiten im Falle einer "Differenzbereinigung" (unterschiedlicher Abstimmungsergebnisse von Nationalrat und Ständerat), mußte
am 12.06. der Schweizer Nationalrat nochmals über das Gen-Moratorium abstimmen und verwarf seine Entscheidung vom 7.05. mit 70 zu 77 Stimmen.

 

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